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Angst nach der Ahrflut - Neue Fehler beim Wiederaufbau?

Ein Film von Niklas Maurer und Sara Rainer-Esderts

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Angst nach der Ahrflut - Neue Fehler beim Wiederaufbau? | Bild: SWR

Nach den Monaten der ersten unmittelbaren Hilfe herrschen nun Angst und Stillstand. Viele haben immer noch kein Geld für den Wiederaufbau ihrer Häuser bekommen. Dabei wurde nach der Flut im Juli 2021 von der Politik schnelle und unbürokratische Hilfe versprochen. Und über allem steht für viele Flutopfer die entscheidende Frage: sollen sie überhaupt an alter Stelle wiederaufbauen? Und wie sicher ist das Ahrtal für seine Bewohner überhaupt?

Ein dreiviertel Jahr nach der Flut im Ahrtal ist die Zerstörung immer noch allgegenwärtig. Auch die Wohnung von Beate Rheindorf stand unter Wasser und wurde völlig zerstört. Noch heute ist sie im Rohbauzustand. Seit Monaten wartet sie auf finanzielle Hilfe für den Gebäudewiederaufbau: "Ich komme sehr schlecht damit zurecht, dass ich meine ganze Existenz verloren habe, natürlich". Doch die versprochenen Gelder für den Wiederaufbau kommen bei vielen Menschen nicht an. Dabei hatte die Politik schnelle und unbürokratische Hilfe zugesagt.

Alexandra Baltes, Flutopfer
Alexandra Baltes, Flutopfer | Bild: SWR

Auch die von der Flut betroffene Alexandra Baltes ist wütend: "Wenn ich das unkompliziert und einfach verspreche, dann muss ich es auch unkompliziert und einfach machen. Aber das was hier abgeht, das ist eine Farce, das ist eine Unverschämtheit." Nach den Monaten der ersten unmittelbaren Hilfe stellt sich für viele Menschen an der Ahr immer drängender die Frage: wie soll es weitergehen? Und ist der Wiederaufbau an gleicher Stelle überhaupt sinnvoll?

Gelder für den Wiederaufbau fließen vielen Flutopfern nicht schnell und unbürokratisch genug

Das Hotel von Familie Neiss in Bad Neuenahr-Ahrweiler stand in der Flutnacht im Erdgeschoss komplett unter Wasser. Zum Glück haben alle Familienmitglieder überlebt. Aber der gut laufende Betrieb und auch die Privatwohnung der vier-köpfigen Familie wurden zerstört. Eine Million Euro beträgt der Schaden und mittlerweile sind alle Ersparnisse aufgebraucht, denn die Familie war nicht versichert. Deswegen hatte sie bereits im vergangenen Jahr beim Land finanzielle Hilfen für die Gebäude beantragt. Bis zu 80 Prozent des Gebäudeschadens könnten sie so vom Staat bekommen. Geld vom Land habe die Familie bislang nur für den Schaden am Hausrat bekommen: Rund 29.000 Euro - nur ein Bruchteil der benötigen Summe. Aber für den Schaden am Gebäude sei noch kein Geld geflossen, sagt Yvonne Neiss gegenüber REPORT MAINZ. Darauf warte sie schon seit Monaten: "Ich muss ganz ehrlich sagen, ich bin enttäuscht von unseren Politikern, wirklich, wirklich enttäuscht. Weil da, wo sie wirklich hätten glänzen können, haben sie es verpasst."

Yvonne Neiss, Flutopfer
Yvonne Neiss, Flutopfer | Bild: SWR

Die Probleme begannen für die Familie schon bei der Antragsstellung. Yvonne Neiss habe einen Freund gebeten, ihr zu helfen, erzählt sie: "Der Mann ist Dozent und hat drei Tage gebraucht, diesen Antrag erst mal auseinanderzunehmen, weil der gespickt ist mit Paragraphen. Von wegen unbürokratisch. Was macht denn ein Normalbürger, der sich damit überhaupt nicht auskennt?" Erst Wochen später findet Yvonne Neiss heraus, dass bei einem der Anträge eine Kleinigkeit fehlte und deswegen nichts voran ging.

Verloren im Antragsdschungel?

So wie der Familie von Yvonne Neiss geht es vielen. 56.000 Menschen leben im rheinland-pfälzischen Katastrophen-Gebiet an der Ahr. 17.000 haben ihr Hab und Gut verloren oder unmittelbare Schäden erlitten. Fast 9.000 Gebäude wurden bei der Flut im Ahrtal beschädigt. Die Wiederaufbau-Anträge für die Häuser seien zu kompliziert und es dauere viel zu lange, bis die Gelder fließen, das berichten viele Betroffene gegenüber REPORT MAINZ - selbst bei Anträgen, die bereits im vergangenen Jahr gestellt worden seien.

Landesregierung räumt Probleme ein

Die Landesregierung verweist auf die sogenannten Info-Points. Die gibt es in vielen Ortschaften. Betroffene können sich hier Hilfe bei der Antragsstellung holen. Das scheint auch dringend nötig. Am 11. April berichtet Ministerpräsidentin Malu Dreyer bei einer Pressekonferenz im Ahrtal, dass erst gut 2.000 Anträge auf private Wiederaufbauhilfe gestellt worden seien - viele davon allerdings unvollständig. Darum könnten Hilfsgelder nicht fließen. Der Chef der zuständigen Investitions- und Strukturbank (ISB), Ulrich Link, sagt auf derselben Pressekonferenz, dass bei 400 Anträgen ein erster Abschlag abgerufen worden sei. Drei seien voll ausbezahlt worden.

