Pokern um Koalition - Wie verhandelt man eine Regierung?

Union und SPD befinden sich seit vergangener Woche in der Sondierungsphase. Das Ziel ist, möglichst schnell eine neue Regierung zu bilden. Denn die innen- und außenpolitischen Herausforderungen sind enorm: Rezession, Migration, das Erstarken der AfD, der Ukraine-Krieg und Trumps Annäherung an Russland.

Wie verhandelt man in solch einer Situation klug, worauf muss man achten, was führt zum Erfolg? REPORT MAINZ hat mit Personen gesprochen, die schon mehrere Koalitionen geschmiedet und geführt haben: Hessens ehemaliger Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU), die bis Sommer 2024 amtierende Landeschefin von Rheinland-Pfalz Malu Dreyer (SPD) und der noch amtierende Bundesverkehrsminister Volker Wissing (parteilos). Ein Verhandlungsexperte erklärt zudem, was friendly fire” in der Politik ist - und wie es Koalitionen zerstören kann. 

Text des Beitrags:

Das Mainzer Schloss ist zwar nicht der geheime Ort, an dem Union und SPD derzeit ihre Sondierungsgespräche führen. Aber eine ziemlich konkrete Vorstellung, wie eine harmonische Koalition in Zukunft aussehen könnte, haben die Narren dann schon.

Lars Reichow, Fastnachter:
„Wir brauchen jetzt ein schwarz-rotes Wunder, mit einem goldenen Faden gesponnen in Berlin. Ich sehe einen Kanzler Merz, dem Saskia Esken die Krawatte richtet. Ich sehe Lars Klingbeil mit Philipp Amthor auf seinem Schoß.  Also es dauert einen Moment, sich das vorzustellen. Trinkt ruhig einen Schluck dazu.“

Muss man sich eine Koalition also schön trinken? Noch kurz vor der Wahl sah es zwischen Union und SPD nicht gerade nach Harmonie aus, eher nach Zerwürfnis.

Lars Klingbeil
Lars Klingbeil | Bild: SWR

Lars Klingbeil:
„Das ist nicht konservativ, das ist nicht bürgerlich, das ist unanständig, Herr Merz.”

Friedrich Merz
Friedrich Merz | Bild: SWR

Friedrich Merz:
„Die Spekulationen, Herr Bundeskanzler, die Sie hier angestellt haben, sie sind niederträchtig und infam.”

Alexander Dobrindt:
„Guten Morgen. Stimmung ist gut.”

Seit Freitag nun sondieren Union und SPD. Alle wissen: Eine Liebesehe wird das nicht. Doch der Druck ist enorm. Wie kommt man in so einer Lage zusammen?

Volker Bouffier und Malu Dreyer im Interview

Wir haben zwei gefragt, die schon oft Koalitionen geschmiedet und geführt haben: Volker Bouffier, ehemaliger CDU-Regierungschef in Hessen, und Malu Dreyer, seine langjährige SPD-Amtskollegin aus Rheinland-Pfalz. Beide erwarten schwierige Verhandlungen.

Malu Dreyer, SPD, ehemalige Ministerpräsidentin Rheinland-Pfalz:
„Die Union hat sich ja sehr bewusst dazu entschieden, ihren Kurs sehr stark zu verändern im Vergleich zu den Jahren von Angela Merkel. Und dieser Kurs hat sich kulturell in eine Richtung bewegt, die es den Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen eher schwerer als leichter macht, zu einer Koalition zu finden.”

Volker Bouffier
Volker Bouffier | Bild: SWR

Volker Bouffier, CDU, ehemaliger Ministerpräsident Hessen:
„Das heißt, das ist eine Gratwanderung, deutlich zu machen: Es gibt den von vielen Bürgern gewünschten Politikwechsel und auf der anderen Seite die Sozialdemokratie sagen kann: Für uns sind ganz wichtige Gesichtspunkte auch zukünftig vereinbart.”

Große innen- und außenpolitische Herausforderungen

Beide hatten 2018 die letzte Große Koalition mitverhandelt, 66 Tage lang. Seitdem sind die Herausforderungen größer geworden. In Deutschland: Die Rezession, die ungelöste Migrationsfrage, das Erstarken der AfD. In der Welt: Der Ukraine-Krieg und Trumps Annäherung an Russland.

Friedrich Merz, CDU, Parteivorsitzender:
„Die Welt wartet nicht auf uns, sie entwickelt sich rasant weiter."

Lars Klingbeil, SPD, Parteivorsitzender:
„Die Welt ist sehr turbulent und Entscheidungen warten nicht.”

Markus Söder, CSU, Parteivorsitzender/Ministerpräsident Bayern:
„Denn eines muss jedem klar sein: Dies ist tatsächlich die letzte Patrone der Demokratie.”

Heißt: Es geht darum, das Vertrauen der Wähler zurückzugewinnen. Damit die Populisten bei der nächsten Wahl nicht noch stärker werden.

Vertrauen schaffen: Miteinander statt übereinander reden

Union und SPD sind also zum gemeinsamen Erfolg verdammt. Die Spitzenleute in den Parteizentralen haben bisher allerdings wenig Erfahrung miteinander. Sie müssen Vertrauen aufbauen. Bloß: Wie macht man das?

Malu Dreyer
Malu Dreyer | Bild: SWR

Malu Dreyer, SPD, ehemalige Ministerpräsidentin Rheinland-Pfalz:
„Man muss sorgsam mit dem Koalitionspartner umgehen. Und eines der wichtigsten Gebote ist auch, dass man miteinander redet und nicht öffentlich übereinander redet. Das bricht jeder Koalition tatsächlich das Genick. Und zu Koalitionsverhandlungen kann es nur konstruktiv kommen, wenn man nicht öffentlich äußert, was der Punkte einem ist oder die rote Linie ist, sondern dass man erst mal Gespräche führt."

