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"Vereinte Patrioten": Wer wollte Karl Lauterbach entführen?

Weil sie offenbar Gesundheitsminister Lauterbach entführen wollten, machte die Gruppe "Vereinte Patrioten" bundesweit Schlagzeilen. REPORT MAINZ zeigt: Hinter der Gruppe stecken Putin-Fans, Reichsbürger und Corona-Leugner. Sie vernetzten und radikalisierten sich in Chatgruppen beim Messengerdienst Telegram. Jetzt ermittelt die Bundesanwaltschaft.

Wer wollte Karl Lauterbach entführen?
Thomas O.
Thomas O. | Bild: SWR

Das Hambacher Schloss in Neustadt an der Weinstraße. Hier wurde einst der Grundstein für die deutsche Demokratie gelegt - und ganz in der Nähe, in der kleinen Winzerstadt, arbeitete dieser Mann offenbar daran, sie abzuschaffen: Thomas O. Dieses Foto zeigt ihn, bestätigen uns mehrere Nachbarn, die von seinen Ideen und Plänen nichts ahnten.

Nachbar von Thomas O.:
"Er war halt derjenige, der gesagt hat: Ne, er lässt sich nicht impfen. Aber so jetzt radikalisiert habe ich da gar nix gemerkt."

Ein Impfgegner, ansonsten aber unauffällig? Umso überraschender, dass er laut Ermittlern ein Kopf der Vereinten Patrioten sein soll, die bundesweit für Schlagzeilen sorgten.

Tagesschau, 15. April 2022:
"Ermittler in Rheinland-Pfalz haben eine rechtsterroristische Gruppe zerschlagen. Über Chats im Kurznachrichtendienst Telegram soll sie laut Generalstaatsanwaltschaft Koblenz Sprengstoffanschläge und die Entführung von Bundesgesundheitsminister Lauterbach geplant haben."

Auch wir bei REPORT MAINZ waren dieser Gruppe schon länger auf der Spur. Wir haben hunderte Chatnachrichten und heimlich aufgenommene Fotos von Treffen ausgewertet. Und so können wir zeigen, wie sich die Vereinten Patrioten radikalisiert haben und wer hinter der Gruppe steckt.

Wir treffen den Mann, der uns das Material zugespielt hat. Er ist Teil einer antifaschistischen Recherchegruppe, will unerkannt bleiben, denn zu Thomas O. und seinen Mitstreitern hat er verdeckt recherchiert.

Informant (Stimme nachgesprochen):
"Wir konnten seine Online-Aktivitäten etwa zwei Jahre zurückverfolgen. Der war in vielen Gruppen bei Telegram aktiv, wo es um Proteste gegen die Coronapolitik ging. Und man sieht, dass er sich schon länger mit Verschwörungserzählungen beschäftigt hat. Aber Corona war für ihn auf jeden Fall ein Antreiber."

Gegner der Corona-Politik

Aus den Chats lässt sich schließen: Thomas O., er war in einem Wahn. Die Corona-Maßnahmen seien schlimmer als der Faschismus. Die Pandemie - eine Kriegserklärung. Deshalb brauche es aufrechte Männer, die sich wehren, ehemalige Soldaten wie ihn.

Informant (Stimme nachgesprochen):
"Spätestens seit dem letzten Jahr wirkte er zunehmend überzeugt, handeln zu müssen."

Sven B.
Sven B. | Bild: isso.media

Endlich handeln - das wollte offenbar auch er: Sven B., der zweite Hauptverdächtige der Vereinten Patrioten, ein ehemaliger Soldat, jetzt Bilanzbuchhalter. Und auch er ist Impfgegner, wie er an seinem Briefkasten stolz zeigt.

Putin-Fan und Reichsbürger?

Der Journalistin Andrea Röpke ist er schon vor längerem aufgefallen, auf Treffen selbsternannter Veteranen und auf einer Demonstration der Querdenker. Dort trägt er ein Band mit eindeutiger Aussage.