Malu Dreyer, SPD, Ministerpräsidentin Rheinland-Pfalz
Malu Dreyer, SPD, Ministerpräsidentin Rheinland-Pfalz | Bild: SWR

Deswegen wolle das Land nun direkt auf die Menschen zugehen - mit der so genannten "aufsuchenden Hilfe". Dieses Pilotprojekt startet am 20.05.2022 in drei Ortschaften. Die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer, erklärt gegenüber REPORT MAINZ: "Das Pilotprojekt beginnt, weil wir sehen, dass wir nicht ausreichend Anträge haben. Und deshalb haben wir gesagt, wir machen uns auf den Weg und gehen jetzt einfach von Haus zu Haus und fragen, was der Sachstand ist." Helfer sollen Flutopfer in drei Ortschaften aufsuchen und sie bei der Antragsstellung unterstützen.

Rund vier Wochen später haben sich die Zahlen etwas verbessert. Inzwischen sind rund 2.300 Anträge bei der ISB eingegangen, 700 Antragsteller haben erste Abschläge bekommen und fünf Anträge wurden voll ausbezahlt.

Wird die Gefahr einer neuen Flut-Katastrophe unterschätzt?

Viele Menschen im Tal wollen ihre zerstörten Häuser wieder aufbauen, investieren ihre letzten Ersparnisse. Allerdings fragen sich viele Betroffene, ob der Wiederaufbau überhaupt sinnvoll ist. Wissenschaftler wie der Flut-Experte Dr. Thomas Roggenkamp von der Universität Bonn sind sich sicher, dass solche Fluten wieder kommen können, so wie es sie auch schon in der Vergangenheit gegeben habe. Der Hydrologe wertete für seine Forschung historische Quellen wie Pegelstände, alte Zeichnungen und Fotografien aus und hat so die Wassermassen historischer Fluten berechnet.

Dr. Thomas Roggenkamp, Hydrologe, Universität Bonn
Dr. Thomas Roggenkamp, Hydrologe, Universität Bonn | Bild: SWR

Beispielsweise bei einer Flutkatastrophe im Jahr 1804. Damals wurde das Tal mit einer fast ebenso großen Wassermenge geflutet wie im Sommer 2021. Trotzdem stieg im vergangenen Jahr der Pegel der Ahr noch weitaus höher. Der Grund: Heute ist das Ahrtal viel stärker bebaut und erst durch die vielen zusätzlichen Häuser habe sich das Wasser so stark nach oben gedrückt. "Die Ahr hatte weniger Platz, um in die Breite zu gehen und ist daher mehr in die Höhe gestiegen. Deshalb haben wir 2021 einen wesentlich höheren Wasserstand erreicht, obwohl die Wassermenge gleich war", sagt Experte Dr. Thomas Roggenkamp im Interview mit REPORT MAINZ.

Wird das Risiko einer erneuten Katastrophe unterschätzt?

Roggenkamp hält es für wahrscheinlich, dass das Ahrtal wieder überflutet wird. Daher bewertet der Hydrologe die neuen vorläufigen Hochwasserkarten der Landesregierung kritisch. Diese wurden im Oktober von den Behörden herausgegeben. Fast alle vom Hochwasser betroffenen Häuser können gemäß dieser Karten an Ort und Stelle, teils unter Auflagen, wieder aufgebaut werden - nur für 34 Gebäude gilt das nicht. Sie liegen in dem "vorläufigen besonderen Gefahrenbereich."

Auf welcher Grundlage wurde der vorläufige, besondere Gefahrenbereich bestimmt? Die zuständige Behörde in Rheinland-Pfalz, die Struktur- und Genehmigungsdirektion Nord (SGD Nord), teilt auf REPORT MAINZ Anfrage mit: Dieser sei "aufgrund von zu erwartender Wassertiefe, Fließgeschwindigkeit und damit zu erwartender Schäden an baulichen Anlagen im Hochwasserfall festgelegt" worden. Diese Festlegung kann Thomas Roggenkamp nicht nachvollziehen: "Da sehe ich persönlich keine wissenschaftliche Grundlage", sagt der Hydrologe.

Prof. Martin Kaschny, Vizepräsident SGD Nord
Prof. Martin Kaschny, Vizepräsident SGD Nord | Bild: SWR

Wäre der sogenannte vorläufige besondere Gefahrenbereich größer ausgewiesen worden, hätte das Konsequenzen für viele Bewohner im Ahrtal, sagt Professor Martin Kaschny, Vizepräsident der SGD Nord: "Dann haben sie ein anderes Tal und die Menschen wollten ihr Tal behalten." Im Falle einer Flut müsse man dann das Tal verlassen - rechtzeitig vorher. Ob das allen Menschen im Ahrtal klar ist? Oder signalisieren die Karten eine falsche Sicherheit für alle, die hier wieder aufbauen wollen?

Viele Flutopfer haben nicht nur ihr Zuhause verloren, sondern auch ihre Heimat. Ob es im Ahrtal jemals wieder so wird wie vor der Flut, fragen sich viele. Schnelle Hilfe für den Wiederaufbau wurde versprochen - doch die lässt ein gutes dreiviertel Jahr noch immer auf sich warten. Und über allem schwebt die Angst, dass so ein Unglück noch einmal passiert.

Stand: 08.02.2023 15:27 Uhr