UN-Welternährungsorganisation: Von China für eigene Ziele instrumentalisiert?

Seit vier Jahren wird die Welternährungsorganisation, kurz FAO, von einem Chinesen geleitet: Qu Dongyu. Anfang Juli wurde er von den Mitgliedsstaaten der FAO für weitere vier Jahre im Amt bestätigt. Doch Recherchen von SWR, BR, MDR, RBB und dem ARD-Studio Rom zeigen: Seine erste Amtszeit nutzte Qu, um die FAO nach den Interessen Chinas umzugestalten.  

Eines seiner Kernprojekte: die sogenannte "Hand-in-Hand"-Initiative. Dabei will die FAO Länder bei der Erstellung von Investitionsplänen unterstützen und dafür später Investoren vermitteln. REPORT MAINZ aber zeigt, dass einige der Projekte sich nicht an den Bedürfnissen der Menschen vor Ort orientieren, sondern auch an den Zielen der chinesischen Neuen Seidenstraße. 

Text des Beitrags:

Wir sind auf einer kleinen Insel in Westafrika. Frauen warten am Strand auf ihre Männer. Stundenlang sind die in solchen Booten auf dem offenen Meer unterwegs - um die ganze Familie zu ernähren. Doch die Ausbeute: mager.

Marcos, Fischer
"Vor ein paar Jahren war es noch besser. Es gab mehr Fisch. Aber jetzt ist er weg."

Auch in Laos, einem Nachbarland Chinas, kämpfen Familien jeden Tag darum, satt zu werden.

Chanti Souphantalay, Kleinbäuerin in Laos:
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Wir leben von dem, was uns der Wald hergibt."

Der Kampf um Nahrungsmittelsicherheit: Genau hier setzt die "Food and Agriculture Organization", kurz FAO, an. Bis 2030 will die Welternährungsorganisation mit Sitz in Rom den Hunger in der Welt beenden. Das Budget der FAO kommt von den Mitgliedsstaaten. Und Deutschland zahlt einen wesentlichen Teil: allein im Jahr 2021 mehr als 100 Millionen US-Dollar. Der Vorsitzende wird von den Mitgliedstaaten gewählt.

Frühjahr 2019. Im Rennen um den Posten des FAO-Generaldirektors sind fünf Kandidaten - aus China, Indien, Kamerun, Georgien und Frankreich. Doch dann ziehen sich der Kandidat aus Kamerun und der Kandidat aus Indien zurück. Im Vorfeld der Wahl hatte China Kamerun knapp 80 Millionen Dollar Schulden erlassen.

Bei der Wahl vor vier Jahren gab Julia Klöckner, damals Bundeslandwirtschaftsministerin, die deutsche Stimme ab. An den Tag der Wahl erinnert sie sich so:

Julia Klöckner
Julia Klöckner | Bild: SWR

Julia Klöckner, CDU, ehemalige Bundeslandwirtschaftsministerin:
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Dann wurde schon klar, mit welchen Mitteln im Vorfeld gespielt wurde und in dem ein oder anderen Gespräch kam raus, welche tollen Reisen Botschaftern bezahlt worden sind für sie und ihre ganzen Familien. Und so sickerte dann nach und nach durch, bevor die Wahlgänge dann stattfanden, dass gerade afrikanische Staaten doch bitte ein Foto von ihrem Wahlzettel in der Wahlkabine machen sollten."

FAO-Projekt im Einklang mit der Seidenstraße

Gerüchte machen sich breit: Wurden Länder bei der Wahl womöglich beeinflusst? Telefone zumindest wurden daraufhin in den Wahlkabinen verboten. Zur Wahl: noch drei Kandidaten - aus Frankreich, Georgien und China.

Julia Klöckner, (CDU), frühere Bundeslandwirtschaftsministerin:
"Und dann war das eine ziemlich skurrile Situation in Rom, weil die inhaltliche Vorstellung so klar war, wo der Favorit sein musste, nämlich bei der Französin!"

Doch der neue Generaldirektor der FAO heißt nach nur einem Wahlgang: Qu Dongyu.

Warum ist China die FAO offenbar so wichtig? Bei der FAO arbeitet jemand, der genau darüber sprechen möchte. Aus Angst um seinen Job will der Insider nicht erkannt werden.

Insider:
"In den letzten vier Jahren hat sich sehr viel verändert. (...) Und ich habe das Gefühl, dass China die FAO zu ihren eigenen Zwecken nutzt. Und mit Zwecken meine ich vor allem geopolitische Zwecke und Interessen."

Reporter von SWR, BR, MDR und RBB bekommen Daten aus dem Inneren der FAO zugespielt. Wir finden ein vom chinesischen Landwirtschaftsministerium finanziertes Projekt. Es geht unter anderem um Rinder, die in Laos geimpft werden sollen, um sie dann nach China zu exportieren.

