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"ttt" investigativ: Wie Datenarbeiter für KI ausgebeutet werden

Das Buch "Feeding the Machine" und eine Recherche in Kenia

Eine Klickarbeiterin in Kenia scannt Videomaterial für ein KI-Dienstleistungsunternehmen
Eine Klickarbeiterin in Kenia scannt Videomaterial für ein KI-Dienstleistungsunternehmen | Bild: hr

Künstliche Intelligenzen, gerade Chatbots wie ChatGPT, begeistern viele, vor allem, weil sie so praktisch und so menschlich wirken – bei all ihrer Künstlichkeit. Scheinbar mühelos werden in wenigen Sekunden Informationen über alle möglichen Themen aufgerufen, manchmal sogar einfühlsame Antworten auf persönliche Lebensfragen geliefert. "Ironischerweise", sagt der Internet-Geograph Mark Graham im Interview mit "ttt", "sind es Menschen, die die Künstliche Intelligenz menschlich wirken lassen, während die Maschine die Menschen wiederum zu Maschinen macht."

Genau diese Menschen trifft "ttt" während einer investigativen Recherche in Nairobi, Kenias Hauptstadt. Denn die Arbeiter:innen, die in ihrer stumpfsinnigen und erschöpfenden Klick-Arbeit KI-Software mit ihrem menschlichen Wissen und Verhalten trainieren, stehen unter großem Druck und dürfen eigentlich nicht über ihre Arbeit reden. Darunter ist Rachel (Name v. d. Red. geändert), die für ein KI-Dienstleistungsunternehmen bei Sportübertragungen zählt, wie oft und wie lange ein Werbepartner auftaucht. Laut Rachel für weniger als 1 Dollar die Stunde, derzeit sogar ohne gültigen Vertrag und unter strenger Kontrolle ihres Arbeitgebers: Wenn sie ihr Tagesziel nicht erreicht, bearbeitet sie die Videos außerhalb der Arbeitszeit, weil sie Sorge hat, sonst entlassen zu werden. Rachel trainiert mutmaßlich eine KI, die den Auftritt jener Werbepartner irgendwann automatisiert erfassen soll. Genaueres über den Zweck ihrer Arbeit weiß sie nicht und Geheimhaltung gehört auch häufig zum Auftrag der KI-Subunternehmer, die meist für große Firmen wie Alphabet, Amazon oder OpenAI Aufträge erledigen.

Das sagt Mark Graham, der zusammen mit seinen Kollegen James Muldoon und Callum Cant vom Oxford Internet Institute das Buch "Feeding the Machine – Hinter den Kulissen der KI-Imperien" (Harper Collins Verlag) geschrieben hat. Es gibt demnach auch Datenarbeiter:innen, die Künstliche Intelligenzen für kriegerische Zwecke trainieren, aber darüber im Unklaren gelassen werden. Tatsächlich wird KI in sehr vielen Branchen angewendet und die Konsument:innen sind sich dessen selten bewusst.

Zehn Jahre Forschung und 200 Interviews stecken in "Feeding the Machine" und die Wissenschaftler wollen damit nachzeichnen, dass hinter Künstlichen Intelligenzen ein System globaler Ungleichheit liegt. In ihrem Buch beschreiben sie den KI-Sektor als gigantische "Extraktionsmaschine", die auf extremer Ausbeutung von menschlicher Arbeitskraft basiert. Die Klickarbeiter:innen leben meistens im sogenannten Globalen Süden, z.B. in Kenia, wo die Region um Nairobi aus diesem Grund "Silicon Savannah" getauft wurde. Hier ermöglichen Arbeiter:innen unter härtesten Bedingungen die Erfolge der milliardenschweren KI-Software-Unternehmen, die u.a. eben im kalifornischen Silicon Valley sitzen. Diese Ausbeutungsdynamik vergleicht Graham in seinem Buch letztlich mit der des Kolonialismus.

"ttt" spricht außerdem mit dem Gewerkschafter Mophat Okinyi, der im Interview angibt, in einem Subunternehmen in Nairobi ChatGPT trainiert zu haben. Er erzählt, wie er wohl über Monate hinweg die Software von Texten über sexuelle Gewalt an Kindern und Erwachsenen, sogar an Leichen, säubern musste und wie diese Arbeit ihn traumatisiert hätte.

Beitrag: Carla Reitter/Anne Fleischmann

Buchtipp
James Muldoon, Mark Graham, Callum Cant: "Feeding the Machine. Hinter den Kulissen der KI-Imperien"
Harper Collins Verlag, 320 Seiten, 24 Euro
27. Mai 2025

Stand: 20.06.2025 14:04 Uhr

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