So., 22.05.22 | 23:35 Uhr
Das Erste
Denis Scheck empfiehlt: "Die Diplomatin" von Lucy Fricke
Ich möchte Ihnen eine starke Frau vorstellen. Eine, deren Sache anders als vieler ihrer Generationsgenossinnen nicht Achtsamkeit, nicht Wellness und nicht Work-Life-Balance ist. Die nicht hadert, sondern handelt. Friederike Andermann heißt diese Frau, lässt sich aber von allen nur "Fred" nennen. Ein Arbeiterkind. Single nach zwei gescheiterten Ehen. Tochter einer alleinerziehenden Hamburger Kellnerin. Heute aber deutsche Botschafterin in Montevideo. Später Konsulin in Erdogans Istanbul. Mit allen Narben des Klassismus, die so ein sozialer Aufstieg eben mit sich bringt.
Fred ist die Hauptfigur in Lucy Frickes Roman "Die Diplomatin." Fred hat Probleme. In Uruguay wird die Tochter einer deutschen Verlegerin vermisst. Der Krisenstab im Auswärtigen Amt spielt das altbekannte "blame game". Spätestens als die Leiche der jungen Deutschen auftaucht, sucht man dringend einen Sündenbock. Allein schon für die Schilderung dieser Videokonferenzen lohnt sich die Lektüre von Lucy Frickes Roman.
Aber in Istanbul verschärfen sich die Konflikte für Fred noch einmal: In Erdogans immer klarer als Unrechtsstaat und Diktatur erkennbarer Türkei sitzt eine Kuratorin im Gefängnis, ihr Sohn wird mit einer Ausreisesperre belegt, ein Journalist wird drangsaliert. Alle haben einen deutschen Pass, alle wenden sich an die Diplomatin Fred – und die steht vor einem Dilemma: helfen oder mitschuldig werden?
Lucy Fricke gelingt das Kunststück, einen höchst spannenden, unterhaltsamen und humorvollen politischen Roman aus der Welt der Diplomatie zu schreiben, deren Regel Nummer eins lautet: "Lächeln, lügen, Lachs fressen". Ein Buch, dem die Quadratur des Kreises gelingt. Also vertrauen Sie mir und lesen Sie "Die Diplomatin" von Lucy Fricke, erschienen im Claasen Verlag.
Stand: 22.05.2022 18:27 Uhr
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