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Israel: Das Schweigen brechen

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Israel: Das Schweigen brechen | Bild: WDR
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Yehuda Shaul beginnt eine seiner regelmäßigen Touren für israelische Zivilisten. Yehuda ist kein Reiseführer, sondern Gründer der Menschenrechtsorganisation „Breaking the Silence“, das Schweigen brechen. Ehemalige Soldaten erzählen über ihren Dienst in den besetzten Gebieten. Im Klartext: Wie sie gegen Palästinenser Menschenrechte verletzt haben. Wir sind unterwegs nach Hebron, ins Zentrum des palästinensisch-israelischen Konflikts, denn hier befindet sich die Grabstätte der jüdischen Stammväter Abraham, Isaak und Jakob und deren Frauen. Hier hat das Judentum seinen Anfang genommen. Und darum leben hier heute gerade mal 800 radikale Siedler neben 170.000 Palästinensern. Die Siedler sehen sich als rechtmäßige Herren von Hebron.

Hier ist die erste Station der Tour. Und schon beginnen die Probleme. Die Armee will diese Israelis nicht in die Grabstätte lassen.
„Geht bitte zurück.“
„Warum?“
„Geht zurück“, sagt der Soldat.
„Breaking the Silence“ gilt als linke NGO, und damit als siedler- und armeefeindlich. Nervös bitten die Soldaten um Anweisungen.
Yehuda Shaul, „Breaking the Silence“:
“Der Offizier sagt, wir seien eine politische Organisation. Und Politik ist in der Grabstätte der Patriarchen verboten. Interessant. Denn die Siedler machen hier auch Führungen und dürfen rein, als ob das nicht politisch sei.“

Der Soldat gibt schließlich der Gruppe die Erlaubnis, dass jeweils 5 rein dürfen und dann die nächsten. Gili, eine Lehrerin aus Jerusalem, fragt, warum Breaking the Silence so behandelt wird. Der Soldat geht nicht darauf ein – immer nur 5 wiederholt er.
Dass die Siedler kommen und gehen dürfen, wie sie wollen, ist offensichtlich. Ebenso offensichtlich: die guten Verbindungen zwischen Armee und Siedlern. Yehuda hat ebenfalls in Hebron gedient. Für ihn aber ist seine Arbeit heute der Versuch, sein Land vor dem Abgrund zu bewahren.
Yehuda Shaul:
„Ich habe die moralische Verpflichtung zu sprechen. Meine Gesellschaft dazu zu zwingen, sich damit auseinanderzusetzen, was hier jeden Tag in ihrem Namen geschieht. Es kommt der Tag, an dem man versteht: Wenn du nicht darüber sprichst, was hier unter der Besatzung geschieht, dann tut es niemand.“

Schließlich beginnt Yehuda zu erzählen, wie das war damals, als er hier seinen Militärdienst absolvierte. Nach welchen Regeln Soldaten noch bis in die 2000er Jahre mit den Siedlern umzugehen hatten.
Yehuda Shaul:
„Die Anordnung damals lautete: Wenn ein Siedler auf einen Soldaten oder Palästinenser schießt, dann dürfen wir nicht zurückschießen! Wir durften nicht zurückschießen! Wir sollten uns in Sicherheit bringen, warten, bis der Siedler keine Kugeln mehr hat und ihn dann überwältigen. Soll ich das noch mal wiederholen?“
Nein, er muss es nicht wiederholen. Die israelische Gruppe bekommt einen ersten Eindruck, was Besatzung bedeutet.Und genau das will dieser Mann verhindern. Ofir Akunis, Likud-Abgeordneter in der Knesset und enger Vertrauter von Premierminister Netanjahu. Zusammen mit anderen hat er Anfang des Jahres einen Gesetzentwurf eingebracht, demzufolge israelische Nichtregierungsorganisationen keine Gelder mehr von ausländischen Regierungen erhalten dürfen. Sas heißt, fast alle Menschenrechtsorganisationen in Israel würden damit mundtot gemacht werden.
Ofir Akunis:
„Wenn eine ausländische Regierung Gelder an israelische Organisationen überweist, um hier den politischen Diskurs zu ändern, dann ist das eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten Israels. Linke und extrem Linke Organisationen hier funktionieren nur dank ausländischer Finanzierung. Bei rechten Organisationen gibt es das nicht. Darum ist der öffentliche Diskurs gestört.“

