So., 13.03.22 | 18:30 Uhr
Das Erste
Niederlande: Bitteres Kriegserbe
Eine deutsche Seemine – 200 kg Sprengkraft – ein Überbleibsel aus dem Zweiten Weltkrieg. Die ganze Nordsee ist unter ihren stürmischen Wellen ein riesiges Bomben- und Minenfeld. Sie räumen auf: 41 Mann und Frau Besatzung – Minenjäger der königlichen Marine von der HNLMS Willemstad. Und wir dürfen sie einen Tag begleiten. "Unsere Aufgabe ist es, die Sprengstoffe unschädlich zu machen. Fischer finden ja regelmäßig Seeminen, Fliegerbomben und Munitionsreste, auch beim Bau der Windparks taucht so was immer wieder auf. Und wir räumen sie aus dem Weg, um die Sicherheit auf See zu gewährleisten", sagt Kommandant, Olaf Thesingh.
Fischer machen auf die Bomben aufmerksam
Sechs Minenjagdboote hat die niederländische Marine. Die Willemstad ist eine davon. Oft mehrere Wochen am Stück auf See, denn Arbeit haben sie genug. Während und nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Nordsee zur Entsorgung von Sprengkörpern genutzt, ganze Kriegsschiffe mit Munition versenkt. Aus den Augen aus dem Sinn, dachte man damals. Ein krasser Irrtum: Schätzungsweise 600.000 Minen und Bomben müssen jetzt geräumt werden. "Wenn wir selbst aktiv nach den Bomben suchen würden, wäre das wie bei einer Nadel im Heuhaufen, weil auf dem Meeresboden immer alles in Bewegung ist. Wir sind darauf angewiesen, dass Fischer uns melden, wo sie etwas bemerken", erzählt Olaf Thesingh.
Jaap Tanus ist so ein Fischer, der zwischen Schollen und Seezungen regelmäßig Kriegsüberbleibsel in seinen Netzen findet. In stürmischen Zeiten manchmal sogar zwei bis drei pro Woche, sagt er. Das sei natürlich immer eine Gefahr – er selbst kennt Fischer, die bei Explosionen gestorben sind: "Solche Fliegerbomben fangen wir am häufigsten. Seeminen auch, aber nicht so oft – das meiste sind schon diese Geschosse. Jeder hat diese Karten an Bord – alle Schiffe." Dann gilt: Fund melden, markieren und so schnell wie möglich wieder über Bord damit. "Mit diesem Tau hier befestigen wir diese Boje an der Bombe und die geht dann mit unter." "Aber ist das nicht gefährlich direkt an die Bombe zu kommen?", fragt ARD-Korrespondentin Gudrun Engel. "Ja, das ist immer ein Risiko. Und diesen Reflektor hier kann die Marine dann mit ihrem Sonar lokalisieren", antwortet der Fischer.
Eine gefährliche Operation
Die Männer in der sogenannten Mienenjagdzentrale auf der Willemstad haben so eine mutmaßliche Bombe aufgespürt. Das tun sie zwar täglich, trotzdem ist auf einmal eine gewisse Anspannung zu spüren. An Deck bereitet die Crew derweil den Tauchroboter für den Einsatz vor. Eine starke Lampe und eine Kamera sollen Aufnahmen vom Meeresboden auf einen Monitor senden. Eine Art kleines, ferngesteuertes U-Boot, akkugetrieben, das erste Erkundungen vornimmt, um die Größe des Sprengkörpers einschätzen zu können.
Der Tauchroboter liefert erste Bilder: Ein Sprengkörper, der offenbar angetrieben ist – Explosionskraft geschätzt circa 200 Kilo. Robben, Wale, Delfine und Fische müssen jetzt aus dem Einsatz-Gebiet verbrämt werden. Eine Umweltschutzmaßnahme. Dazu wird ein hoher Ton unter Wasser geleitet. Seal Scarer heißt das Gerät. Gleichzeitig machen sich die Minentaucher einsatzbereit. Sie sollen die Mine sprengen. Das ist der gefährlichste Teil der Operation. Sieben Grad kaltes Wasser, starke Strömung, nur wenig Zeit. Sie brauchen starke Nerven und höchste Konzentration. Miranda Pot hat in dieser Tasche sieben Kilo Sprengstoff dabei. Die muss sie an der Mine befestigen, um sie zur Explosion zu bringen. Die Unterwasserkamera zeigt: Die Mine ist stark verrostet, der Sprengkern im Inneren liegt schon frei. Jetzt muss die Taucherin sich in Sicherheit bringen.
Auf der Brücke der Willemstad sind nur noch Funksprüche zu hören. Alle fixieren das kleine Schlauchboot. "Der Moment in dem der Taucher unter Wasser ist und den Sprengstoff platziert, ist am kritischsten", sagt Minenjagd-Offizier, Björn Hartman und die Minentaucherin ergänzt: "Das war mal die Befestigung dieser Mine – ein schönes Andenken!" "Langsam geht das Adrenalin wieder runter. Wenn man da draußen im Boot sitzt, dann pulsiert es schon durch den ganzen Körper", erzählt Tauchmeister, Dirk-Jan Stelpstra. Jeder Einsatz ist anderes – Routine gibt es nicht. "Ich habe den Sprengstoff dieses Mal direkt in die Mine hineingelegt. Und das hier ist massiver Stahl. Der Rest hat sich komplett pulverisiert", sagt die Minentaucherin.
Nach dem Einsatz ist vor dem Einsatz: Experten schätzen, dass es noch mehr als 150 Jahre dauern wird, bis die Nordsee geräumt ist.
Autorin: Gudrun Engel/ARD Studio Brüssel
Stand: 13.03.2022 20:09 Uhr
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