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Denis Scheck kommentiert die Top Ten Sachbuch

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Denis Scheck kommentiert die Top Ten Sachbuch | Video verfügbar bis 17.03.2029 | Bild: DasErste.de

Platz 10) Giovanni di Lorenzo: "Vom Leben und anderen Zumutungen"

Es liegt etwas eigentümlich Tröstliches in diesem Interviewbuch des "Zeit"-Chefredakteurs aus den letzten zehn Jahren mit so unterschiedlichen Menschen wie Papst Franziskus, Christian Drosten und Bully Herbig. Das liegt einerseits an der reflektierten Fragetechnik di Lorenzos. Aber auch an Eingeständnissen seiner Gesprächspartner, etwa wenn Reinhold Messner in einem Interview bekennt, dass ihm während der Durchquerung der Wüste Gobi und der Besteigung des Altai-Gebirges an seinem 60. Geburtstag "mehr oder weniger die Erkenntnis" kam, "dass ich so etwas in Zukunft doch lieber lassen sollte".

Platz 9) Leonie Schöler: "Beklaute Frauen"

Eine eingängig geschriebene Handreichung über den sogenannten "Gender Bias", also den geschlechtsbezogenen Verzerrungseffekt, der dafür sorgt, daß Frauen in der Wissenschaft, der Kunst, ja dem gesellschaftlichen Leben insgesamt grob benachteiligt wurden – und werden. Übrigens – und keineswegs natürlich – auch in der Literatur. Höchste Zeit, dass wir den Mut aufbringen, das zu ändern.

Platz 8) Anders Indset: "Wikinger Kodex – Warum Norweger so erfolgreich sind"

Ein ärgerliches, weil schon in seiner Konzeption absurdes Buch voller lahmer Fußballanekdoten, windelweichem Psychogebabbel und absurden Aussagen wie: "Der Wikinger-Kodex ist der Versuch, ein Rezept dafür zu finden, wie wir alle ein sinnvolleres Leben führen können, indem wir uns über unsere eigenen Erfolge freuen und gleichzeitig andere anfeuern, um eine bewusste Kultur des Lernens und Fortschritts zu schaffen." Das historische Gedächtnis der Heiligen Stadt Köln reicht lange genug zurück, um uns daran zu erinnern, dass der Besuch der Wikinger im Jahr 881 am Rhein eher weniger dazu betrug, so eine "bewusste Kultur des Lernens und Fortschritts" in dieser Stadt zu etablieren.

Platz 7) Heinz Bude: "Abschied von den Boomern"

Was für ein Vergnügen, diesen facettenreichen soziologischen Essay über die Generation der zwischen 1955 und 1970 geborenen Deutschen lesen zu dürfen, die heute immerhin 30 Prozent der Gesamtbevölkerung stellen, die den Bedeutungsverlust von Klasse als gesellschaftlicher Kategorie erlebten und die, so sie denn schlau waren, Bildung als Königsweg zur Selbstbestimmung entdeckten.

Platz 6) Brianna Wiest: "101 Essays, die dein Leben verändern werden"

Brianna Wiest vermag in ihren Kurzessays die entscheidenden Fragen des Lebens auf überzeugende Art herunterzubrechen, ohne unzulässig zu vereinfachen, etwa wenn sie schreibt: „Es spielt letztlich keine Rolle, ob du Lehrer, Student, Redakteur oder Bauarbeiter bist. Wichtig ist, welche Art von Person du sein möchtest. … Was soll bei deiner Beerdigung über dich gesagt werden?“

Platz 5) Uschi Glas: "Ein Schätzchen war ich nie"

Auf Seite Zwei dieser mit Olaf Köhne und Peter Käfferlein von gleich zwei Ghostwritern verfassten Autobiographie erfahre ich: "Im Grunde schwamm ich in allen Lebensphasen gegen den Strom, auch wenn ich mir dadurch manches mit Anlauf und Ansage verbaute." Wir alle wissen, wie Innen- und Außensicht auf unser Leben mitunter differieren. Wenn wir uns darauf einigen, dass die großen Unangepassten, Widerständigen und Eigensinnigen im 20. Jahrhundert Heinz Rühmann, Peter Alexander und Marika Rökk hießen, dann zählt sicher auch Uschi Glas dazu. Für uns übrigen gilt das kölsche Verdikt: "Schätzelchen, verzäll ken Kokolores."

Platz 4) Axel Hacke: "Über die Heiterkeit in schwierigen Zeiten …"

Wie man auch in dunkelsten Jahren seinen Humor nicht verliert, beschreibt Axel Hacke unter anderem in einem Kapitel über den großen Kabarettisten Werner Finck, der von den Nazis in ein Konzentrationslager gesteckt und von Goebbels persönlich verfolgt wurde. Finck überlebte und schrieb 1945: "Ich fürchtete mich aber nicht, weil ich lange voraus wusste, dass er sterben würde; denn sein Wahlspruch hieß: "Siegen oder sterben!" Diese Art von Heiterkeit schützt auch vor Wladimir Putin & Co.

Platz 3) Uwe Wittstock: "Marseille 1940"

In einem extrem spannenden historischen Kaleidoskop zeichnet Uwe Wittstock ein Bild des heldenhaften Amerikaners Varian Fry, der in Marseille nach der Besetzung weiter Teile Frankreichs durch deutsche Truppen ein Netzwerk aufbaut, das Tausenden von Künstlern und Intellektuellen die Flucht vor den Nazis ermöglicht. Kenntnisreich und kundig collagiert, ein grandioser historischer Bilderbogen, spannend wie ein Thriller.

Platz 2) Florian Illies: "Zauber der Stille"

Nicht nur erfahre ich aus diesem Buch, dass Walt Disney ausgerechnet von Thomas Mann auf den Stoff zu "Bambi" aufmerksam gemacht wurde, für dessen Verfilmung dann Caspar David Friedrichs Waldbilder Pate standen – Florian Illies gelingt mit unwahrscheinlich leichter Hand ein kluger und klarer Essay darüber, welche metaphysischen Sehnsüchte die Bilder des Romantikers Caspar David Friedrich in uns bis heute ansprechen.

Platz 1) Peter Hahne: "Ist das Euer Ernst?!"

Endlich ein neues Pointenfeuerwerk des Star-Comedians der deutschen Stammtische Peter Hahne! Beim Schreiben und Denken überholt sich dieser Altmeister der Katachrese selbst gern rechts, was auch in diesem Buch zu schönen Stilblüten führt wie: "Das Virus der Unversöhnlichkeit hat unsere Gesellschaft jedoch inzwischen wie ein Krebsgeschwür zerstört." "Im Gleichschritt und im Blindflug geht’s dem Abgrund entgegen." "Wer Recht und Gesetz nur einen Spalt breit nivelliert, erntet eine Flut von Kriminalität." Und besonders schön: "Das Land geht vor die Hunde, doch danach kräht kein Hahn." Nur Hahne.  

Stand: 18.03.2024 08:31 Uhr

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