In einer internen Beschreibung heißt es, das Projekt stehe im Einklang mit der "Neuen Seidenstraße Initiative". Auch genannt: "One Belt-One Road". 2013 hat China sein weltweites Infrastrukturprojekt gestartet. Seitdem fließt viel Geld nach Asien, Afrika und Europa. Das Ziel: Abhängigkeiten schaffen und Einfluss gewinnen.

Laos ist als Nachbarland Chinas ein wichtiger Teil der Seidenstraße. China baute dort eine 414 Kilometer lange Eisenbahnstrecke, um Laos mit China zu verbinden. Laos ist seitdem hoch verschuldet, aber interessant für chinesische Investoren.

Was bedeutet es aber, wenn chinesische Investoren nach Laos kommen? Ein Beispiel: Wir treffen eine Kleinbäuerin im Norden von Laos. Bisher lebten sie und ihre Familie von dem, was sie auf den Feldern anbauten. Doch heute sind sie verzweifelt. Warum, das wollen sie und ihre Familie uns gleich zeigen.

Chanti Souphantalay
Chanti Souphantalay | Bild: SWR

Chanti Souphantalay, Kleinbäuerin in Laos:
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Es ist alles tot und verdorrt. Und dann müssen wir auch noch der Bank das Geld für die Pflüge zurückgeben. Wenn die Chinesen im Dezember kommen, können wir nichts zurückzahlen. Es ist alles verdorrt. Was sollen wir ihnen bloß geben?"

Tourismus fördern statt Hunger bekämpfen

Dabei war die Hoffnung so groß: Chinesische Händler hatten dem ganzen Dorf Maniok-Pflanzen angeboten, um sie auf den Feldern anzubauen. Die Händler versprachen den Familien, ihnen die nahrhaften Wurzelknollen nach der Ernte in großer Stückzahl abzukaufen. Doch weil sie im Dorf nicht wussten, wie sie mit den Setzlingen hätten umgehen müssen, ging alles kaputt. Das Dorf steht vor dem Nichts.

Chanti Souphantalay, Kleinbäuerin in Laos:
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Die Händler haben uns komplett fallen gelassen. Alles weg - interessiert die doch nicht."

Phil Robertson, Direktor von "Human Rights Watch" in Asien, sieht das Vorgehen chinesischer Investoren in Laos seit Jahren kritisch.

Phil Robertson, Human Rights Watch Asien:
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China hat eine sehr arrogante Haltung gegenüber seinen armen kleineren Nachbarn. Sie wissen, dass Länder wie Laos als Vasallenstaaten angesehen werden, die China unterstützen und helfen sollen."

Auf der Webseite der FAO finden wir ein Papier, das für Investitionen in die laotische Landwirtschaft wirbt. Es ist Teil einer Initiative, die der chinesische Generaldirektor gleich zu Beginn seiner Amtszeit auf den Weg brachte - und die die FAO heute als eines ihrer "Flaggschiff"-Projekte bezeichnet: die sogenannte "Hand-in-Hand"-Initiative. Vergangenen Oktober stellte Generaldirektor Qu sein Kernprojekt auf einem Forum für Investoren in Rom vor:

Qu Dongyu
Qu Dongyu | Bild: picture alliance/dpa/AP | Andrew Medichini

Qu Dongyu, Generaldirektor FAO:
"'Hand in Hand' treibt ehrgeizige Programme unter nationaler Federführung und in nationaler Verantwortung voran, um so die Transformation der Agrarnahrungsmittelsysteme zu beschleunigen, Armut zu beseitigen, Hunger und Unterernährung zu beenden und Ungleichheiten zu verringern."

Das Ziel also: Die FAO unterstützt Länder des globalen Südens dabei, Investitionspläne für eigene Projekte zu entwickeln. Dafür möchte die FAO dann Investoren vermitteln - zum Beispiel aus der Privatwirtschaft.

In Laos sucht die FAO also nach Investoren für den Ausbau der Landwirtschaft - und zwar genau entlang der neuen Eisenbahnstrecke, Teil der Neuen Seidenstraße. Ein Ansatz, den China dort schon seit Jahren verfolgt.

Phil Robertson
Phil Robertson | Bild: SWR

Phil Robertson, Human Rights Watch Asien:
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Sie sprechen von großer Plantagenlandwirtschaft. Und was wir bisher gesehen haben, zum Beispiel bei den Bananenplantagen im Norden von Laos, ist, dass die Menschen ihr Land verlieren. Sie werden gezwungen, auf den Bananenplantagen zu arbeiten. Sie arbeiten sozusagen als verarmte Landarbeiter auf der großen Plantage eines anderen, damit ausländische Investoren und reiche laotische Parteiführer mehr Geld verdienen können. Wie die FAO also glaubt, dass dies den Bauern helfen wird, ist mir wirklich schleierhaft."

