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Mexiko: In falschen Händen

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Mexiko: In falschen Händen | Bild: SWR

In Mexiko gibt es Bundesstaaten, die von deutschen Behörden als "Unruhestaaten" angesehen werden. Chihuahua gehört dazu. In diese Regionen dürfen offiziell keine Waffen geliefert werden. Und doch finden deutsche Waffen den Weg genau dorthin. Mal zur Polizei, die als korrupt gilt, mal direkt zur Drogenmafia. Die Opfer: Meist Zivilisten und nicht selten auch Bürgerrechts-Aktivisten. Ein Bericht von Thomas Reutter und Daniel Harrich, SWR.

Marisela Escobedo mit ihrer Tochter Ruby
Marisela Escobedo mit ihrer Tochter Ruby | Bild: SWR

Eine alltägliche Straßensituation: Ein weißes Auto hält an. Ein Mann steigt aus. Und plötzlich ist alles anders: Er zieht eine Pistole. Schießt auf eine Frau. Verfehlt sie. Sie rennt über die Straße, will fliehen. Der Mann schießt ihr aus nächster Nähe in den Kopf. Dann läuft er zurück. Der Täter steigt wieder in das weiße Auto ein und fährt weg. In ihrer Hand hielt die Tote noch ein Handy. Ihr Name: Marisela Escobedo. In Mexiko war sie eine bekannte Menschenrechtlerin. Sie begann sich zu engagieren, als ihre 16jährige Tochter Ruby im Jahr 2008 plötzlich in der Grenzstadt Ciudad Juarez verschwand. Marisela ging damals an die Medien, bat im Fernsehen um Hilfe. Und suchte Ruby in der ganzen Stadt. Für die Angehörigen der verschwundenen Frauen setzt sich das Menschenrechtsnetzwerk Mesa de Mujeres ein: die erste Anlaufstelle für Familien der Vermissten und Opfer der Gewalt gegen Frauen. Die Mitarbeiterinnen nehmen die Fälle auf und dokumentieren sie. In über 1.000 Fällen stellt sich heraus: die Vermissten sind ermordet worden.

Freispruch trotz Geständnis

Der Rechtsanwalt Gabino Gomez war ein enger Vertrauter Mariselas. Er erinnert sich an ihren Kampf: "Sie ermittelte selbst und deckte auf, dass ihre Tochter von ihrem damaligen Freund ermordet wurde." Marisela findet heraus: Der Freund ist Mitglied des berüchtigten Drogenkartells Los Zetas. Die Polizei nimmt ihn fest. Er führt die Beamten zu der Leiche von Ruby. Danach legt er ein Geständnis ab: Er habe Ruby ermordet. Die Urteilsverkündung: Ein Freispruch aus Mangel an Beweisen. Für Marisela bricht die Welt zusammen. "Wie konnte es möglich sein, dass er frei gesprochen wurde, nachdem er ein Geständnis abgelegt hatte?", fragt sich Gabino Gomez. "Marisela hat nie aufgegeben. Sie demonstrierte seit diesem Tag ständig. Sie verlangte Gerechtigkeit für ihre Tochter."

In Ciduad Juarez, der Stadt mit der höchsten Mordrate der Welt, wird Maricella zur Vorkämpferin der Angehörigen aller Verschwundenen. Und sie prangert öffentlich das Versagen der Justiz an: Sie konfrontiert die Verantwortlichen, einmal sogar den Generalstaatsanwalt. Gabino Gomez war dabei. "Ich bin überzeugt, dass sie an diesem Tag ihr eigenes Todesurteil unterschrieben hat."

Die Tatwaffe stammte aus Deutschland

Grabstein von  Marisela Escobedo
2010 wurde Marisela Escobedo erschossen.  | Bild: SWR

Die Fahrt zum Tatort: Der Platz vor dem Gouverneurspalast von Chihuahua. Eine Überwachungskamera hat die Tat aufgenommen. Es war der 16. Dezember 2010. Mariselas Todestag. Das Waffenarsenal des Mörders. Die Tatwaffe. Der Täter ist ebenfalls Mitglied des Drogenkartells Los Zetas und gesteht 200 Morde. Diesmal gab es ein Urteil mit Strafe. Die Gerichtsakten im Fall Maricela. Jetzt sind sie erstmals freigegeben. Darin enthalten sind auch Fotos der Waffe, mit der Maricella ermordet wurde. "Heute wissen wir, dass es eine 9 mm Pistole war, von einer deutschen Firma, mit Namen Sig Sauer", sagt Gabino Gomez. "Allein mit dieser Waffe – mit der Seriennummer 66589 – hatte der Killer laut Akten 11 weitere Menschen erschossen." Die Pistole, als Fangschusswaffe ein Klassiker, so wirbt die Firma Sig Sauer auf ihrer deutschen Homepage. Das Bundesausfuhramt hatte, nach eigener Auskunft seit 2000 keinen Export solcher Pistolen nach Mexiko genehmigt. Nach Angaben der Firma SIG Sauer wurde die Waffe 2002 bei einer Tochterfirma in den USA hergestellt und an einen zugelassenen Händler verkauft. Wie die Pistole nach Mexiko kam, ist unklar.

Zurück im mexikanischen Bundesstaat Chihuahua. Bilder, die es gar nicht geben dürfte: Vor dem Gouverneurspalast, vor dem Marisela ermordet wurde: deutsche G36 Sturmgewehre von Heckler & Koch. Obwohl die Waffen niemals nach Chihuahua hätten gelangen dürfen. Die deutsche Regierung hatte den Export dorthin ausdrücklich nicht genehmigt. Chihuahua gilt als Unruheprovinz, die dortige Polizei als korrupt. Wegen der Lieferung ermittelt die Staatsanwaltschaft Stuttgart seit 2010. Wie das Verfahren auch ausgeht: Mexikanische Polizei und Drogenmafia setzten gleichermaßen auf deutsche Waffen.

Ein Mahnmal weit weg im Industriegebiet

Mahnmal gegen Frauenmorde
Mahnmal gegen die Frauenmorde. | Bild: SWR

Imelda Maruffo leitet das Menschenrechtsnetz der Frauen von Ciudad Juarez. Sie hat Mariselas Kampf um Gerechtigkeit jahrelang begleitet. Marisela, eine von über 1.000 ermordeten Frauen von Ciudad Juarez. "Ich glaube, es ist an der Zeit, an die Länder zu appellieren, in denen Waffen hergestellt werden, genauer zu kontrollieren, was mit diesen Waffen geschieht." Der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte hat den Staat Mexiko dazu verurteilt, den Angehörigen zumindest die Gerichtskosten zu erstatten und den Opfern in Ciudad Juarez ein Denkmal zu setzen. Es soll ein Mahnmal gegen die Frauenmorde sein. Die Verwaltung hat tatsächlich dieses Monument gegen das Vergessen erbaut – draußen im Industriegebiet.

Stand: 09.07.2019 06:22 Uhr

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