SENDETERMIN So., 20.07.25 | 18:30 Uhr | Das Erste

Griechenland: Asyl-Hotspot Kreta

Männer sitzen auf dem Boden einer Halle.
Zehn Tage warten einige Bewohner in der Halle bereits. | Bild: NDR

Eine Messehalle als improvisiertes Flüchtlingslager bei Chania. Derzeit so etwas wie das zweite Zuhause für Eleni Zervoudakis, stellvertretende Bürgemeisterin für Sozialpolitik. "Es sind auch immer wieder kleine Kinder dabei. Und wir schauen, dass sie die passende Milch bekommen. Das organisieren alles wir als Gemeinde. Mit Hilfe von Freiwilligen, die immer wieder herkommen. (..) Hier sind Windeln und Damenbinden."

"Ein Tsunami, der über Kreta rollt"

Schon vergangenes Jahr hat Griechenlands Regierung ein richtiges Aufnahmezentrum für Kreta angekündigt. Bis heute aber hat sie keine Taten folgen lassen. Und jetzt steigen die Zahlen. "Was wir vor ein paar Tagen erlebt haben, war der bisherige Höhepunkt. Mit großen Booten und mehr als 400 Menschen an Bord. Wir können das nicht beherrschen. Das ist wie ein Tsunami, der über Kreta rollt", sagt Vassilis Katsikandarakis, Präsident der Küstenwachen-Gewerkschaft West-Kreta.

Die Küstenwache muss nicht nur die Rettungseinsätze organisieren. Sie muss auch für Sicherheit in der Halle sorgen. Alle hier schieben Sonderschichten. "Ich bin furchtbar müde. Zehn Tage, von früh bis spät, ohne Pausen. Ich muss hier sein und ein Auge auf die Situation haben", sagt Eleni Zervoudaki.

Bilder des Elends inmitten des Ferien-Paradieses?

Mit den Bewohnern sprechen dürfen wir hier nicht. Zehn Tage warten einige Bewohner in der Halle schon hier, signalisieren sie uns. Was bewegt sie? Wir werden es später an einem anderen Ort erfahren. Zunächst fahren wir aber dorthin, wo die Flüchtlingsboote ankommen: An die Südküste Kretas. Urlauber haben eine der Ankünfte mit dem Handy festgehalten. Nahe der Ortschaft Lentas. Diese Bilder aus Agia Gallini sind 13 Tage alt: Rund 450 Personen, aufgegriffen auf See, werden im Hafen in Busse gesetzt. Eine verstörende Erfahrung für einige Feriengäste. "Ich finds schlimm, weil man ist hier Tourist und kriegt das Elend mit. Und das find ich eigentlich schlimm."; “Noch dazu, weil das die Bevölkerung sehr stark belastet", sagen zwei Touristen.

Unterwegs im Hafen mit dem Gemeinde-Vorsitzendem von Agia Gallini, Michalis Kassotakis: Bilder des Elends inmitten des Ferien-Paradieses? Der Gemeinde-Vorsitzende fürchtet, dass immer mehr Flüchtlingsboote kommen könnten. Von Libyen sind es nur 350 Kilometer übers Meer. Auf einem Boot sind zuletzt weitere Flüchtlinge angekommen. "Ungefähr 50 Personen waren das beim letzten Mal." Kassotakis betreibt selbst ein Hotel. Reiseveranstalter würden bereits nachfragen, ob es Probleme gibt. "Es muss etwas passieren, um das Problem zu lösen. Wenn es so weitergeht, könnte es sein, dass Agia Gallini nächstes Jahr gar keine Touristen mehr haben wird", sagt Kassotakis. 

Zur Abschreckung hat Griechenlands Regierung zwei Kriegsschiffe Richtung Libyen entsandt. Sie sollen auch Boote orten und Daten an die Hafenbehörden weiterleiten. Für Neuankömmlinge gelten jetzt verschärfte Gesetze. "Wer aus Nordafrika über das Meer zu uns kommt, dessen Asylantrag wird erstmal drei Monate lang nicht bearbeitet. Das heißt: Jeder illegal Einreisende wird festgenommen und verhaftet", sagt der griechische Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis. Eine Entscheidung, die Rechtsexperten für illegal halten. Und die bald wohl von Gerichten geprüft werden wird. "Das widerspricht komplett den grundlegenden Bestimmungen der griechischen Verfassung. Auch weil es gegen internationale Konventionen verstößt, die der griechische Staat unterzeichnet hat", erklärt Ombudsmann Andreas Pottakis.

Wer vor Krieg flieht, lässt sich von härteren Gesetzen nicht abhalten

Männer sitzen auf dem Boden einer Halle in Gruppen.
In der Halle herrschen schweißtreibende Temperaturen | Bild: NDR

Aber werden sich die Migranten wegen der neuen Gesetze gegen eine Flucht entscheiden? In einer Halle bei Rethimnon können wir schließlich mit Gelüchteten sprechen. Viele von ihnen kommen Ägypten und Bangladesh. Ihre Chance auf Asyl sind ohnehin gering. Sam aus dem Sudan kann hoffen. Er ist vor dem Bürgerkrieg geflohen und neun Tage vor Ort. "Das ist hart. Ja das ist es. Aber es gibt gerade keine andere Lösung. Ich akzeptiere alles. Ich bin erstmal glücklich hier zu sein. Und ich hoffe, Schritt für Schritt geht es weiter." In der Halle herrschen schweißtreibende Temperaturen. Raus dürfen sie nur zum Essen. Oder einzeln, um aufs Klo zu gehen. Jemmis und Steven aus dem Sudan haben sich ein traditionelles Spiel gebastelt. Um die Zeit totzuschlagen. Ihre Handys sind ihnen abgenommen worden. "Wir würden gern mit unseren Familien sprechen. Sie wissen nicht, ob wir noch leben…", sagt Steven. 

Nur das Nötigste gibt es hier. Wenngleich die Hilfsbereitschaft der Menschen vor Ort groß ist. Sam erzählt: Er wollte im Sudan Ingenieur werden. Aber der Krieg hat seine Pläne durchkreuzt. Seine Familie hat alles Geld zusammengekratzt. Auch die 2.000 Dollar für die Überfahrt. "Ich würde gerne in die Schweiz. Wenn das nicht klappt, dann irgendein anderer sicherer Ort, an dem ich studieren kann. Weißt Du, das Leben geht weiter.”

Kurz vor Beginn dieser Sendung erfahren wir, dass weitere Boote Kreta erreicht haben. Wer vor dem Krieg flieht, sagt Sam, der lässt sich auch von härteren Gesetzen in Europa nicht abhalten.

Autor: Moritz Pompl, ARD-Studio Rom

Stand: 20.07.2025 18:30 Uhr

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Norddeutscher Rundfunk
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