So., 29.01.23 | 23:35 Uhr
Das Erste
Hernan Diaz: "Treue"
Am Anfang war das Geld! Wie Hernan Diaz ein Familiendrama als großen amerikanischen Mythos erzählt!
Unendlicher Reichtum! Paläste in New York! Hauskonzerte! Sanatorien in der Schweiz! Und ein bisschen Morphium dann und wann. Daraus bestehen ja seit alter Zeit die großen Geschichten. Und wenn Hernan Diaz seinen neuen Roman "Treue" beginnt, sieht es auch für einen Moment so aus, als wolle er diese Erzählung eben genau wie einst Thomas Mann oder Balzac aufziehen. Da lesen wir also staunend vom immens reichen, menschenscheuen Börsenspekulanten Benjamin Rask, der in Wirklichkeit Andrew Bevel ist, erforscht von einer Ida Partenza, aber gemacht von seiner Frau Mildred: Denn hinter jedem großem Mann steht eine kluge Frau – auch wenn es hier etwas dauert, bis wir das verstanden haben.
"Die Verrenkungen des Geldes faszinierten ihn immer mehr – es ließ sich so im Kreis biegen, dass man es mit seinem eigenen Körper mästen konnte. Die isolierte, selbstgenügsame Natur der Spekulation entsprach Benjamins Charakter, war für ihn Quell des Staunens und allein Zweck genug, ungeachtet all dessen, was seine Einkünfte bedeuteten oder ihm ermöglichten. Jeglicher Luxus war eine vulgäre Bürde."
Geld ist reine Fiktion, wie wir alle wissen. Ein Roman über Geld wäre somit Fiktion über Fiktion: Er kann also nichts anderes sein als die reine Wahrheit. Und so ist Hernan Diaz' raffiniert konstruiertes, sprachmächtig erzähltes Buch nicht nur die verblüffende Geschichte einer Emanzipation, sondern der höchst anschauliche Beweis, wie Erfindung auf die Realität zurückwirkt.
Der Kapitalismus, lernen wir, ist am Ende. Aber die Literatur lebt.
Hernan Diaz, geboren 1973 in Argentinien, wuchs in Schweden auf und lebt jetzt in New York. Schon mit seinem ersten Roman "In der Ferne" war er für den Pulitzer Preis nominiert.
Stand: 29.01.2023 18:00 Uhr
Kommentare