Leidende Masthähnchen: Qualvoller Transport zum Schlachter

In Großbetrieben gemästete Hähnchen werden nach dem Ende der Mast vor allem von Fangkolonnen in Kisten verpackt und in Schlachthöfe transportiert. REPORT MAINZ hat von SOKO Tierschutz e.V. aktuelles Bildmaterial aus Niedersachsen zugespielt bekommen. Dieses zeigt, wie brutal Fangkolonnen bisweilen agieren.

Text des Beitrags:

Wir sind unterwegs im niedersächsischen Emsland. Hier steht eine Tiermastanlage neben der anderen. Vor allem viele Masthähnchenbetriebe befinden sich hier. Eine wollen wir an diesem Tag aufsuchen, einen Großbetrieb im Landkreis Meppen. Weit über 100.000 Tiere sind hier eingestallt. Wir wollen den Betriebsleiter sprechen, denn der Redaktion wurde Undercover-Material aus diesem Betrieb zugespielt. Vor Ort treffen wir niemanden an. Werden wir die Verantwortlichen später konfrontieren können?

Denn die Aufnahmen haben es in sich. Wir sehen viele verletzte, geschädigte, auch tote Tiere. Es sieht so aus, als lägen die Kadaver teilweise schon lange hier. Tierschützer haben auch diese Metallstange gefilmt, vorne wurde eine scharfe Spitze drauf gesteckt. Die Bilder zeigen: Damit spießen Mitarbeiter Tiere auf und entsorgen sie. Einige leben noch.

Von ihm haben wir die Videos bekommen: Friedrich Mülln von der Tierrechtsgruppe SOKO Tierschutz. Er zeigt uns Aufnahmen der Tiere vom letzten Tag im Stall, als eine sogenannte Ausstaller-Fangkolonne mit ihrer Arbeit beginnt. Er will uns vor allem auf eine Szene aufmerksam machen.

Friedrich Mülln im Gespräch mit unserem Autor
Friedrich Mülln im Gespräch mit unserem Autor | Bild: SWR

Friedrich Mülln, SOKO Tierschutz e. V.:
„Jetzt sehen wir hier eine Szene, die unfassbar ist. Da schubst eine der Ausstallerinnen einen Mitarbeiter der Aussteller-Kolonne in die Hühner rein. Und man muss ja wissen: Diese Hühner, die sind absolut fertig. Wenn man da nur draufdrückt, brechen schon die Beine. Und wenn man da eine erwachsene Person reinschubst, ist das natürlich für die Tiere verheerend. Und dann wird als Vergeltung der Person ein Huhn hinterhergeworfen - als wenn das irgendwie ein Schneeball wäre. Und ansonsten natürlich der ganz normale Wahnsinn. Die Tiere werden büschelweise gepflückt, kopfüber an den Beinen umhergetragen und dann in diese Kisten reingeratscht. Anders kann man es nicht ausdrücken.“

Bei der Ausstallerfirma handelt es sich um eine von rund 50 Firmen bundesweit, die vor allem Tiere aus Hähnchen-Großbetrieben verladen und diese in die Schlachthöfe bringen. Was macht diese Art der Verladung mit den Tieren? Wie ist dies zu bewerten?

Expertin bezeichnet das Vorgehen der Ausstaller als „Lust am Quälen“

Wir ziehen eine Expertin hinzu, Tierärztin Kirsten Tönnies. Sie leitet den Arbeitskreis Tierethik einer Vereinigung von Veterinären:

Kirsten Tönnies
Kirsten Tönnies | Bild: SWR

Kirsten Tönnies, Tierärztin:
„Das ist Lust am Quälen, am Leiden des anderen. Ansonsten trete ich nicht ohne jede Notwendigkeit auf so ein Tierchen einfach drauf und breche ihm damit den Brustkorb, die Knochen, die Flügel, die Beine. Im Prinzip ist das ein Sadismus. Das ist eine Perversion, die auch so ein bisschen da mit rauskommt. Das sind natürlich alles Straftaten, das sind keine Ordnungswidrigkeiten. Die Tiere werden bis zu ihrem Tode gequält.“

Eine eindeutige Bewertung durch die Veterinärin.

Betrieb will nicht Stellung nehmen

Wir versuchen daher den Geschäftsführer des Großbetriebs mit den Vorwürfen zu konfrontieren. Doch ein Interview wird abgelehnt. Nicht einmal das Bildmaterial will er sich anschauen. Wir haben es ihm mehrfach angeboten. Ein Anwalt des Unternehmens teilt mit:

Rechtsanwalt des Geflügelbetriebs:
„Unsere Mandantin arbeitet bei der Verladung von Tieren mit einem eigens hierfür zugelassenen Fachunternehmen zusammen, das über hohes Ansehen im Markt verfügt und bei dem es in der Vergangenheit (…) nie Anlass zu Beanstandungen (…) gegeben hat.“

Mitarbeiter werden entlassen

Wer ist dieses hoch angesehene Fachunternehmen? Wir fahren in den Ort, besuchen die Ausstallerfirma. Wir treffen Mitarbeiter, auch den Firmenchef. Sie wollen nicht gefilmt werden. Wir zeigen ihnen das Bildmaterial. Der Firmenchef erklärt, die im Bild zu sehenden Mitarbeiter würde man sofort entlassen. So würde man im Unternehmen nicht arbeiten. Also nur eine Ausnahme, alles nur ein Einzelfall?