Was Akunis nicht sagt,rechte Gruppen in Israel erhalten ihr Geld von privaten Geldgebern aus dem Ausland. Sein Gesetzentwurf sieht nicht vor, auch diese Gelder zu stoppen. Der Gesetzentwurf wurde inzwischen,für den Moment zumindest, aufgrund internationalen Drucks auf Eis gelegt.
Wir begleiten Yehuda zu einem Treffen von Aktivisten von „Breaking the Silence“. Über 750 ehemalige Soldaten haben inzwischen Zeugnis über ihre Taten abgelegt, manche sogar vor der Kamera. Yehuda macht noch einmal klar, warum diese Arbeit so wichtig ist:
Yehuda:
„Nur wenn ein Soldat erzählt, was er sah und getan hat, hat das politisches und öffentliches Gewicht. Wenn ein Palästinenser das gleiche erzählen würde, glaubt ihm doch kein Israeli.“
Nach der Veranstaltung lädt uns Yehuda ein, dabei zu sein, wenn eine weitere ehemalige Soldatin ihre Geschichte vor der Kamera erzählt. Tal Wasser ist heute 21 Jahre alt. Sie war Hundeführerin. Ihr Hund musste Sprengstoff erschnüffeln. Tal beginnt zu erzählen
wie Palästinenser bei Hausdurchsuchungen stundenlang eingesperrt wurden, wie Hundeführer zuließen, dass ihre Tiere, die im Islam als schmutzig gelten, in den Wohnungen ihr Geschäft verrichteten, wie Armeeeinheiten Häuser bei einer Durchsuchung völlig zerstörten, anstatt den Hund kontrollieren zu lassen.
Wir wollten danach von Tal wissen, woher sie den Mut hatten, zu „Breaking the Silence“ zu gehen.
Tal Wasser, ehemalige Soldatin:
„Ich habe die ganze Armeezeit Zweifel gehabt. Ich habe mich immer bemüht, mich menschlich zu verhalten. Aber die Situation ist wie sie ist, man kann sie nicht ändern. Man ist Teil einer riesigen Maschinerie und kann nichts Einschneidendes verändern. Darum entschied ich mich an die Öffentlichkeit zu gehen.“
Wir sind nochmal in Hebron, bei der Grabstätte der Patriarchen. Bei der Besatzung. Die im normalen Alltag so aussieht: Armeekontrollen, Sicherheitschecks, Misstrauen und das Wissen aller, dass hier jederzeit die Lage in sekundenschnelle eskalieren kann.
Besatzung: Eine geteilte Straße. Links für Palästinenser, rechts für Israelis. Yehudas Gruppe ist weiter unterwegs. Israelis und Palästinenser gehen aneinander vorbei, man betrachtet sich neugierig. Yehuda bringt die Gruppe zur Shuada Straße, wo einst der Markt von Hebron war.
So hat es hier mal ausgeschaut: blühendes, buntes Markttreiben. Aber, es gab auch Anschläge, auf Siedler. Die drängten daraufhin die Armee zum Handeln. Und so schloss sie hier den Markt, vertrieb palästinensische Familien, errichtete Betonmauern. Was einst der Markt war ist heute die sogenannte sterile Zone. Und das alles nur, um 800 Siedler unter rund 170.000 Palästinenser zu schützen.
Yehuda Shaul:
„Hier gilt nur das Militärrecht. Der Kommandant ist hier beinahe wie Gott. Er kann machen, was er will. Will er ein Geschäft schließen? Kein Problem. Will er eine Straße sperren? Kein Problem. Eine Ausgangsperre verhängen? Kein Problem. Er muss nur jeweils die Order unterschreiben.
Soldaten und Siedler beobachten die Gruppe aus der Distanz. Man will mit diesen Linken und mit uns Journalisten nichts zu tun haben. Die Israelis aus der Gruppe schätzen die Arbeit von „Breaking the Silence“.
Gili Kugler, Lehrerin:
„Sie konfrontieren die Menschen mit Tatsachen, die sie daheim nicht sehen. Diese Menschen sind zugleich Eltern von Soldaten, die dienen und die keine Ahnung haben, was hier geschieht.“
Yehuda Shaul will weitermachen. Selbst wenn ihm und allen anderen Menschenrechtsorganisationen der Geldhahn per Gesetz zugedreht würde. Das sei er sich und seinem Land schuldig, sagt er.
Richard C. Schneider, ARD Tel Aviv

Stand: 22.04.2014 14:55 Uhr

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