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Date Rape: Schützen Tinder & Co. Frauen bei sexuellen Übergriffen?

Ein heißes Date, Sex und Spaß sind nur einen Swipe entfernt. So das Versprechen von Dating-Plattformen. Millionen Menschen flirten über Online-Dating-Apps. Doch was, wenn es zu Übergriffen kommt?

Schützen Tinder & Co. Frauen bei sexuellen Übergriffen?

Ich treffe eine junge Frau. Sie datet gerne über Tinder. Doch dabei ist ihr etwas Krasses passiert. Sie erzählt mir davon, möchte aber nicht erkannt werden. Sie hatte Oralsex, auf einem Balkon.

Betroffene (anonym):
"Es sollte eigentlich nur auf Spaß hinauslaufen. Ich hatte auch Spaß - bis zu dem Punkt, wo er dann, während ich ihn befriedigt habe, meinte, meinen Kopf halten zu müssen und sich komplett reindrücken zu müssen in meinen Hals."

Sie war erst kurz vorher am Hals operiert worden, hatte ihn gebeten, darauf Rücksicht zu nehmen.

Betroffene (anonym):
"Er hat dann rausgezogen und meinte: 'Oh, ich glaube du blutest da ein bisschen.' Die Wunde war aufgerissen. Er ist abgehauen, ist nicht wiedergekommen. Ich stand Oberkörper frei, aus dem Hals blutend, auf dem öffentlichen Balkon."

Ein Trauma, das sie bis heute prägt. Wir fragen uns: Wie viele Frauen haben Übergriffe bei Dates über Tinder oder andere Dating-Apps erlebt? Vielen fällt es schwer, offen darüber zu sprechen. Sie geben sich auch eine Mitschuld, weil sie sich freiwillig auf das Date eingelassen haben.

"Er hat mich dann tatsächlich ohne Kondom penetriert."

So ging es auch einer Frau, die sich kurz nach einem richtig schlimmen OkCupid-Date bei uns gemeldet hat. Wir verabreden uns mit ihr für ein Telefonat. Sie möchte nicht erkannt werden.

Betroffene (anonym, Stimme verfremdet):
"…dann war irgendwie klar: Okay, wir schlafen jetzt miteinander. Und weil er unbedingt eine Erektion kriegen wollte, hat er immer wieder angefangen, mit seinem Penis ohne Kondom irgendwie so rumzumachen bei mir und ich hab halt immer wieder nein gesagt und irgendwann ist es bei mir dann in so ein krasses Ohnmachtsdings gekippt. Und irgendwann hat er mich dann tatsächlich ohne Kondom penetriert."

Sonja Peteranderl, Autorin:
"Wir wollen herausfinden, wie groß das Phänomen 'Date Rape' in Deutschland ist."

Date Rapes haben während Corona zugenommen

Wir fragen die zuständigen Ministerien und auch das BKA an. Doch viele von ihnen haben das Phänomen nicht einmal auf dem Schirm. Anders Beratungsstellen. Wir fragen mehr als 600 Beratungsstellen an. Allein der Frauennotruf Kiel berichtet von mindestens 100 Fällen seit Pandemiebeginn. Vorher habe es nur vereinzelte Fälle gegeben. Viele antworten, dass die Meldungen sexueller Übergriffe während der Pandemie zugenommen hätten, so auch der Frauennotruf Mainz:

Emma Leonhardt
Emma Leonhardt | Bild: SWR

Emma Leonhardt, Beraterin Frauennotruf Mainz e.V.:
"Corona hat das ganze einfach noch mal verstärkt und verschärft, da durch den Lockdown es nicht mehr möglich war, sich an neutralen Orten zu treffen, da Cafés beispielsweise geschlossen hatten. Und noch dazu kam natürlich, man war plötzlich sehr isoliert, man hatte keine sozialen Kontakte mehr. Diese beiden Faktoren haben einfach begünstigt, dass Onlinedating noch mal einen neuen Stellenwert eingenommen hat und Date Rape dahingehend leider auch."

Dating-Apps versprechen hohe Sicherheit

Dabei versprechen Tinder, Bumble und OKCupid, dass Sicherheit für sie hohe Priorität habe.

Bumble:
"Wir werden niemals zögern, Maßnahmen zu ergreifen, wenn jemand gegen die Regeln verstößt - wir sind für dich da. Deine Sicherheit im realen Leben ist genauso wichtig wie die Sicherheit auf der App."

OKCupid (englisch):
"We do not want anyone to feel unsafe or harassed on the site. We do ban for extreme offsite behaviour."

OKCupid (deutsch):
"Wir möchten nicht, dass sich jemand auf der Webseite unsicher oder belästigt fühlt. Wir sperren, wenn es zu extremem Verhalten im Offline-Bereich kommt."

