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Brasilien: Das Gesetz der Frauen

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Brasilien: Das Gesetz der Frauen | Bild: WDR

Gespanntes Warten und dann sind alle aus dem Häuschen. Denn eine von ihnen hat es geschafft und ist nun landesweit bekannt. Keila wollte immer sein wie Lady Gaga, sang und tanzte und ist nun Gaststar in einer Fernsehshow in Sao Paulo. Gleich nach dem Auftritt drängen sich alle um das Telefon und wollen ihrem Star danken. Für diesen tollen Moment und dafür, dass Keila trotz ihrer Karriereträume ihr Dorf niemals verlassen will.

Flávia Emediato, Dorfbewohnerin:

»Sie ist eine von uns. Wir sind in Gedanken bei ihr und wir sind unglaublich glücklich. Sie ist der Stolz unseres Dorfes.«

Im brasilianischen Dorf Noiva do Cordeiro herrscht das Matriachat und die Männer widersprechen nicht.
Im brasilianischen Dorf Noiva do Cordeiro herrscht das Matriachat und die Männer widersprechen nicht. | Bild: WDR / WDR

Das Dorf ist etwas Besonderes. Etwa 300 Menschen leben in Noiva do Cardeiro, vor allem - Frauen. Jeden Tag ziehen die meisten von ihnen aufs Feld. Männer gibt es zwar auch einige, aber die meisten von ihnen arbeiten unter der Woche in der nächsten Großstadt. Wahrscheinlich auch deshalb, weil sie wenig zu bestimmen haben. Hier gilt das Gesetz der Frauen. Und die legen Wert auf Toleranz und Gleichberechtigung.

Flávia Emediato, Dorfbewohnerin:

»Dieses Dorf hat mein Leben gerettet, erzählt Flávia. Meine Mutter, meine 10 Geschwister und ich lebten früher in einem Armenviertel, wir litten Hunger. Hier sind wir aufgenommen worden. Seitdem weiß ich, was es heißt zu lieben, ohne im Gegenzug etwas zu verlangen.«

Ganz Brasilien spricht über die tolerante Lebensweise und die Hilfsbereitschaft der Frauen.
Ganz Brasilien spricht über die tolerante Lebensweise und die Hilfsbereitschaft der Frauen. | Bild: WDR / WDR

Gemeinsam bauen sie Gemüse an, Haupteinnahmequelle für die Dorfgemeinschaft. Einkommen und Besitz werden geteilt. Sie leben nach ihren eigenen Gesetzen. Manche als Single, andere mit einem Mann oder in gleichgeschlechtliche Partnerschaften. Nur die Kirche wird nicht geduldet. Denn die sei schuld, dass die Bewohner über viele Jahrzehnte geächtet und die Frauen als Prostituierte beschimpft wurden. Prediger warnten sogar: Das Dorf sei vom Teufel besessen. Der Grund liegt lange zurück: Delinas Großmutter wurde als junges Mädchen zwangsverheiratet, liebte aber einen anderen und wurde schwanger.

Delina Fernandes, Dorfchefin:

»Sie musste fliehen, es war ein Skandal, erzählt Delina, die Dorfchefin. Denn sie wurde schwanger, aber nicht vom Ehemann. Deshalb wurde sie von der katholischen Kirche verurteilt und verstoßen. Damals begannen die Diskriminierungen.«

Das Paar und alle Nachkommen bis in die vierte Generation wurden exkommuniziert. Auch die anderen Dorfbewohner wurden gemieden. Die Gemeinde aber hielt zusammen. An Gott wollen sie glauben, aber nicht an die Kirche. Erst seit kurzem wird dieser Ort akzeptiert.

Delina Fernandes, Dorfchefin:

»Gott hat uns gesegnet. Jetzt endlich geht es uns in dieser Gemeinde gut, freut sich Delina, die Matriarchin. Nach so vielen Jahren des Leidens. Gott hat uns geholfen. Wir haben endlich Erfolg und werden respektiert. Ein Segen.«

Im Frauendorf bestimmen Frauen die Gesetze und bestellen das Feld.
Im Frauendorf bestimmen Frauen die Gesetze und bestellen das Feld. | Bild: WDR / WDR

Die Dorfgemeinschaft wächst, natürlich hat sie einen eigenen Kindergarten.

In ganz Brasilien schaut man inzwischen auf diese Modellgemeinschaft. Die Presse berichtet viel. Über die tolerante Lebensweise, die Hilfsbereitschaft untereinander, über die progressive Lebensform und die gesellschaftliche Macht der Frauen.

Die vergessen bei alldem aber keineswegs, ganz Frau zu sein. Schönheit ist ihnen wichtig.

Flávia Emediato, Dorfbewohnerin:

»Wir sind schon sehr eitel, gibt Flávia zu. Wir achten auf unsere Gesundheit und unser Äußeres. Auf dem Feld passen wir auf, dass wir keinen Sonnenbrand bekommen.«

In diesem brasilianischen Ort herrscht das Matriarchat, und die Männer widersprechen nicht. Ein gemeinschaftliches Leben in vielen Bereichen. Theatergruppen, Tanz und Musik gehören zum Alltag. Und wie der gerade zurückgekehrte Fernsehstar Keila Gaga zeigt, haben sie auch damit die Außenwelt ganz schön beeindrucken können. Am nächsten Morgen. Lange vor Sonnenaufgang frühstücken die Feldarbeiterinnen zusammen. Bevor es nach einer kurzen Nacht wieder hinausgeht, zur Ernte von Paprika und Auberginen. Was die Frauen aber gestern Abend bei Tanz und Musik gar nicht so bemerkt haben, es hatte die ganze Nacht hindurch geschüttet und nicht nur das. Die ausgelassene Stimmung auf der Fahrt zu den Plantagen verändert sich bei der Ankunft dort schlagartig. Pures Entsetzen, völlige Fassungslosigkeit, Tränen. Über den Feldern ist nicht nur Regen heruntergekommen, sondern auch dicker Hagel. Monatelange Arbeit komplett zerstört.

Flávia Emediato, Dorfbewohnerin:

»Ja, das ist mit Sicherheit ein absoluter Tiefschlag. Das kam völlig unerwartet. Ein Naturphänomen, das niemand beeinflussen kann, das uns aber sehr getroffen hat. Wir stehen unter Schock, all unsere Arbeit kaputt. Tut mir leid, ich kann nicht weiter reden.«

Eine Katastrophe für das Frauendorf. Jetzt können sie sich nur noch gegenseitig trösten und anspornen. Aufgeben kommt nicht in Frage.

Autor: Michael Stocks/ARD Studio Rio De Janeiro

Stand: 31.05.2015 20:28 Uhr

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Westdeutscher Rundfunk
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