Gefahr in der Luft - Immer mehr Randalierer in Flugzeugen
Rock-Sängerin Aura Davis bei einer Probe mit ihrer Band. Mit ihrer Musik hat sie es bis nach Amerika geschafft. Am 31. März 2024 wird ihr neues Album auf einer großen Videowall am New Yorker Times Square beworben.
Aura Davis, Musikerin:
„Wie stolz waren Sie da? Sehr stolz. Man sieht das nicht alle Tage, dass man in Übergröße auf dem Times Square ist. War schon ganz geil.“

Ein Höhepunkt in ihrer Karriere. Beim Rückflug in die Schweiz allerdings, wenige Stunden später, bangt die Sängerin um ihr Leben. Ihre Bordkarte hat sie bis heute aufbewahrt.
Aura Davis, Musikerin:
„Ja, Das Ticket, das ich lieber nicht gehabt hätte.“
Aura Davis sitzt in Reihe 22. Wenige Minuten nach dem Start geschieht vorne im Flugzeug etwas von dem die Sängerin noch nichts ahnt. Im Bericht des FBI wird es später heißen: „Der Mann näherte sich einer Flugbegleiterin, ergriff mit beiden Händen ihre Brüste, schüttelte sie und schrie sie an.”
Aura Davis, Musikerin:
„Wir haben dann einen Schrei gehört durch die Funksprechanlage. Das war das erste Mal, wo ich mir so gedacht habe, „holy shit, what is happening here“. Kurz nach diesem Schrei ist die ganze Crew, nach vorne gerannt und das war dann auch so der Moment, wo du merktest oder wusstest, jetzt stimmt was nicht.“
Die Situation eskaliert. Alarm auch im Cockpit:
Originalfunkspruch Pilot:
„Swiss 19 Charlie Heavy. It`s getting worse with the passenger, so we will declare Pan-Pan, Pan-Pan, Pan-Pan.”
Mit dem Notfallcode „Pan-Pan” informieren die Piloten den Tower in New York, dass Menschen im Flugzeug konkret gefährdet sind.
Originalfunkspruch Tower:
„Okay, what is the issue with the passenger now?”
Originalfunkspruch Pilot:
„The passenger is ... Its getting worse. So he tried to enter the cockpit. And now he is just being extremely loud ... And we don`t know if he can get aggressive to one of the passengers or crew.”
Passagier versucht, ins Cockpit einzudringen
Laut Unterlagen des FBI versucht sich der Passagier mit Gewalt Zutritt zum Cockpit zu verschaffen. Das FBI berichtet: „Er schlug, trat und warf seinen Körper gegen die Cockpittür.“
Aura Davis, Musikerin:
„Es war aber tatsächlich der Moment, wo ich mein Handy hervorgenommen habe und mir so gedacht habe, ich schalte jetzt meine mobilen Daten ein und schreibe mal meinen wichtigsten Leuten, weil ich schlichtweg nicht wusste, was passieren wird. Ja, und halt Todesangst, da hätte alles passieren können. Wäre der ins Cockpit gekommen, weiß Gott, was der gemacht hätte.”
Der Flug wird abgebrochen. Es geht zurück nach New York. Dort wird der gewalttätige Passagier von der Polizei mitgenommen. Aura Davis kann diesen Moment von ihrem Fensterplatz aus aufzeichnen. Für sie und alle anderen Passagiere ist der Vorfall nochmal glimpflich ausgegangen. Ist das, was sie an diesem Abend erleben mussten, ein Einzelfall?
Zahl der Übergriffe in Flugzeugen steigt an
Auf Social Media veröffentlichen Passagiere immer wieder spontan produzierte Handyvideos, die solche Zustände an Bord dokumentieren: Personen, die versuchen ins Cockpit zu gelangen, Passagiere, die Crewmitglieder körperlich attackieren und schließlich gefesselt werden müssen wie auch Fluggäste, die aggressiv sind, schreien, zuschlagen und an den Sitz gefesselt werden müssen.
Sogenannte „Unruly Passengers”, also randalierende oder widerspenstige Passagiere, sind eine zunehmende Bedrohung für die Sicherheit in Flugzeugen. Die internationale Luftverkehrs-Vereinigung IATA hat die Daten von mehr als 50 Flugbetreibern weltweit ausgewertet: 2021 gab es auf jedem 835sten Flug einen Vorfall mit einem renitenten Passagier - im Jahr 2023 passierte das schon auf jedem 480sten Flug.
Dem deutschen Luftfahrtbundesamt wurden 2024 insgesamt 160 Unruly Passengers gemeldet. Also: Fast an jedem zweiten Tag ein Vorfall. Der Sicherheitsbeauftragte der europäischen Agentur für Flugsicherheit EASA, John Franklin, beobachtet diesen Trend auch für Europa mit Sorge.

