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Kolumbien: Zu Fuß durch den Dschungel – Der Traum vom guten Leben in den USA

PlayMigrat*innen überwurene den Acandí-Fluss.
Kolumbien: Zu Fuß durch den Dschungel – Der Traum vom guten Leben in den USA | Bild: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Fernando Vergara

"Es ist schrecklich, schrecklich mein Bruder"; "Kommt nicht hier durch… es gibt viele Tote, viele Tote"; "Es gab da Leute, die hatten ein Maschinengewehr, sie haben uns ausgeraubt und entführt": Es sind mahnende Sprachnachrichten derer, die den Darién-Dschungel durchquert haben – die lebensgefährliche und einzige Grenze zwischen Kolumbien und Panama. Der Weg der Flüchtlinge von Südamerika in die USA. Durch einen Dschungel, in dem sie Kriminelle, Giftschlangen und Unwetter fürchten müssen. Und doch kommen sie zu Tausenden, weil sie für sich und ihre Kinder keinen anderen Weg in ein besseres Leben sehen.

Die Sprachnachrichten wurden an Humberto Cruz geschickt. An seinem kleinen Lädchen im kolumbianischen Necocli kommt jeder vorbei, der in den Darién-Dschungel will: "Es ist der amerikanische Traum von vielen Menschen, die glauben, dass die USA das Größte sind. Es gehen viele dort hinein, aber es kommen viele nicht drüben raus. Kinder sterben – durch Hunger und Durst. Sie verletzen sich. Sie leiden sehr für ihren Traum", sagt Cruz.

Bei Migranten wird abkassiert

Auch Angelo will in den Darién aufbrechen. Der Haitianer sucht gerade das Nötigste zusammen. Necocli ist die letzte Rast vor dem Dschungel, eigentlich ein Touristenort, doch seit Monaten ist Wanderausrüstung der Renner. Bei Migranten wird abkassiert. Seine Heimat Haiti hat Angelo wegen der Kriminalität verlassen. Zwei Jahre arbeitete er in Brasilien, doch das Geld reichte weder zum Überleben noch um seine Eltern in Haiti zu unterstützen. Darum zieht er Richtung Norden: "Ich bin ein Mann, was auch immer an Herausforderung kommt, es ist meine Pflicht mich jedem Problem zu stellen."

 Mit elf Personen wollen sie sich auf den Weg machen, auch Kinder sind dabei. Sie brauchen Vorräte, die für fünf Tage Fußmarsch reichen. Angelo informiert sich die ganze Zeit, wie es anderen auf der Route ergangen ist: "Wir wissen es gibt sehr, sehr viele Diebe. Darum müssen wir immer etwas Geld in der Tasche haben. Denn wenn der Dieb dich überfällt und du hast kein Geld, dann ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass er dich umbringt." Über 100.000 Menschen, vor allem Haitianer, wagten allein in den vergangenen Monaten den Weg durch den Darién. Manche kommen krank von dort zurück, oder krank in Necoclí an.

 Darién: Ab Panama gefährlicher Weg

Ein Mann spricht in die Kamera.
Angelo wagt mit seiner Familie den Weg durch den Darién. | Bild: NDR

Als der neue Tag erwacht, marschieren Angelo und mehr als 100 Migranten zum Bootssteg. Die Nerven sind angespannt. Niemand will reden. Denn ohne die Überfahrt gelangt niemand zum Darién-Dschungel und die Grenzpolizei ist gekommen. Doch wer einen Pass hat, wird durchgewunken.50 Dollar kostet die Überfahrt, doppelt so viel wie ein Tourist zahlt. Ein Riesengeschäft. Mindestens fünf Millionen Dollar haben sie hier bereits mit den Migranten verdient. Angelo und seine Frau sind an Bord gelangt. Illegaler Migrant zu sein missfällt ihm. Er wünschte die USA hätten eine klare Einwanderungspolitik, den eines sei sicher: Migranten werden immer kommen: "Wenn ich ein Visum hätte für Mexiko oder die Vereinigten Staaten, müsste ich nicht durch all diese Länder reisen, dann müsste ich nicht mein Leben riskieren."

Der Boden, den sie jetzt betreten, ist gesetzlos, unter der Kontrolle von Paramilitärs. Sie schmuggeln Drogen durch den Dschungel, ohne sie geht hier nichts. Und das weiß jeder: die Regierung, die Migrant*innen. Für 100 Dollar werden sie zum letzten Camp und dann an die Grenze nach Panama gebracht, erzählt ein Schlepper anonym: "Von hier bis nach Panama wird Ihnen nichts passieren, weil wir auf sie aufpassen. Danach sind sie allein. Der Darién ist ein Ort, wo Böses geschehen kann. Entführungen, Vergewaltigungen. Auf dem Weg bin ich mal über zwei Tote gestolpert. Ein Kind und weiter unten war noch eine Leiche. Mir machen die Schlangen Angst. Ich bin schonmal auf eine getreten, ein andermal saß ich auf einem Baumstamm und dann war neben mir eine Schlange. Mir tut es leid wegen der Kinder. Ich habe auch Familie, eine Tochter. Das berührt mich."

Hoffung auf ein besseres Leben in den USA

Einfache Zelte auf einer Lichtung.
Das letzte Camp, bevor es an die Granze nach Panama geht. | Bild: NDR

Angelo ist noch immer am Bootssteg, drei Stunden vom Camp entfernt. Er hat einige aus seiner Gruppe verloren und ist im Stress. Er muss mit den Schleppern verhandeln, wie er jetzt bis zum Camp kommt. Und was passiert, wenn er im Darién noch mehr seiner Gruppe verliert – durch einen Unfall zum Beispiel? "Es gibt Mütter, die ihre Kinder im Darién zurücklassen, Kinder, die ihre Mütter zurücklassen. Ich werde tun, was ich kann für meine Leute. Es gibt da kein Krankenhaus. Ich hoffe, dass ich eine verletzte Person tragen kann, bis irgendwo ein Häuschen ist."

Es wird das letzte Mal sein, dass wir Angelo sehen. Es wird schon dunkel und noch immer sind die Migranten auf dem Weg hoch zum Camp. Gut möglich, dass mancher von ihnen den Darién nicht überlebt. Bei seiner Suche nach einem besseren Leben in den USA.  

Autorin: Xenia Böttcher, ARD-Studio Mexiko City

Stand: 10.01.2022 11:01 Uhr

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