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Südsudan: behindert, versteckt, befreit

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Südsudan: behindert, versteckt, befreit | Bild: WDR

Wer auf den katastrophalen Straßen im Südsudan ein Problem hat, wartet monatelang auf Hilfe, oder vielleicht auch Jahre. Das ganze Land liegt am Boden, nach zwei blutigen Bürgerkriegen. 220 Kilometer sind es aus der Hauptstadt Juba in die Region Mundri, doch unsere Fahrt dauert mehr als zehn Stunden. Verabredet sind wir mit einem Team von Entwicklungshelfern. Sie haben uns gespenstische Geschichten erzählt: behinderte Kinder, so sagen sie, werden aus Scham weggeschlossen.

Dass Behinderung keine Strafe Gottes ist, sondern Ursache von Krankheiten und Unfällen - für uns eine Selbstverständlichkeit - das muss die kleine Dorfgemeinde erst lernen. Die Helfer kämpfen mit Aufklärungsaktionen wie dieser gegen uralten Aberglauben und mangelnde Bildung.

Mattatio Korubu Kana, Evangelische Mission Südsudan

»„Man muss behinderten und vernachlässigten Menschen helfen, sie benötigen viel Aufmerksamkeit, und  vor allem Liebe! Man darf sie nicht diskriminieren!“«

Als der Vortrag beendet ist, meldet sich eine junge Frau zu Wort. Was sie sagt, lässt uns frieren, auch bei 40 Grad: „Ich habe ein behindertes Kind“, sagt sie, „und ich habe es noch niemals herausgelassen aus unserer Hütte. Wollt ihr mitkommen?“

Befreiung aus dem häuslichen Gefängnis

Sophia und ihre Kollegen überlegen nicht lange, genau deshalb sind sie hierher gekommen: um vernachlässigte Kinder aus ihrem häuslichen Gefängnis zu befreien.

Fußmarsch durch das weit verstreute Hütten-Dorf. Es wird kaum geredet, die Spannung ist mit Händen zu greifen. Und dann sehen wir sie - die kleine Wajia, sechs Jahre alt.

Uns fällt sofort auf, wie wenig die junge Mutter sich um ihre Tochter kümmert. Es sind die Entwicklungshelfer, die sie an die Hand nehmen und hinaus führen auf den Dorfplatz zur Untersuchung. Wahrscheinlich zum ersten Mal in Wajias Leben.

Vollkommen blind ist das kleine Mädchen, der grüne Star hat ihr das Augenlicht geraubt. Warum, fragt Sophia die Mutter hast du deine Tochter bis heute eingesperrt?

„Sie kann doch gar nichts sehen“, sagt die Mutter, „hier draußen auf dem Platz wäre es einfach zu gefährlich für sie!“

Sophia Mohammed, Gesundheitsberaterin

»„Ich bin so traurig. Es gibt unglaublich viele ähnliche Fälle in dieser Region. Wajia, ein Kind in diesem Alter, sollte mit seinen Freunden und Freundinnen spielen, und nicht weggeschlossen werden. So etwas zu sehen, das tut mir unendlich weh.“«

Für eine einfache Operation, die das  Augenlicht von Wajia gerettet hätte, ist es längst zu spät. Warum sie jetzt weint, wir wagen nicht, sie zu fragen. Wegen der Schmerzen, die der Augeninnendruck ihr verursacht? Weil sie jetzt verstanden hat, dass sie niemals mehr sehen kann? Weil sie eigentlich gar nicht dieses Stöckchen nehmen will, um das Laufen zu üben? Oder weil sie überwältigt ist vor der allgemeinen Aufmerksamkeit, die sie noch nie zuvor gespürt hat? Wer weiß.

Am nächsten Morgen: Wir besuchen eine Augenarztpraxis in der Stadt Mundri. Die Entwicklungshelfer ziehen Fachleute zu Rate, wenn sie Kinder wie Wajia getroffen haben, und selbst nicht weiter wissen. Gerade in der Region um Mundri, so erklärt uns die angehende Ärztin Salome, gibt es überdurchschnittlich viele Krankheiten: Epilepsie, alle erdenklichen Augenkrankheiten, Schädigung lebenswichtiger Organe. Hervorgerufen durch Viren und Bakterien, durch fehlende ärztliche Versorgung, durch Unterernährung, durch denkbar schlechte Hygiene; auch dies eine Folge des Bürgerkriegs.

Jedes fünfte Kind kann nicht richtig sehen

Kaum ein Kind, das hier im Süden des Südsudan wirklich kerngesund ist, allein jedes fünfte kann nicht richtig sehen. Gemeinsam besuchen wir ein zweites Mal die Patientin Wajia Datiwa.

Selbst Salome ist keine ausgebildete Augenärztin, lediglich zwei Jahre lang hat sie eine Schnellausbildung genossen. Und dennoch: sie ist das Beste, was die ganze Region zu bieten hat.

Wieder sitzt die Mutter teilnahmslos dabei, während Salome die Augen ihrer Tochter untersucht. Bald wird Wajia in ein Hospital gebracht werden, zu einer Operation. Dadurch kann man den Überdruck in den Augen mindern, und die Schmerzen. Mehr aber geht nicht.

Hilfe durch das "Child-to-Child-Programm"

Salome Sara Wilson, ärztliche Pflegerin

»„Es gibt keine Heilungschancen. Damit die Krankheit nicht das Ende von Wajias Leben ist, versuchen wir jetzt, die Mutter aufzuklären, damit sie sich endlich um Wajia kümmert. Die Kleine wird mit anderen Kindern zur Schule gehen, sie wird Wasser holen, sie wird auch kochen können. Ihre Krankheit ist nicht das Ende ihres Lebens, Wajia ist ein wichtiges Mitglied ihrer Familie.“«

Und dann beginnt das sogenannte „Child-to-Child-Programm“, organisiert von den Entwicklungshelfern: Kinder aus der Nachbarschaft sollen mit den behinderten und vernachlässigten Kindern spielen. Es wird getanzt und gesungen. Was Wajia nie mehr zurück bekommt wird, das sind die letzten sechs Jahre und ihr Augenlicht. Und trotzdem: sie genießt jede Sekunde. Ihr Leben hat sich seit gestern zum Besseren gewendet.

Autor: Thomas Aders

Stand: 22.04.2014 14:05 Uhr

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