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Nepal: Spurensuche – Der Absturz der "Tara Air"

PlayRettungskräfte am Absturzort.
Nepal: Spurensuche – Der Absturz der "Tara Air" | Bild: picture alliance / AA | Armed Police Force of Nepal

Wir sind auf dem Weg nach Kathmandu und auf einmal tauchen sie auf, die höchsten Berge der Welt. Nepals Achttausender ziehen die Touristen magisch an. In Kathmandu zu landen ist kein Problem. Aber dann, soll es hoch hinauf gehen zum Trekking, oder zum Bergsteigen. Und das geht nur mit kleinen Spezialmaschinen - STOL Airplanes. STOL steht dabei für: Short Take Off and Landing - kurzer Start, kurze Landung.

"Du musst wie ein Gott sein, denn es gibt keinen Platz für Fehler. Du brauchst das Selbstvertrauen, Ich bin wie Gott, ich mache keine Fehler", sagt Pilot und Ausbilder Roshan Koirala. Sechs Jahr lang geht das gut, es gibt in Nepal keinen Absturz. Die Sicherheit scheint deutlich verbessert. Nach der Öffnung nach Corona im Mai kommt der Tourismus endlich wieder in Fahrt. Und dann zerschellt Ende Mai eine Twin Otter der TARA Airlines auf dem Weg von Pokhara nach Jomson. 22 Menschen sterben, darunter auch ein Paar aus Deutschland. Der Chefpilot galt als sehr erfahren und sehr vorsichtig.

Wie gefährlich ist das Fliegen im Himalaja?

Twin Otter von vorne
Die kleinen Twin Otter-Maschinen, bringen nicht nur Touristen, sie versorgen auch die Bergdörfer. | Bild: NDR

Wie konnte das passieren und wie gefährlich ist das Fliegen im Himalaja? Wir suchen in Kathmandu nach Antworten. Wird genug für die Sicherheit getan und warum verschwinden während unserer Recherche angebliche Sicherheitszertifikate TUI von der Internetseite der TARA Air?
Zunächst aber wollen wir mehr über das Fliegen im Himalaja wissen. Roshan Koirala ist hier seit 20 Jahren Pilot und Ausbilder. Die Unfallstrecke ist er schon Hunderte Male geflogen: "Bei diese Art zu fliegen musst du mental sehr stark sein, denn es gibt keine Normalität. Du darfst nie sagen, ich habe viel Erfahrung, das ist ein Klacks."

Er zeigt uns die Route des Unglücksfluges, dort wo sie scharf nach rechts hätten abbiegen müssen, flog die Twin Otter geradeaus. Vielleicht wollten sie hochziehen und Wolken ausweichen, die hier in Sekundenschnelle entstehen können. Die Regeln heißen: Nur auf Sicht fliegen, niemals in die Wolken hinein. Denn in den Wolken, so heißt es in Nepal, gibt es Felsen.

Twin Otter-Maschinen fliegen mehr als 20 Bergflughäfen an

Die kleinen Twin Otter-Maschinen, bringen nicht nur Touristen zu den zurzeit mehr als 20 Bergflughäfen. Im Pendelverkehr versorgen sie auch die Menschen, die hier leben mit lebenswichtigen Gütern. Die Zeitfenster mit gutem Wetter sind oft kurz. Zu kurz, um auch alle Passagiere zu transportieren. Führt das zu ökonomischem Druck?

Der Geschäftsführer der TARA Air ist bereit mit uns zu reden. Er hat vier seiner Mitarbeiter und eine Maschine verloren. Stehen die Piloten bei ihm unter Druck? "Überhaupt nicht. Sie sind natürlich auch nur Menschen, wenn sie viele Touristen sehen, die auf den Flug warten, das ist vielleicht etwas anderes. Aber vom Management kommt nichts. Der Pilot kann jederzeit den Flug absagen. Niemand wird Fragen stellen, wenn er umkehrt", sagt Anoj Rimal.

Er zeigt uns noch ein aktuelles Sicherheitszertifikat der Tochtergesellschaft Yeti. Aber was ist mit der angeblichen Sicherheitsüberprüfung von TUI, die bis vor Kurzem noch die TARA-Seite schmückte? Direkt nach unseren Recherchen und einer Nachfrage bei TUI in Deutschland sind diese Zertifikate von der Seite verschwunden. TUI schreibt: "Wir haben mit der Airline keine Geschäftsbeziehung, haben auch nie den Flugbetrieb auditiert", sprich geprüft.