Tinder:
"Das Tinder-Sicherheitsteam hat es sich zur Aufgabe gemacht, die beste Sicherheitsorganisation der Welt aufzubauen (...). Wir bitten Sie, (...) sich sowohl online als auch offline an unsere Community-Richtlinien zu halten."

Klingt gut, aber stimmt das wirklich? Sie schildert uns: Der Mann, der sie missbraucht habe, sei weiterhin auf Tinder aktiv gewesen, immer wieder unter neuem Namen - obwohl sie ihn gemeldet habe. Sie kritisiert, Tinder habe sie mit der Situation völlig allein gelassen.

Betroffene (anonym):
"Wenn ich ihn gemeldet habe, gab es keine Nachfrage, was passiert ist und warum ich ihn melde. Aktiv irgendwie in Kommunikation mit Tinder war ich nicht."

Ist das nur bei ihr so oder passiert das auch in anderen Fällen? Wir machen den Selbstversuch. Mein Kollege und ich legen uns bei Tinder, OKCupid und Bumble ein Profil an. Ich melde ihn bei den Apps wegen eines angeblich übergriffigen Verhaltens.

Sonja Peteranderl, Autorin:
"Wir haben uns getroffen und er hat etwas getan, was ich nicht wollte."

Julia JaroschewskI, Autorin:
"Er hat dabei klar meine Grenzen überschritten."

Sonja Peteranderl, Autorin:
"Doch auch mehrere Wochen nach unserem Selbstversuch habe ich von keiner der Apps Unterstützung erhalten. Wenn ich jetzt wirklich einen Übergriff erlitten hätte, dann würde ich mich verdammt alleine fühlen."

Und was passiert mit dem angeblichen Täter? Tinder und OKCupid sperren seinen Account. Bei Tinder kann er sich mit einer neuen Handynummer wieder neu anmelden, bei OKCupid wird auch sein zweiter Account gesperrt. Bumble unternimmt auch nach mehreren Monaten nichts.

Plattformen sollen schnell handeln und schnell sperren

Sonja Peteranderl, Autorin:
"Haben die Plattformen überhaupt eine Verantwortung dafür, was offline passiert? Professor Dr. Kettemann sagt: 'Ja'. Er forscht zu Regeln für digitale Plattformen, die von Privatunternehmen betrieben werden, wie Tinder und Co."

Prof. Matthias Kettemann
Prof. Matthias Kettemann | Bild: SWR

Prof. Matthias Kettemann, Leibniz-Institut für Medienforschung:
"Gerade bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung ist es wichtig, dass die Plattformen hier aktiv werden, proaktiv tätig werden. Da muss man nicht warten auf eine Verurteilung. Da müssen die Plattformen zum Schutz der anderen Menschen, zum Schutz möglicher anderer Opfer, schnell handeln und schnell sperren."

Sonja Peteranderl
Sonja Peteranderl | Bild: SWR

Sonja Peteranderl, Autorin:
"Bumble, eine Plattform, die sich damit schmückt, besonders frauenfreundlich zu sein, hat in unserem Selbstversuch gar nicht auf unsere Meldung reagiert. Als wir die App-Betreiber darauf hinweisen, erhalten wir mehrere E-Mails und Anrufe. Die Plattform beteuert, die Sicherheit ihrer Community hätte oberste Priorität und dass dieser Verlauf nicht dem Standard bei Bumble entsprechen würde:"

Bumble:
"Bumbles Standard ist es, dem Opfer oder der/dem Überlebenden zu glauben."

Sonja Peteranderl, Autorin:
"Von Tinder erhalten wir eine ganz ähnliche Rückmeldung:"

Tinder:
"Es macht uns sehr betroffen, wenn jemand, egal wo, in die Hände von Kriminellen fällt und Angst, Missbrauch oder Gewalt erfahren muss. Wir arbeiten ständig daran, unsere Systeme zu verbessern, damit sich alle Nutzer unserer Apps respektiert und sicher fühlen."

Sonja Peteranderl, Autorin:
"Von OKCupid erhalten wir - trotz Nachfrage bis zur Fertigstellung des Films - gar keine Antwort."

Bei solchen Reaktionen fühlen sich die Betroffenen im Stich gelassen. Wenn die Dating-Apps nicht eingreifen, könnten die Täter die Apps weiter nutzen, um Frauen zu misshandeln oder zu vergewaltigen.

Stand: 26.7.2022, 17.59 Uhr

Autor*innen: Sonja Peteranderl, Julia Jaroschewski, Thomas Oberfranz
Kamera: Ayse Alacakaptan, Sarina Laudam, Christian Napiorkowski, Lucas Radermacher, Sebastian Weis
Schnitt: Bojan Novic, Kirsten Thorisch

Stand: 08.02.2023 15:27 Uhr

Sendetermin

Di., 26.07.22 | 23:15 Uhr