Ortungsgeräte: Stalking mit AirTags und SmartTags

Mit neuen smarten Trackern wie Apples AirTags oder Samsungs SmartTags lassen sich Gegenstände wie Schlüssel oder Taschen kinderleicht tracken und wiederfinden. Ziemlich praktisch. Doch unsere Recherchen zeigen: sie eignen sich auch perfekt zum Stalking. Sie sind kaum größer als eine Münze. Für wenig Geld und noch weniger Aufwand ist Cyberstalking so leicht wie nie zuvor. Die kleinen Gadgets lassen sich unbemerkt in Jackentaschen, an Autos oder überall sonst anbringen.

Die Journalistinnen Sonja Peteranderl und Anke Gehrmann treffen Stalking-Opfer, recherchieren erschreckende Fälle und stoßen auf neue, perfide Strategien von Tätern. Sie zeigen, wie schwer es ist, Stalking mit Trackern nachzuweisen. Von Expertinnen und Experten wollen sie wissen: Wie groß ist die Gefahr? Wie weit gehen die Stalker? Und wie schützen die Hersteller vor dem Stalking-Missbrauch ihrer Geräte?

Text des Beitrags:

Sie wurde zehn Jahre lang terrorisiert. Sonja Fierz, Personal Trainerin aus der Schweiz. Ein ehemaliger wohlhabender Kunde habe sie gestalkt und ihr hunderte Nachrichten geschrieben: 

Sonja Fierz
Sonja Fierz | Bild: SWR

Sonja Fierz, Stalking-Betroffene: 
"Bei jedem Schreiben, klar, da klopft der Puls. Dann muss man sich wieder regulieren. Dann habe ich Kunden verloren. Wenn ich ins Kino gegangen bin, mit meinen Freundinnen, ich habe ihnen gesagt: 'Einfach, dass ihr das wisst, es kann sein, dass ihr gefilmt, fotografiert werdet. Ich habe keine Ahnung.'"

Stalking durch Überwachungskameras und GPS-Tracker 

An ihrem Haus hätten Nachbarn Überwachungskameras entdeckt, in ihrem Auto sei ein GPS-Tracker gefunden worden. Der Stalker habe gewusst, wann sie aufsteht, wann sie joggen geht. 

Sonja Fierz, Stalking-Betroffene: 
"Das ist dann erst bei späteren Untersuchungen herausgekommen, dass er auch die Trainings abgehört hat. Da habe ich dann das schon auch realisiert, weil er begonnen hat, in seinen Nachrichten uns zu zitieren, was wir in der Stunde gesprochen haben."

Wegen des Psychoterrors habe sie sogar ihren Job verloren. 

Sonja Fierz, Stalking-Betroffene: 
"Das Thema psychische Gewalt, das habe ich erst viel später realisiert, was das ist. Und es war nicht greifbar. Wenn du zusammengeschlagen wirst, dann gehst du zur Polizei und sagst: So sehe ich jetzt aus und das ist passiert."

Doch sie habe nicht aufgegeben, ihr Leben weitergelebt, ein eigenes Fitnessstudio gegründet. 

Sie hat Ähnliches erlebt: Ivonne aus Leipzig.  Ihr Exfreund hat ihr acht Jahre lang nachgestellt und sie mehrmals körperlich attackiert. 

Ivonne, Stalking-Betroffene:
"Er ist immer dort aufgetaucht, wo ich mich aufgehalten habe. Und irgendwann hatte ich halt die Vermutung, dass ich vielleicht am Telefon oder in meinem Auto ein Peilsender oder irgendwas habe."

Eines Tages fand sie einen GPS-Tracker in ihrem Auto. 

Ivonne, Stalking-Betroffene: 
"Und hier befindet sich der Tracker. Das ist jetzt hier nur leicht zu sehen. Und hier sieht man es dann richtig: An der Batterie geklemmt, so dass der USB-Stick – also, es sieht aus wie ein USB-Stick – Strom erhält."