Falsche Zertifikate auf der Internetseite von TARA?

Touristen an einer Twin Otter
Die Zeitfenster mit gutem Wetter sind oft kurz. | Bild: NDR

Da müsse er seinen Sicherheitschef fragen, der sei aber nicht da, sagt Anoj Rimal. Wir überlegen, was das jetzt zu bedeuten hat. Dann ist der Sicherheitschef doch da und kommt ins Schwitzen. "Das ist von früher, nicht von jetzt. Das TUI Zertifikat sei von 2015. Die Jungs aus der IT-Abteilung haben wohl vergessen es zu löschen." Vertrauenserweckend ist das nicht.

Was sagt die zivile Aufsichtsbehörde für die Luftfahrt dazu? Wir bekommen auch hier schnell einen Interviewtermin. Chandra Lal Karna ist stellvertretender Generaldirektor und zuständig für die Sicherheit im Luftverkehr. Er ist freundlich, wie alle, denen wir begegnen und bestimmt, was die Sicherheit angeht: "Es gibt keinen Zweifel an der Flugsicherheit in Nepal. Wir halten uns an die internationalen Standards.  Wenn wir zurückblicken auf die Bilanz des letzten Jahrzehnts, dann hatten wir keine Unfälle mit internationalen Flügen oder auf unseren Hauptstrecken. Unfälle gab es nur in den Bergen.“

Und die falschen Zertifikate auf der Internetseite von TARA? "Zu ihrer Frage kann ich nicht viel sagen, ob da was steht oder nicht. Wir prüfen die Fluggesellschaften, auch ohne Vorankündigung." Dann spricht er überraschend offen über ein Grundproblem seiner Behörde: "Unser Generaldirektor hat zwei verschiedene Aufgaben. Auf der einen Seite ist er Dienstleister für alle am Luftverkehr Beteiligten, betreibt die Flughäfen, die Kontrolle des Luftraums, die Navigation. Und dann ist er aber auch derjenige der das ganze System kontrollieren soll. Das ist ein Interessenskonflikt."
Das soll geändert werden. Es gäbe auch schon ein neues Gesetz dazu. Es läge auch im Parlament – seit fünf Jahren. Und auch das gibt er uns noch mit auf den Weg: Der verstorbene Chefpilot war ein enger Freund.

Fliegen als Traum und als Albtraum

Große Hoffnung auf eine Karriere als Pilot hatte der 25-jährige Utsav Pokharel, der Co-Pilot der Unglücksmaschine. Seine Familie ist nach Kathmandu gekommen, um ihn zu bestatten. Wie bei Hindus üblich haben sich die Männer zum Anfang der 13-tägigen Trauerzeit die Köpfe geschoren. „Vor drei Jahren als er gerade seinen Zwischenprüfungen beendet hatte, rief er mich an und sagte. Vater, ich will Pilot werden. Ich habe sofort abgelehnt, habe an das Risiko gedacht und dass ich nur zwei Söhne habe", erinnert sich Maniram Pokhrel.

Nach einer Woche haben sie nachgegeben und ihr Sohn ist zur Pilotenausbildung in die Philippinen geflogen. Auch sein älterer Bruder, Umesh Pokhrel, war immer fasziniert von der Fliegerei. "Um ehrlich zu sein, ich dachte früher, sie sind keine Menschen, sie sind wie Gott. Sie bringen uns Medikamente und Essen in die Berge. Mein Bruder hatte den gleichen Traum. Ich werde Pilot sein. Und ich sagte: Es ist auch mein Traum."

Auch Umesh wird in einem halben Jahr seine Pilotenlizenz gemacht haben. Auch er wird in Nepal fliegen.Denn jetzt als einziger Sohn müsse er für seine Eltern da sein. Fliegen als Traum und als Albtraum. Die Eltern Pokharel müssen damit leben, dass ihre Söhne den gleichen Traum hatten. Einer hat ihn mit dem Leben bezahlt.

Autor: Andreas Franz, ARD-Studio Delhi

Stand: 19.06.2022 19:36 Uhr

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