Andrea Röpke
Andrea Röpke | Bild: SWR

Andrea Röpke, freie Journalistin und Rechtsextremismus-Expertin:
"Das ist das sogenannte Sankt-Georgs-Band. Das ist die Symbolik, die Fahne, der nationalen Befreiungsbewegung aus Russland. Das ist so ein Fanclub von Putin, der für Unruhe in Europa sorgen will. Sie sind diejenigen, die natürlich auch entsprechend der Ideologie der Reichsbürger sagen, dass die Bundesrepublik Deutschland kein legitimer Staat ist, dass wir unter Besatzung der Amerikaner stehen."

Die Gruppe weist das zurück. Welche Ziele Sven B. daraus ableitete, sagte er vor mehr als einem Jahr in einem Interview, das uns exklusiv vorliegt. Seine Stimme haben wir verfremdet.

Sven B., 20. März 2021 (Quelle: isso.media):
"Wir wollen nur dieses System weghaben. Und dann muss das Volk ein eigenes System…"

Frage: "Die Demokratie wollen Sie weghaben?"

Sven B., 20. März 2021 (Quelle: isso.media):
"Nein, nicht die Demokratie, sondern dieses System, was wir jetzt haben."

Frage: "Das ist die Demokratie."

Sven B., 20. März 2021 (Quelle: isso.media):
"Mhhh, da bin ich ein bisschen anderer Meinung."

Radikalisierung über Telegram


Sie wollten den Umsturz. Sven B. und Thomas O. - Putin-Fans, Reichsbürger und Gegner der Corona-Politik. Sie trafen sich und Gleichgesinnte bei Vernetzungstreffen und auf Telegram, in großen Chatgruppen und in konspirativen wie dieser. Dort stachelten sich einzelne Akteure immer weiter an - mit Fantasien zur Herstellung tödlicher Gifte, zum Sturm auf Berlin und zu Morden an Politikern.

Für den Verfassungsschutz und seinen Präsidenten Thomas Haldenwang ist dieser Fall ein Beleg, welche Gefahr von solchen Chatgruppen ausgehen kann.

Thomas Haldenwang
Thomas Haldenwang | Bild: SWR

Thomas Haldenwang, Präsident Bundesamt für Verfassungsschutz:
"Der Fall zeigt es nur zu deutlich, dass durch wechselseitige Radikalisierung dann auch die Gewaltbereitschaft zunimmt. Die Hauptprotagonisten haben dann einzelne, für sie besonders interessante Akteure identifizieren können und so hat sich dann diese kleine Gruppe gefunden, die tatsächlich sehr stark entschlossen war, schwere Anschläge zu begehen."

Dem kamen Verfassungsschutz, Polizei und Staatsanwaltschaft zuvor, auf diesem Parkplatz, als einer der Gruppe für 12.000 Euro Waffen entgegennehmen wollte. Eine Falle der Ermittler. Inzwischen gibt es fünf Verdächtige, darunter offenbar Corona-Leugner, Reichsbürger, Anhänger von Verschwörungstheorien.

Thomas Haldenwang, Präsident Bundesamt für Verfassungsschutz:
"Was alle diese Gruppierungen eint, das ist so eine tiefe Staatsverdrossenheit. In manchen Fällen würde ich schon sagen: ein Hass auf staatliche Institutionen, auf Protagonisten des Staates. Da werden natürlich auch Politiker schnell zu Schuldigen erklärt und gegen diese Schuldigen richtet sich dann auch dieser Hass, dieser Zorn, diese Gewalt."

Unsere Demokratie - einigen wird sie auch weiterhin ein Dorn im Auge bleiben.

Stand: 27.4.2022, 11.05 Uhr

Autor: Philipp Reichert
Kamera: Daniel Bischof, Till Talmann, Markus Windmeier, Jörg Zschimmer
Schnitt: Jenny Landvogt

Stand: 08.02.2023 15:26 Uhr

Sendetermin

Di., 26.04.22 | 22:00 Uhr