Volker Bouffier, CDU, ehemaliger Ministerpräsident Hessen:
„Ich kann nur sagen, nach außen kommuniziert man in solchen Phasen nach Möglichkeit gemeinsam. So sehr ich das journalistische Interesse an jedem Halbsatz verstehe, ich würde immer sagen: ‚Wir sind in intensiven Gesprächen. Und wenn wir zu Ergebnissen gekommen sind, dann werden wir Sie unterrichten. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag.‘”

Nicht nur die Außenkommunikation ist wichtig bei solchen Gesprächen. Thorsten Hofmann lehrt politisches Verhandlungsmanagement an der Quadriga-Hochschule in Berlin. Vertrauen schaffe man auch dadurch, dass man der anderen Seite Erfolge zugestehe. Verhandlungen also auf Augenhöhe.

Thorsten Hofmann
Thorsten Hofmann | Bild: SWR

Thorsten Hofmann, Quadriga Hochschule Berlin:
„Die SPD liegt zwar am Boden mit ihrem schlechtesten Ergebnis, gerade da braucht es eben etwas, um sich zu profilieren. Und wenn ich dann versuche, das alles ganz klein zu verhandeln, kann es sein, dass dann überhaupt nichts zustande kommt. Dementsprechend ja, bestimmte Politikfelder bewusst auch sich zu überlegen, was gebe ich dem anderen, um seine Kontur wiederzufinden, sich selbst zu profilieren, ist schon etwas, was ich in der Vorbereitung mal machen würde.”

Koalitionspartner müssen ihre jeweiligen Parteiflügel miteinbinden

Das ist auch deshalb wichtig, damit die Verhandlungsführer in ihren Parteien die Geschlossenheit bewahren können. Denn Querschüsse aus den eigenen Reihen können die Verhandlungen stören und eine Regierung später zerstören.

Thorsten Hofmann, Quadriga Hochschule Berlin:
„Man bezeichnet so etwas in den Verhandlungen immer gerne als ‚friendly fire‘. Und das ist für beide Parteien und die verhandelnden Akteure in den Parteien schon ein kritischer Punkt, weil die Parteien haben alle ihre Flügel und wir haben eine Koalition, die nur ganz wenig über einer Mehrheit liegt. Also, wir reden hier über zwölf Mandatssitze, das heißt, wenn ich diese Flügel nicht alle mitnehme, habe ich möglicherweise später ein Problem. ‚Friendly Fire‘ in der Verhandlung ist schon schwierig, später beim Regieren kann es tödlich sein.”

Bei der Ampel waren weniger die jeweiligen Parteiflügel das Problem. Vielmehr die Unfähigkeit der drei Parteien, als Team zusammenzuhalten. Kaum einer weiß das besser als Bundesverkehrsminister Volker Wissing, einer der Konstrukteure der Ampel-Koalition. Bis zu deren Aus war er FDP-Mitglied, seither ist er parteilos.

Volker Wissing
Volker Wissing | Bild: SWR

Volker Wissing, parteilos, Bundesverkehrsminister:
„Was am Ende nicht funktionierte, war die Bereitschaft aller Parteien und auch aller Fraktionen, die eigene Regierung tatsächlich zu stützen. Es gab immer wieder Angriffe aus unterschiedlichen Fraktionen gegen einzelne Regierungsmitglieder. Manche haben es nicht verstanden, dass jeder Minister, jede Ministerin alle Koalitionspartner vertritt und deswegen auch von allen Koalitionspartnern Unterstützung verdient. Dieses Verhaften im Parteidenken - das ist ein FDP-Minister und das ist ein SPD-Minister -, das macht das Ganze schwierig.“

Schwarz-Rot einigt sich auf hohe neue Schulden

Schwarz-Rot muss als Team funktionieren, erst recht nach Trumps Kurswechsel in der Ukraine-Politik. Die erste gemeinsame Entscheidung, verkündet heute Abend. Der Bundestag soll nächste Woche unter anderem ein Sondervermögen Infrastruktur über 500 Milliarden Euro beschließen. Mit Zweidrittelmehrheit, etwa mit Stimmen von FDP und Grünen. Und auch für die Verteidigung soll es mehr Geld geben, an der Schuldenbremse vorbei.

Friedrich Merz, CDU, Parteivorsitzender:
„Angesichts der Bedrohungen unserer Freiheit und des Friedens auf unserem Kontinent muss jetzt auch für unsere Verteidigung gelten: Whatever it takes.“

Lars Klingbeil, SPD, Parteivorsitzender:
„Es ist uns gelungen – und den Dank möchte ich hier aussprechen – es ist uns gemeinsam gelungen, dass wir ein großes Finanzierungspaket für ein modernes Deutschland, für ein sicheres Deutschland auf den Weg bringen.“

Morgen, am Aschermittwoch, ist der Fasching erst einmal vorbei. Die Wünsche der Narren auf eine neue Regierung von Teamplayern bleiben.

Narren:
„Wir hatten jetzt drei Jahre lang nur Streit und Missgunst und Diskussionen und da sollte eigentlich die neue Regierung draus gelernt haben.”

„Dass jeder so sein Ego zurückschraubt und das miteinander ernstnehmen, dass sie ihren Auftrag ernstnehmen.”

„Und das hoffe ich, dass das klappt. Die Demokratie kann jetzt agieren, sag‘ ich. Dann können die jetzt was für uns tun.”

Stand: 05.03.2025 13:33 Uhr