Mit neuer Technologie geht Stalking heute erschreckenderweise ganz einfach. Auf Social-Media gibt es viele Videos, in denen Frauen vor kleinen Trackern wie Apple AirTags oder Samsung SmartTags warnen: 

Missbrauch von AirTags und SmartTags 

Influencerin (@_ASHLEYSCARLETT / TIKTOK): 
"
Es war hier versteckt. Genau hier. Die ganze Zeit hier hinten drin."  

Influencerin (@CORRRRYYY / TIKTOK): 
"Sucht nach Airpods, nach Apple AirTags, suche dein Auto nach diesen Trackern ab. Du weißt nie, wer dich beobachtet."

Der Ravensburger Polizeipräsident Uwe Stürmer warnt vor Cyberstalking. Bei diesem Phänomen gebe es ein großes Dunkelfeld. 

Uwe Stürmer
Uwe Stürmer | Bild: SWR

Uwe Stürmer, Polizeipräsident Ravensburg: 
"Also das Problem ist, dass die digitale Nachstellung im Grunde genommen das Problem hat, nicht so richtig sichtbar zu werden. Wenn jemand jemandem hinterher läuft, wenn jemand jemanden im öffentlichen Raum, am Arbeitsplatz oder am Wohnort aufsucht, dann ist es wahrnehmbar für andere."

2022 mehr als 21.000 Stalkinganzeigen in Deutschland 

Wie groß ist das Phänomen Stalking in Deutschland eigentlich? Im Jahr 2022 erfasste das Bundeskriminalamt deutschlandweit mehr als 21.400 Stalkinganzeigen. Frauen wie Männer erleben Stalking. Doch Frauen sind deutlich häufiger betroffen. Rund 81 Prozent der Opfer sind Frauen. Bei den Tatverdächtigen ist das Verhältnis umgekehrt. Hier sind rund 82 Prozent Männer. 

Wie gefährlich Stalking enden kann, zeigt dieser Fall: 31. Oktober 2022. In Heide, in Schleswig-Holstein, erschießt ein Mann seine Exfrau: auf offener Straße vor den Augen ihres 13-jährigen Sohnes.  

Sonja Peteranderl, Journalistin:
"Zuvor war sie von Chemnitz aus mit ihrem Sohn quer durch Deutschland geflohen. Ihr Exmann hatte sie verfolgt und immer wieder aufgespürt, auch mit digitalen Mitteln. Die Frau hatte Zuflucht in mehreren Frauenhäusern gesucht. Bevor sie nach Schleswig-Holstein kam, war sie im Frauenhaus in Singen am Bodensee untergebracht, bei Claudia Zwiebel. Auch dort hatte der Mann sie aufgespürt. Woher wusste er, wo sie war?"

Claudia Zwiebel, Frauenhaus Singen:  
"Also, die Vermutung ist, dass es eben über eine App ging, wo die Frau sich Essen bestellt hat und möglicherweise das dann auch über ein gemeinsames Paypal-Konto bezahlt hat, so dass er sehen konnte, wann sie wo dieses Essen abholt."

Claudia Zwiebel beobachtet immer häufiger Fälle von Cyberstalking.  

Gefahren im Frauenhaus: AirTags und Kameras in Kuscheltieren 

Claudia Zwiebel, Frauenhaus Singen: 
"Bei den Kindern ist es so, dass wir immer aufpassen mit den Kuscheltieren, weil wir es immer wieder erleben, dass bei Kuscheltieren irgendwo vielleicht auch ein AirTag verbaut ist. Oder sogar, manchmal haben die ja so Plastiknasen, dass das auch eine Kamera ist." 

Im Frauenhaus habe man schon eine Miniwanze an einem Autoschlüssel entdeckt und einen AirTag in einer Spielekonsole. 

Claudia Zwiebel
Claudia Zwiebel | Bild: SWR

Claudia Zwiebel, Frauenhaus Singen: 
"Als ich hier angefangen habe, gab es einen Münzfernsprecher im Flur. Die Frauen kamen ins Haus und die Gewalt war im Grunde zu Ende. Und jetzt ist es mit der digitalen Gewalt einfach so, dass es 24/7 weitergeht."  

