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Thailand: Myanmars Wehrpflicht treibt junge Generation in die Flucht

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Myanmars Wehrpflicht treibt junge Generation in die Flucht | Bild: ARD

Vielmehr haben sie nicht mitgenommen: Kleidung, eine Decke und ein Laptop. Es musste schnell gehen und unauffällig als Pho Lei und seine Schwester May ihr Zuhause verließen. Zu groß ihre Angst, dass er zum Militärdienst eingezogen wird. Mitten im Bürgerkrieg. Pho Lei ist 22 Jahre alt, seine Schwester 30. Sie haben Unterschlupf gefunden an einem geheimen Ort in Thailand. "Ich habe geweint, als ich mich verabschiedet habe. Ich war noch nie von meiner Familie getrennt. Da liefen mir die Tränen. Aber meine Angst war so groß, dass Soldaten mich fassen und mitnehmen. Deshalb sind wir los. Aber auch auf dem Weg waren wir voller Sorgen", erzählt Pho Lei.

Insgesamt zwei Tage sind sie unterwegs. Ihre Flucht haben sie mit dem Handy gefilmt. Die letzte Strecke führt sie durch die Berge. Immer in Angst, auf einen Checkpoint zu stoßen. An einer Stelle wie dieser haben sie die Grenze überquert. Der Fluss Moei trennt Myanmar von Thailand. Die Geschwister verlassen ihre Heimat, ohne zu wissen, ob sie jemals zurückkommen können. Ihr Land befindet sich im Krieg.

Auswegslosigkeit treibt junge Leute nach Thailand

Bürgerkrieg in Myanmar – Das Militär schwächelt.
Bürgerkrieg in Myanmar – Das Militär schwächelt. | Bild: WDR

Seitdem das Militär vor drei Jahren die Macht übernommen hat, setzen sich bewaffnete Widerstandsgruppen zur Wehr. Die Armee greift aus der Luft an – das eigene Volk. Nun aber scheint das Regime zu schwächeln. Verbündete Rebellengruppen habe viele Orte und Stützpunkte eingenommen, die bislang von der Junta kontrolliert wurden. Mit der Zwangsrekrutierung junger Leute reagieren die Generäle auf ihre Verluste. Und setzen eine ganze Generation noch mehr unter Druck. Im thailändischen Grenzort Mae Sot arbeitet San Aung für die Menschenrechtsorganisation "New Myanmar Foundation". Die Wehrpflicht treibe die Jugend aus dem Land, sagt er. Seitdem die Militärjunta die Wehrpflicht angekündigt hat, sei die Zahl der Flüchtenden rasant gestiegen: "Das Regime hat zwar gesagt, das Gesetz zur Wehrpflicht erst ab April zu aktivieren. Aber das kann man nicht glauben. Denn wir hören von überall: Sie haben bereits jetzt mit der Zwangsrekrutierung begonnen."

Auch er ist geflüchtet. Vor drei Jahren war Naung Yoe noch Soldat in Myanmar. Aber als seine Generäle mit ihrem Putsch die Demokratiebewegung stoppen und brutal die Proteste niederschlagen, fasst er den Entschluss zu desertieren. An einem freien Tag kehrt er nicht mehr zurück ins Militärcamp, taucht unter und verschwindet über die Grenze: "Um der Armee sicher zu entfliehen, musste ich mich sehr gut vorbereiten, einen Plan machen, mich mit den richtigen Leuten in Verbindung setzen. Und obwohl ich jeden Schritt überlegt hatte, war es trotzdem schwierig und manches kam anders."

In Thailand hat er sich mit anderen, die wie er desertiert sind, zusammengetan, ein Netzwerk aufgebaut. Sie wollen Soldaten bei der Flucht helfen – auch den neuen, die zum Wehrdienst müssen. Auf ihrem Flyer steht, dass es Unterstützung für jeden gibt, der einen Ausweg sucht. Über geheime Wege werden sie die Infoblätter nach Myanmar schmuggeln. Denn Handys oder Social-Media dürfen Soldaten nicht nutzen. "Wir beraten die Soldaten und können sie so dazu bringen, die Seite zu wechseln. Sich wieder auf die Seite der Bevölkerung zu stellen, wenn es irgendwie geht", sagt Naung Yoe.

Die eigene Heimat – nah und doch so fern

Thailand: Sie haben ihr Land verlassen aus Angst vor der geplanten Wehrpflicht.
Thailand: Sie haben ihr Land verlassen aus Angst vor der geplanten Wehrpflicht. | Bild: WDR

Auch wenn sie es geschafft haben, beide wissen, alle müssen vorsichtig sein, jeder, der das Militär illegal verlässt läuft Gefahr, an Ort und Stelle hingerichtet zu werden. In Pho Lei und Mays neuem Leben gibt es nur wenige unbeschwerte Momente. Mal mit der Familie zuhause sprechen. Kontakt halten. Seit zehn Tagen sind sie weg. Ihre Tante erzählt, dass Soldaten in ihren Ort gekommen sind und sich alle Jungen verstecken mussten. Es ist gut, dass ihr weg seid, sagt sie noch. "Ich liebe mein Land und möchte ihm dienen. Aber die Junta foltert und unterdrückt die Bevölkerung. Ich habe gegen das Militär protestiert, gegen den Putsch. Ich kann jetzt keinen Militärdienst leisten. Das ist die falsche Seite. Eher müsste ich zu den Widerstandskämpfern", erklärt Pho Lei.

In Thailand sind sie ohne Aufenthaltspapiere, illegal, werden in Mae Sot nur geduldet. Wie tausende andere hier. Und durch das neue Gesetz kommen nun täglich mehr junge Menschen an. Oberhalb der Grenzstadt gibt es einen Aussichtspunkt – von hier scheint den Ex-Soldaten die Heimat Myanmar zum Greifen nah. Der Anblick wühlt die beiden Männer auf: "Die Jugend tut mir leid. All die jungen Menschen. Es ist schrecklich, dass die Armee sie jetzt mit diesem Gesetz zum Militärdienst zwingt", sagt Aung Aung und Naung Yoe erzählt: "Wenn ich von hier auf mein Land schaue, dann würde ich so gerne ein friedliches Land sehen, das sich weiterentwickelt. Ich möchte, dass unser Volk in Harmonie leben kann."

Ob sie jemals wieder einen Fuß auf die andere Seite des Flusses setzen können? Sie müssen warten und hoffen. 

Autorin: Christiane Justus / ARD Singapur

Stand: 03.03.2024 20:45 Uhr

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