So., 22.06.25 | 23:05 Uhr
Rechtsextreme Gewalt nimmt drastisch zu
Warum sind gerade junge Männer immer empfänglicher für rechtsradikale Ideologie?

Rechtsextreme Straftaten in Deutschland erreichen ein Rekordhoch: um fast 50 Prozent sind sie laut Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2024 gestiegen. Nazi-Sticker, Hakenkreuze an Schulen – und auf der Straße zeigen sich die Rechtsextremen wieder offen bei Attacken auf Christopher Street Day-Paraden oder bei Neonazi-Aufmärschen. Dazu kommen Angriffe auf Politiker:innen, Flüchtlingsheime und Brandstiftung. Die Verhaftung von Mitgliedern der "Letzten Verteidigungswelle" und die Bildung weiterer neuer rechter Gruppen zeigt: Die Täter werden immer jünger. Warum suchen gerade junge Männer und Jugendliche nach einer Zugehörigkeit zu rechtsextremen Gruppen oder Parteien?
"Wir sehen, dass sich hier eine neue rechtsextreme Jugendkultur manifestiert, die sich offen zeigt mit Symbolen und Dresscodes", sagt Soziologe und Rechtsextremismusforscher Matthias Quent. Rückenwind gebe den rechtsextremen Bewegungen ein gesellschaftliches Klima, das sich auch in europäischen Parlamenten und in Amerika stark nach rechts verschiebt. Bei den männlichen 18- bis 24-Jährigen war die rechtsextreme AfD bei der Bundestagswahl mit Abstand stärkste Kraft, während junge Frauen eher links wählten. "Wir dachten lange, das wäre ein Problem von alten Männern, aber das ist unsere Zukunft, die so wählt, die auch diese Ideologien haben", sagt die Autorin Susanne Kaiser. Sie forscht zu Geschlechterungerechtigkeit und männlichen Identitätsfragen, hat dazu bereits vor Jahren im Darknet recherchiert. Heute stellt sie fest, dass das "Alphamännerbild" von kämpferischer Maskulinität, dem starken Mann, der die Kontrolle habe und alle Entscheidungen fälle, immer mächtiger wird. Donald Trump, Elon Musk, TikTok und Instagram erheben es zum "Mainstream", millionenfach multipliziert in den sozialen Medien. "Über vermeintlich harmlose Themen wie Fitness, Kampfsport und Dating-Tipps findet eine Radikalisierung ins rechtsextreme Milieu hinein statt", so Kaiser. Wenn sich derartige Inhalte normalisieren, führe das dazu, dass auch die Gewaltbereitschaft zunehme. Gerade junge Menschen in der Phase der Selbstsuche und des Austarierens von Geschlechtern werden hier ganz gezielt rekrutiert – bestärkt durch das Gefühl, Teil einer globalen Bewegung der "starken Männer" zu sein, sagt Kaiser.
Das Männerbild der Rechtsextremen könne denen Orientierung bieten, die durch gesellschaftliche Entwicklungen irritiert sind, so Matthias Quent. Die Algorithmen in den sozialen Medien radikalisierten die bestehenden Spannungen in der Gesellschaft.
Untersuchungen zeigten, dass rechtsextreme Einstellungen, die stark sexistisch und an hegemonialer Männlichkeit orientiert seien, insbesondere bei bildungsferneren Männern aus tendenziell ländlichen Regionen verfangen. Eine Gesellschaft im Wandel wie unsere, die Geschlechtergerechtigkeit fordere und erste Erfolge erzielt habe, aber die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen noch nicht angepasst habe, sei besonders gefährdet.
Was bedeutet es, wenn sich diese rechtsextremen Orientierungen bei jungen Männern verfestigen und immer größere Netzwerke entstehen? Wie wichtig der Umgang von Politik und Gesellschaft mit dieser Situation ist, zeigen Studien über Ostdeutschland: Während rechtsextreme Einstellungen hier unter jungen Männern genauso verbreitet sind wie in Westdeutschland, ist die Gefahr, Opfer rechtsextremer Gewalt zu werden, höher. Forscher:innen machen dafür die soziale Akzeptanz von Rechtsextremismus verantwortlich. Wie aber kann die wehrhafte Demokratie gestärkt werden, wenn gerade bei Jugendarbeit und Sozialarbeit stark gekürzt wird?
"ttt" spricht mit der Autorin Susanne Kaiser und dem Rechtsextremismusforscher Matthias Quent über die gezielte Manipulation in den sozialen Medien, über fehlende alternative Angebote für junge Männer und darüber, warum ein Backlash in der Geschlechterfrage nur den Rechten nutzt.
Beitrag: Katja Deiß
Stand: 20.06.2025 14:29 Uhr
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