Wir finden ein weiteres Projekt der FAO an der Neuen Seidenstraße. Auf dem Inselstaat São Tomé und Príncipe promotet Qu mit seiner "Hand in Hand"-Initiative den Ausbau der Fischereiflotte, den Bau von Häfen, aber auch sehr viel Tourismus. Was hat dieses Investitionspapier mit dem wichtigsten Ziel der FAO, nämlich Hunger zu bekämpfen, zu tun? Wir wollen das selbst herausfinden - und fliegen hin.

2015 kündigte China auf der Insel den Bau eines neuen Tiefseehafens an. Ein Jahr später kappte der Inselstaat seine diplomatischen Beziehungen zu Taiwan, nahm dafür wieder Beziehungen zu China auf. Seit 2021 ist São Tomé und Príncipe nun auch Teil der chinesischen Seidenstraßen-Initiative.

São Tomé und Príncipe ist eines der ärmsten Länder der Welt. Eines der Hauptnahrungsmittel der Bewohner ist Fisch, doch der Atlantik ist nahezu leergefischt - durch die Industriefischerei aus Europa und Asien:

Marcos, Fischer:
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Die Ausbeute reicht heute nur noch, um die Familie zu ernähren, aber nicht, um noch Fisch auf dem Markt zu verkaufen."

Klöckner: "Wir haben Fehler gemacht"

Zurück in der Hauptstadt sind wir im Büro der FAO mit einem Vertreter der Organisation verabredet. Wir sprechen mit ihm per Videoschalte. Offenbar steht er voll hinter dem Investitionspapier, mit dem die FAO für Investoren auf São Tomé wirbt. Aus seiner Sicht sei Tourismus die Lösung im Kampf gegen die Armut des Inselstaats. Und es gehe in dem Papier ja auch um den Ausbau der Fischereiflotte. Die sei auch für die Ernährungssicherheit der Bevölkerung wichtig.

Lionel Kinadjian
Lionel Kinadjian | Bild: SWR

Lionel Kinadjian, FAO Zentralafrika:
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Die Touristen in São Tomé werden nicht kommen, um importiertes Hühnchen zu essen. Sie werden nach São Tomé kommen, um sehr guten und sehr schmackhaften Fisch und Meeresfrüchte zu essen. Es wird also gut für die Fischer sein, aber gleichzeitig wird das Angebot für die Bevölkerung geringer."

Weniger Fisch also für die Bevölkerung, dafür mehr für die Touristen? Nach den Plänen der FAO sollen viele von ihnen auf die Insel kommen. An diesem Hafen wirbt die FAO sogar um Investoren für einen Anleger für Kreuzfahrtschiffe. Dabei fehlt es auf der bitterarmen Insel an Strom, Infrastruktur, sogar Benzin.

Wir gehen an die Uni in São Tomé. Was sagt ein lokaler Wirtschaftswissenschaftler zu den Investitionsvorschlägen der FAO?

Célsio Quaresma
Célsio Quaresma | Bild: SWR

Célsio Quaresma, Universität São Tomé und Príncipe:
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In São Tomé ist es bekannt, dass ein großer Teil der Einnahmen aus dem Tourismus ins Ausland geht. Denn wenn wir die Unterkünfte, die Hotels, die Ausflüge, die Tickets, die Eintrittskarten, all das sehen. Ein großer Teil sind das Unternehmen, die nicht aus São Tomé kommen. Sie kaufen außerhalb und wir profitieren sehr wenig vom Tourismus."

Wir haben uns mehrere Projekte der "Hand-in-Hand"-Initiative angesehen. Bei einigen von ihnen erkennen wir eindeutig chinesische Interessen entlang des Projekts der Neuen Seidenstraße. Und das im Namen der UN-Ernährungsorganisation.

Die FAO selbst ließ all unsere Fragen unbeantwortet. Vor neun Tagen wurde Qu Dongyu für weitere vier Jahre im Amt bestätigt. Es trat kein Gegenkandidat der 194 Mitgliedsstaaten an.

Julia Klöckner, CDU, ehemalige Bundeslandwirtschaftsministerin:
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Klar, haben wir da Fehler gemacht, sicherlich. Aber ich habe den Eindruck, es ist überhaupt nicht wahrgenommen worden, dass die Wahl wieder ansteht. Und man denkt, irgendwie ist ja da gar nichts so schlimm."

Bislang sieht der Westen offenbar nur zu, wie China mit Hilfe einer UN-Organisation seinen eigenen Einfluss in der Welt versucht weiter auszubauen.

Stand: 12.07.2023 16:32 Uhr