Deutsche Bahn und Klimawandel

Mangelhaftes Vegetationsmanagement?

Rund 240 Millionen Euro hat die Deutsche Bahn nach eigenen Angaben 2024 für so genannte Vegetationsmaßnahmen ausgegeben. Das seien 100 Millionen Euro mehr als noch 2021.

Text des Beitrags:

Ein Bild der Zerstörung. Am Sonntagabend ist eine Regionalbahn bei Riedlingen in Baden-Württemberg entgleist. Drei Menschen sterben. Er hat überlebt.

Joscha Loibl, Überlebender
Joscha Loibl, Überlebender | Bild: SWR

Joscha Loibl, Überlebender:
„Am Anfang. Ich dachte echt, ich sterbe. Ich war da eingeklemmt, konnte nicht richtig atmen. Und es lief die ganze Zeit Diesel über meinen Körper in mein Gesicht, in meinem Mund, in meine Augen. Neben mir die anderen zwei auch komplett eingeklemmt. Das war nicht schön.“

Am Tag nach dem Unglück machen sich der Bundesverkehrsminister und Bahnchef Richard Lutz vor Ort ein Bild von der Tragödie.

Richard Lutz, Vorstandsvorsitzender Deutsche Bahn AG
Richard Lutz, Vorstandsvorsitzender Deutsche Bahn AG | Bild: SWR

Richard Lutz, Vorstandsvorsitzender Deutsche Bahn AG:
„Solche Bilder gehen bei uns ins Mark. Wir trauern mit den Angehörigen um die Toten, wir... Entschuldigung.“

Der Bahnchef ringt um Worte.

Starker Regen, ein rutschender Hang, Schlamm auf den Gleisen - der Ausgangspunkt für das tragische Entgleisen des Zuges war das Wetter.

Problem Extremwetterereignisse

Die Auswirkungen von solchen Extremwetterereignissen werden zum immer größeren Problem für den Schienenverkehr. Wie geht die Deutsche Bahn mit diesen Herausforderungen um?

Lange vor dem Unglück haben unsere Recherchen begonnen. Nicht nur der Starkregen, auch die Trockenheit wird eine immer größere Gefahr:  Das zeigen interne Protokolle der Bahn, die REPORT MAINZ vorliegen: In den vergangenen Monaten häufen sich Meldungen von witterungsbedingten Störungen, zum Beispiel von Böschungsbränden. Bei Instagram posten Feuerwehren in ganz Deutschland solche Einsätze am Gleis.

Böschungsbrände in Siegburg

Im Mai hatte auch hier in Siegburg eine Böschung gebrannt - dieser Alarm hat in Feuerwehrchef Torsten Becker Erinnerungen wachgerufen:

Torsten Becker, Leiter Feuerwehr Siegburg:
„Nicht schon wieder. Das war das Erste, was ich gedacht habe, war nicht schon wieder.“

Denn nur wenige Meter entfernt vom Brand im Mai gab es hier 2018 schon einmal einen Böschungsbrand.

Rückblick ARD-Nachtmagazin:
„Ein Flächenbrand an der Bahntrasse ist rasend schnell auf angrenzende Häuser übergesprungen...”

In kurzer Zeit entwickelt sich damals ein Böschungsbrand an der ICE-Strecke zu einem Großbrand. 32 Menschen werden verletzt, sieben Häuser völlig zerstört.

Ein Video aus einem vorbeifahrenden ICE zeigt, wie das Feuer damals von der einen auf die andere Seite überspringen konnte.

Torsten Becker war damals einer der ersten vor Ort:

Torsten Becker, Leiter Feuerwehr Siegburg
Torsten Becker, Leiter Feuerwehr Siegburg | Bild: SWR

Torsten Becker, Leiter Feuerwehr Siegburg:
„Dieses Feuer ist tatsächlich die Böschung hochgerannt und hat sich dann mit Flammenzungen, die waren so circa 10 Meter hoch, wirklich in diese Richtung mit einer eigenen Thermik bewegt. Es ging so schnell, dass wir also eigentlich überrumpelt waren von der Schnelligkeit, wie schnell sich Feuer ausbreiten kann.“

Ein Vorfall, der sich nach Hitzeperioden jederzeit wiederholen könnte.