Das Anti-Stalking-Gesetz wurde 2021 verschärft. Auch spezielle Cyberstalking-Formen, wie die Überwachung mit Spionage-Apps, werden inzwischen vom Gesetz erfasst.  

Mögliche Gesetzeslücke: Stalking mit AirTags nicht strafbar? 

Doch reicht das? Die Juristinnen Lena Leffer von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und Michelle Weber von der EBS Universität Wiesbaden forschen gemeinsam zur Rechtslage bei Stalking mit AirTags. Sie warnen vor einer gravierenden Gesetzeslücke. 

Lena Leffer und Michelle Weber
Lena Leffer und Michelle Weber | Bild: SWR

Michelle Weber, Juristin: 
"Der spezifische Fall des Stalkings mit AirTags, der ist halt nicht erfasst, weil der Gesetzgeber nur den Fall gesehen hat, dass ein opfereigenes Gerät infiltriert wird. Und gerade die Problematik des AirTags, nämlich dass dem Opfer ein externes Gerät zugeschoben wird, der wurde leider nicht gesehen und somit auch nicht erfasst."

Das Bundesjustizministerium sieht derzeit keine Gesetzeslücke. Sollten sich in der Praxis Strafbarkeitslücken zeigen, werde das Ministerium Handlungsbedarf prüfen. 

Das sieht das bayerische Justizministerium aber ganz anders. Fälle von Stalking mit Trackern müssten ‚rechtssicher‘ erfasst werden:

Bayerisches Staatsministerium der Justiz: 
"Die Anti-Stalking-Regeln müssen deshalb dringend weiter nachgeschärft werden."

Lena Leffer, Juristin: 
"Als der Stalking-Paragraph nachgeschärft wurde, gab's die Apple AirTag-Lösung sozusagen noch gar nicht. Das heißt, ohne jetzt hier Gesetzgeber-Bashing zu machen, war jetzt auch eine unvorhergesehene Lücke und da muss man eben im Nachhinein nachschärfen."

Für Ivonne kam die Gesetzesverschärfung zu spät. Ihr Exfreund wurde vom Vorwurf des Stalkings freigesprochen. 

Ivonne
Ivonne | Bild: SWR

Ivonne, Stalking-Betroffene:  
"
Er ist dann in Berufung gegangen. Und hat dann am Ende eine Strafe bekommen von 2.000 €. Also meine Anwaltskosten waren höher als seine Strafe, die er bekommen hat. Das war schon sehr enttäuschend. Dann fühlt man sich schon im Stich gelassen von allen tatsächlich. Also, ich wüsste jetzt auch nicht, ob ich jetzt noch mal vor Gericht ziehen würde, und mir das alles antun würde." 

Das Ausmaß von Cyberstalking ist heute enorm. Es kann jede und jeden treffen. Neue Technologien wie AirTags oder SmartTags lassen sich leicht zum Stalking missbrauchen.  

Apple, Google und Samsung wollen ihre Geräte verbessern 

Apple schreibt dazu auf seiner Webseite: 

Apple (2022): 
"Wir verurteilen jede bösartige Verwendung unserer Produkte auf das Schärfste." 

Apple (2023): 
"Apple und Google haben heute gemeinsam einen Vorschlag für einen Industriestandard vorgelegt, um den Missbrauch von Bluetooth-Ortungsgeräten für unerwünschtes Tracking zu verhindern."

"Außerdem wollen Apple und Google bis Ende des Jahres einen Industriestandard entwickeln, um den Missbrauch von Bluetooth-Ortungsgeräten für unerwünschtes Tracking zu verhindern."

Samsung schreibt uns: 

Samsung:  
"Samsung (legt) großen Wert auf die Privatsphäre und Sicherheit seiner Kund*innen. (…) Samsung arbeitet mit Branchenunternehmen zusammen, um (…) Nutzer*innen besser zu schützen." 

Die Konzerne wollen also nachbessern. Stalking-Fälle mit Trackern zeigen: Dafür ist es höchste Zeit! Betroffene von Stalking erleben Psychoterror, für manche endet er sogar tödlich. Und die Politik? Reagiert viel zu langsam auf neue Trends. 

Stand: 10.05.2023 18:14 Uhr