USA: 98 und ein TikTok-Star

USA: 98 und ein TikTok-Star  | Bild: WDR

Ach, New York! Dorothy Wiggins pflegt eine Hassliebe mit ihrer Heimatstadt. Auf Instagram nennt sie sich zwar: Dorothy liebt New York, aber wenn sie durch die Stadt fährt, dann klingt das ganz anders. "Das hat sich schrecklich verändert. Früher standen hier kleine Häuser. Heute nur noch Glas-Hochhäuser. Ich fand’s besser, als es hier noch runtergekommen war, schmuddelig und alt", schimpft sie.

Aber nicht alles ist schlechter geworden. Tennis konnte sie sich damals nicht leisten. Heute schauen ihr Millionen dabei zu. Ihr Freund Michael filmt sie auf Schritt und Tritt. Von wegen, nur jung und hip geht auf Social Media. Wenn Dorothy den Schläger schwingt, erreicht sie bis zu neun Millionen User auf TikTok und Instagram. Alle lieben ihre Rückhand. "Tennis ist ein großartiger Sport, um gelenkig zu bleiben. In meinem reifen Alter von 98 Jahren habe ich zwar leider nicht mehr ganz so die Ausdauer wie früher. Aber letztes Jahr habe ich noch den ganzen Sommer über gespielt", erzählt sie. "Sie ist eine Inspiration. Ich mit meinen 80 spiele noch Turniere, aber wenn ich sie sehe, dann denk ich, das kann ich auch noch in meinen 90ern tun", sagt Tennistrainer Roger Dowdeswell.

Ein echtes New Yorker Unikat

Aufschlag – und Millionen Klicks. Je aktiver, desto attraktiver. Influencerin mit fast 100 Jahren. Alt und fit – gerade hip auf Social Media. Guter Stil braucht Pflege. Einmal die Woche frisiert Monika die jung gebliebene alte Dame. Auch für sie ist Dorothy zum Vorbild geworden. "Sie macht mehr in ihrem Alter als viele mit 40 oder 50. Sie ist so fortschrittlich, mit allem. Super. Alter muss Dich nicht ausbremsen", findet die Friseurin.

Dorothy hat sich inspirieren lassen vom Pariser Schick, damals, als sie mit ihrem Mann, einem Diplomaten, in Südfrankreich gelebt hat. "Ich will einfach anders sein. Anders als alle anderen. So bin ich halt. Ich würde niemals Jeans tragen. Niemals, habe nie welche besessen. Ich will nichts anziehen, was irgendjemand anderes trägt."

Auftritt für die Vogue – nicht mehr wie früher, als sie noch Model war, in High Heels, aber genauso stilsicher. Dorothy kennt New York noch aus der großen Depression, hat 17 Präsidenten erlebt. Aber noch nie war sie so besorgt um ihr Land wie jetzt. Sie hofft, dass viele wählen gehen – gegen Trump. "Beim ersten Mal hat keiner geglaubt, dass Donald Trump gewinnen kann. Die haben ihn nicht ernst genommen. Viele meiner Freunde sagen jetzt, wenn Trump wieder gewählt wird, dann wandern wir aus. Es ist sehr, sehr beängstigend. Ich hoffe, dass er’s nicht schafft. Das wäre das Ende von Amerika, wie wir es kennen", sagt sie.

Inspiration für die junge Generation

Mal kritisch, mal witzig – und immer typisch Dorothy. Dafür erntet sie oft tausende positive Kommentare, sagt Michael, der ihr seit dem Tod ihres Mannes Gesellschaft leistet: "Ich liebe deine Haltung und deine Energie. Du bist ein Vorbild. Ich finde: Du rockst." "Sie lebt so wie in der guten alt Zeit. So wie es das heute kaum noch gibt. Ich glaube, das ist die Faszination", sagt Journalist Michael Astor. Und dafür verzeihen ihr die Follower:innen sogar, wenn sie an deren Intelligenz zweifelt. "Ich gucke mir Soziale Medien nicht an, finde das dumm. Aber wenn ich damit Leute inspirieren kann, ihren Hintern hochzukriegen und rauszugehen, dann ist das doch gut", sagt sie.

Für sie ist es die beste Therapie gegen Einsamkeit, nachdem ihr geliebter Mann Guy mit 100 verstarb. Auch wenn sie Soziale Medien verachtet, weil sie so oberflächlich sind, die Weisheiten aus ihrem reichen Leben teilt sie gerne: "Man lebt zwar nur einmal, aber wenn du’s richtig machst, dann ist das genug."

Deshalb: Nur nicht Trübsal blasen. Das tun, was sie die 61 Jahre mit ihrem Mann gepflegt hat. Jeden Tag mit einem Cocktail ausklingen lassen, ob in New York oder der Karibik. Dann kann sie auch mit 100 noch ein Tänzchen aufs Parkett legen.

Autorin: Marion Schmickler / ARD New York

Stand: 04.03.2024 15:50 Uhr