Laut der Deutschen Bahn gab es in diesem Jahr schon 251 Böschungsbrände, und damit mehr als doppelt so viele wie im ganzen vergangenen Jahr.

Dieses Video, das uns ein Bahninsider zugespielt hat, zeigt dschungelartige Verhältnisse auf den Schienen bei Dortmund. Ausufernde Vegetation und Trockenheit - eine gefährliche Mischung.

Extremwetter kann zu mehr Störungen im Bahnverkehr führen

Klimaforscher warnten bereits 2021: Ohne Anpassungen ans Extremwetter wird es zu mehr Störungen im Bahnverkehr kommen. Heißt auch:  Bäume stürzen um, blockieren Gleise.

Die Konzernsprecherin der Deutschen Bahn, Anja Bröker, spricht von 4.900 Störungen im vergangenen Jahr, allein durch umgestürzte Bäume und abgebrochene Äste. Seit 2019 steige diese Zahl jährlich um rund 500 Vorfälle.

Reporter:
„Wird denn der Trend so weitergehen?“

Anja Bröker, Konzernsprecherin Deutsche Bahn:
„Wenn wir den Klimaforschern Glauben schenken, und das tun wir bei der Deutschen Bahn, dann wird dieser Trend so weitergehen, weil die Folgen des Klimawandels ja auch nicht nachlassen.“

Maßnahmen der Bahn

Rund 240 Millionen Euro habe das Unternehmen im vergangenen Jahr für sogenannte „Vegetationsmaßnahmen“ ausgegeben. Bäume würden sogar im laufenden Betrieb zurückgeschnitten, wie dieses Video der Deutschen Bahn zeigt. Laut Gesetz ist die Bahn auch berechtigt, Bäume, die nicht der Bahn gehören, regelmäßig zu sichten und bei Gefahr zu entfernen.  

Anja Bröker, Konzernsprecherin Deutsche Bahn
Anja Bröker, Konzernsprecherin Deutsche Bahn | Bild: SWR

Anja Bröker, Konzernsprecherin Deutsche Bahn:
„Wir haben nicht nur unsere Försterinnen und Förster im Einsatz, sondern wir erkunden auch den Baumbestand aus der Luft mit Hilfe von Drohnen, mit Hilfe von Hubschraubern, aber auch sogar aus dem All mit Satellitenerkundung wird festgestellt, wo sind die Bäume, in welchem Zustand, wo ist wirklich akute Gefahr gegeben. Und das ist etwas, was wir nicht runterfahren, sondern im Gegenteil verstärken.“

Und trotzdem: Menschen müssen immer öfter stundenlang in liegengebliebenen Zügen ausharren. Wie zum Beispiel Anfang Juni in Köln, als ein schwerer Ast die Fahrt eines ICE abrupt beendet. Erst nach mehr als fünf Stunden können die Passagiere evakuiert werden.

Kritik an den Maßnahmen der Deutschen Bahn

Matthias Gastel war rund drei Jahre Aufsichtsratsmitglied der Infrastukturgesellschaft der Bahn, DB InfraGO. Der Verkehrspolitiker der Grünen übt deutliche Kritik an der Deutschen Bahn.

Matthias Gastel, B‘90/DIE GRÜNEN, Verkehrspolitiker:
„Wenn die bisherigen Maßnahmen ausreichen würden, hätten wir keinen Anstieg vegetationsbedingter Störungen. Wir haben aber einen Anstieg und damit ist leicht belegt, dass die Aktivitäten der Deutschen Bahn ganz offensichtlich nicht ausreichen. Das heißt, entweder macht sie das Falsche oder sie tut nicht genug, aber auf jeden Fall reicht es am Ende nicht, um die Störungen zu reduzieren.“

Manch ein Lokführer improvisiert da schon mal, um größere Verspätungen bei Unwettern zu verhindern. Als Anfang Juli zwischen Oldenburg und Osnabrück ein großer Ast die Bahnstrecke blockiert, befreit der Fahrer der Nordwestbahn die Schienen kurzerhand selbst vom Geäst - mit einer kleinen Säge, unterstützt von Passagieren. Doch damit ist das Problem wohl nicht zu lösen.