John Franklin, Europäische Agentur für Flugsicherheit / EASA (Übersetzung):
„Wir sehen einen kontinuierlichen Anstieg, sowohl bei der Anzahl als auch der Schwere von Zwischenfällen mit renitenten Passagieren. An Bord des Flugzeugs ist die Crew in erster Linie für die Sicherheit der Passagiere zuständig. Wenn die sich aber mit anderen Dingen, wie mit ausfallenden Passagieren auseinandersetzen muss, lenkt es sie von ihrer Hauptaufgabe ab, nämlich die Sicherheit der Fluggäste zu gewährleisten.”
Problem: Alkohol und automatisiertes Boarding
Einen typischen “Unruly Passenger” gibt es laut den Erkenntnissen der EASA nicht - es betrifft alle Schichten und Geschlechter. Ein Beschleuniger für das Verlieren von Hemmungen: Medikamente, Drogen und vor allem: Alkohol. Wie auf einem Ryan-Air Flug nach Ibiza Anfang dieses Jahres - ein Passagier-Video zeigt Aufnahmen, die wirken, als inszenierten sich die Passagiere auf Social Media selbst.
Wie ließen sich solche Szenen verhindern? Für Vivianne Rehaag von der Pilotengewerkschaft Cockpit liegt die Schwierigkeit bereits am Boden.

Vivianne Rehaag, Vorständin der Vereinigung Cockpit e.V.:
„Wir sehen eine Problematik darin, dass der ganze Abfertigungsprozess größtenteils mittlerweile automatisiert erfolgt. Beispielsweise die Gepäckannahme allerdings oder auch das Boarding und dass kein Personal mehr vorhanden ist, um überhaupt einzuschätzen ob beispielsweise schon jemand stark alkoholisiert auftritt oder auch aggressiv auftritt.“
Bordkartenautoamten, eine automatisierte Gepäckabgabe - Fluggäste treffen manchmal bis zum Eintritt ins Flugzeug auf keinen Airline-Mitarbeiter.
Was sagen die Airlines zu diesen Vorwürfen? Wir haben die größten in Deutschland operierenden Fluggesellschaften angefragt - sie verweisen auf Schulungen des Boden- und Flugpersonals, welche teilweise „über das gesetzliche Maß“ hinausgingen.
Uns gegenüber räumt ein Airline-Sprecher dann aber doch ein: Man sei „besorgt über die zunehmenden Vorfälle”, da sie ein „ernsthaftes Risiko für die Flugsicherheit” darstellten. Und: Rechtliche Konsequenzen hätten die renitenten Passagiere selten zu fürchten - ein Missstand, den auch die Flugbegleiter-Gewerkschafterin Mandy Lüdemann kritisiert.

Mandy Lüdemann, Vorständin der Flugbegleitergewerkschaft UFO:
„Wir als Fachgewerkschaft fordern, dass, wenn Passagiere gefährlich in eine sichere Flugdurchführung eingreifen, klar sanktioniert werden, zum Beispiel, dass diese Gäste von allen Flügen weltweit vom Transport ausgeschlossen werden.”
Lufthansa: Strafverfolgung verbesserungswürdig
Ein Lufthansa-Sprecher bemängelt außerdem, dass es nach Anzeigen Probleme bei der Strafverfolgung gäbe: “Die Strafverfolgung ist in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern verbesserungswürdig. Nicht rechtskonformes Verhalten an Bord von Luftfahrzeugen wird in Deutschland nicht stark genug sanktioniert.”
Wie schätzt das Bundesverkehrsministerium die Problematik randalierender Passagiere ein?
Zitat Sprecherin des BMV:
„Das BMV nimmt das Problem von „Unruly Passengers“ ernst, sieht aber aktuell keinen akuten gesetzgeberischen Handlungsbedarf.“ Man unterstütze „den Ansatz einheitlicher internationaler oder europäischer Vorgaben“.
Null-Toleranz-Erklärung und Taskforce in Österreich
Ist das genug? In Österreich haben am Dienstag das Verkehrsministerium und einige Airlines eine Null-Toleranz-Erklärung gegenüber „Unruly Passengers“ unterzeichnet und eine dauerhafte Taskforce beschlossen.
Und manche Airlines gehen eigene Wege, um Störenfriede an Bord abzuschrecken: Ryan Air Beispiel kündigt Strafzahlungen an für Personen, die sich an Bord ungebührlich verhalten und des Fliegers verwiesen werden - 500 Euro soll das zukünftig kosten. Und die Swiss, die Airline mit der Aura Davis geflogen ist, hat seit dem 1. Mai einen zusätzlichen Schutz für das Cockpit vorgeschrieben - immer, wenn ein Crewmitglied die Cockpittüre öffnet, muss ein zweites sicherstellen, dass sich kein Fluggast dem Cockpit nähert.
Psychische Belastung für Mitpassagiere und Crew
“Unruly Passengers” gefährden nicht nur die Sicherheit, sie hinterlassen psychische Belastungen bei Crew und Mitpassagieren. Wie auch bei Aura Davis.
Aura Davis, Musikerin:
„Die tatsächlichen Probleme kamen ein paar Tage später, als ich wieder zuhause war, als ich mir dann eingestehen musste, okay, warte mal, du hast Albträume, du schläfst nicht. Das war auch tatsächlich dann der Moment, wo ich einen Therapeuten gebraucht habe. Ich habe mir da Hilfe gesucht, weil ich merkte, dass ich damit nicht so locker zurechtkam, wie ich gedacht habe“.
Stand: 25.06.2025 16:47 Uhr