So., 22.05.22 | 23:35 Uhr
Das Erste
Fatma Aydemir: Die Geister, die man rief
Anhand mehrerer Generationen der Familie Yilmaz führt Fatma Aydemir in die Seele von Arbeitsmigranten im "kalten, herzlosen" Deutschland, zu den Geistern der Vergangenheit und Gegenwart und in den Gendertrouble vor über 20 Jahren.
Ein Dschinn ist ein Geist, aber er kann Dämon oder Schutzgottheit gleichermaßen sein. In Fatma Aydemirs Buch sind gleich mehrere körperlose Wesen unterwegs, die für das stehen, was nicht gesagt, nicht kommuniziert wird. Sechs Kapitel führen zu den persönlichen Dschinns der Familie Yilmaz, die in Istanbul zusammenkommt, weil der Vater dort einem Herzinfarkt erliegt. Fast dreißig Jahre lang hat er auf eine Wohnung in seiner Sehnsuchtsstadt hingearbeitet, hat seinen Körper im Ruhrgebiet zerschlissen, aber die neue Heimat, die er seiner Familie damit bereiten will kann er nicht mal einen Tag lang genießen.
Zur Beerdigung trifft man sich im heißen Istanbuler August. Zwei Söhne und zwei Töchter und auch seine Frau Emine, denen jeweils ein Kapitel gewidmet ist, tragen ihre eigenen Päckchen: Frausein in einer patriarchalischen Gesellschaft, Junge sein in einem heteronormen Umfeld, Studentin sein mit bildungsfernem Hintergrund… alle diese Konflikte kommen mit eigenen Stimmen und eigener Musikalität zur Sprache. "Dschinns" ist Fatma Aydemirs zweiter Roman nach ihrem preisgekrönten Debüt "Ellbogen".
Die Zeit zum Schreiben muss sich die 1987 in Karlsruhe geborene Aydemir neben ihrem Job als Journalistin und Kolumnistin nehmen. Ihre literarischen Themen nimmt sie aus der eigenen Biografie: Ihre Großeltern sind als Arbeitsmigranten aus der Türkei nach Deutschland gekommen, als Fatma Aydemirs Eltern Teenager waren. Für die genaue Schilderung der Befindlichkeiten hat die Autorin viele Gespräche während des Schreibprozesses geführt. Im Gespräch mit Denis Scheck erzählt sie über die Entstehung dieses Familienromans, der genauso sanft wie wütend, genauso aktuell wie zeitlos ist und eine große Leseempfehlung dieses Frühjahrs.
Fatma Aydemir: "Dschinns"
Stand: 22.05.2022 18:25 Uhr
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