Matthias Gastel, B‘90/DIE GRÜNEN, Verkehrspolitiker
Matthias Gastel, B‘90/DIE GRÜNEN, Verkehrspolitiker | Bild: SWR

Matthias Gastel, B‘90/DIE GRÜNEN, Verkehrspolitiker:
„Die Deutsche Bahn als bundeseigenes Unternehmen muss enger durch den Eigentümer, durch den Bund, vertreten durch die Bundesregierung kontrolliert werden und gesteuert werden und das gilt auch für die Vegetationspflege, denn der Bund hat ja ein ureigenes Interesse an einer möglichst hohen Verfügbarkeit der Infrastruktur und wenn die eingeschränkt wird und 5.000 Störfälle sind eine ganze Menge, dann ist es auch am Bund, auf die Deutsche Bahn einzuwirken, diese Störursachen bestmöglich nach unten zu bringen, damit die Strecken wieder befahrbar sind.“

Ist also eine engere Kontrolle durch die Bundesregierung erforderlich? Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder lässt uns mitteilen: Vegetationskontrollen und -Maßnahmen fielen in den alleinigen Zuständigkeitsbereich der DB InfraGo.

Wie ist der Zustand der Bäume an den Schienen? 

Sonja Szymczak und Daniel Rutte wollen mit ihrer Forschung verhindern, dass kranke Bäume auf die Schienen fallen.  Für das Eisenbahn-Bundesamt sind sie heute an Gleisen bei Köln unterwegs und wollen sehen, in welchem Zustand die Bäume hier sind:
„Die Eiche liegt hier schon, die liegt wohl auch relativ sicher.”

Die beiden Wissenschaftler entwickeln einen sogenannten „Vitalitätsmonitor” für Bäume, die nahe der Gleise wachsen.

Daniel Rutte, Geowissenschaftler, Deutsches Zentrum für Schienenverkehrsforschung:
„Wir benutzen Satellitendaten, die im Endeffekt mindestens einmal pro Monat ein gutes Bild liefern, darüber, wie sich die Baumvitalität verändert, sodass wir möglichst frühzeitig erkennen können, wenn in bestimmten Regionen bestimmte Baumarten Vitalität verlieren.“

Dank der Daten können die Forscher sehen, welche Bäume schwächeln und gegebenenfalls entnommen oder gekürzt werden sollten, bevor sie auf die Gleise stürzen.

Sonja Szymczak, Geographin und Daniel Rutte, Geowissenschaftler, Deutsches Zentrum für Schienenverkehrsforschung
Sonja Szymczak, Geographin und Daniel Rutte, Geowissenschaftler, Deutsches Zentrum für Schienenverkehrsforschung | Bild: SWR

Die Geographin und der Geowissenschaftler warnen aber: Allein Bäume zu fällen löse noch nicht alle Probleme:

Sonja Szymczak, Geographin, Deutsches Zentrum für Schienenverkehrsforschung:
„Wenn wir das Vegetationsmanagement als Gesamtes betrachten, soll es ja nicht nur Baumsturzereignisse verhindern, sondern es hat ja auch noch ganz andere Funktionen, also kann natürlich auch dazu dienen, andere Arten von Naturgefahren einzudämmen.  Beispielsweise haben wir hier jetzt recht steile Hänge, das heißt, wenn man da jetzt gar keine Vegetation draufhätte, wär das, was Hangrutschungen infolge von starken Niederschlagsereignissen betrifft, deutlich schlechter sein als ein Baumbestand. Da muss man natürlich auch abwägen, was ist da das größere oder geringere Risiko.“

Die Forscher haben auch für die potenzielle Gefahr von Hangrutschen eine Geo-Karte erstellt. Das Gleis im Baden-Württembergischen Riedlingen war dort wegen einer möglichen Gefährdung durch Hangrutschereignisse ausgewiesen.

Eine Gefahr, die am Sonntagabend schließlich zu schrecklicher Realität geworden ist.

Stand: 30.07.2025 12:09 Uhr