Wir informieren das zuständige Veterinäramt im Emsland, zeigen den Amtsveterinären die Aufnahmen. Eine Antwort erhalten wir schriftlich: Man sehe „erhebliche Verstöße gegen geltendes Tierschutzrecht“, heißt es. Es würden „schwerkranke Einzeltiere gezeigt, die unverzüglich behandelt oder tierschutzgerecht getötet werden müssten“. Es seien auch „verendete Tiere im Stall zu sehen, die (…) nicht unverzüglich beseitigt wurden“. Die strafrechtliche Relevanz werde geprüft.

Grundsätzliche Probleme mit Fangkolonnen

Und eine weitere Frage steht im Raum: Enthemmt diese Arbeit nicht nach und nach die Mitarbeiter? Der Soziologe Marcel Sebastian hat sich mit dieser Frage wissenschaftlich befasst. Dazu hat er Interviews mit Menschen geführt, die in der landwirtschaftlichen Tierproduktion arbeiten.

Marcel Sebastian
Marcel Sebastian | Bild: SWR

Marcel Sebastian, Soziologe:
„Die Leute, die dort arbeiten und die dort auch länger arbeiten, die müssen dazu in der Lage sein, weitgehend unbetroffen zu sein davon, wenn sie so etwas sehen, wenn sie so ein Tierleid sehen. Man härtet mit der Zeit einfach ab. Jedes Mal wird es ein bisschen weniger besonders. Jedes Mal ist die Hemmschwelle geringer. In dem Fall kann man vielleicht auch schon fast von so einer Art Enthemmung sprechen.“

Kann also der Job die Mitarbeiter emotionslos oder sogar rabiat machen?

Tatsächlich ist es nicht das erste Mal, dass REPORT MAINZ über Tierquälereien von Fangkolonnen berichtet. Das Thema wird seit 2010 von uns immer wieder behandelt, weil die Redaktion ständig auch von Verstößen erfahren hat. Zudem stoßen wir auf eine ganze Reihe von Untersuchungen und Studien zum Thema. Immer wieder ist von verletzten Tieren die Rede, die im Schlachthof ankommen.

Politik bestätigt Rechercheergebnisse grundsätzlich und erstattet Strafanzeige

Auch im niedersächsischen Landwirtschaftsministerium ist das Thema präsent - nicht erst seit dem aktuellen Fall. Die Bilder liegen der höchsten niedersächsischen Aufsichtsbehörde vor und man hat bereits Strafanzeige erstattet. Die Ministerin weist jedoch auf grundsätzliche Probleme hin.

Miriam Staudte
Miriam Staudte | Bild: SWR

Miriam Staudte, B‘90/Die Grünen, niedersächsische Ministerin für Landwirtschaft:
„Wir haben immer wieder Hinweise darauf, dass es eben Fangschäden gibt, in den Schlachthöfen wird das festgestellt. Wir haben auch Rückmeldungen bekommen, dass beim letzten Lkw eines Transports immer mehr Schäden auftreten. Das heißt, die Menschen sind ermüdet, sie werden dann vielleicht rabiater.“

Expertin fordert eine Kontrolle auch der Ausstallungen

Wie lässt sich das Problem also eindämmen?

Kirsten Tönnies, Tierärztin:
„Die Tierärzte müssen den Bestand sozusagen abnehmen, bevor er zum Schlachter rausgeht. Warum stellen die sich nicht dorthin? Die wissen doch alle, was da passiert. Da würde ich mich immer hinstellen, dabeistehen, und dafür sorgen, dass wenigstens diese Grausamkeiten diesen Tieren, die ihr Leben lang sowieso nur leiden, dass die wenigstens noch erspart werden.“

Edgar Verheyen, Autor:
„Das heißt, das Ausstallen müsste auch kontrolliert werden?“

Kirsten Tönnies, Tierärztin:
„Ja, natürlich.“

Wann wurde also im aktuellen Fall der Betrieb zum letzten Mal kontrolliert? Wurde auch das Ausstallen jemals überwacht? Das zuständige Veterinäramt antwortet uns auf diese Fragen ganz allgemein:

Landkreis Emsland:
„Die amtliche Schlachtgeflügeluntersuchung erfolgt generell vor der Ausstallung. Die Verantwortung für eine tierschutzkonforme Durchführung der Ausstallung obliegt dem Tierhalter sowie dem mit der Verladung der Tiere beauftragten Unternehmen. Eine amtliche Überwachung des Ausstallvorgangs kann grundsätzlich nur stichprobenartig erfolgen.“

Damit ist klar: Wird das Ausstallen nicht permanent kontrolliert, bleiben Tierquälereien unentdeckt. Ein Armutszeugnis für die Amtsveterinäre.

Stand: 23.08.2023 15:54 Uhr