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Russland: Zwischen Häme und Sorge – Putins Angst vor den Taliban

PlaySowjetisches Zeichen auf einem Panzer.
Russland: Zwischen Häme und Sorge – Putins Angst vor den Taliban | Bild: NDR

Für den russischen Präsidenten steht fest: Sein Land wird sich nicht in Afghanistan einmischen: "Die UDSSR hat ihre eigenen Erfahrungen mit diesem Land gemacht und wir haben unsere Lektion gelernt", äußerte Wladimir Putin vor einigen Tagen. Fast zehn Jahre lang besetzten sowjetische Truppen Afghanistan. Die geschlagene Rote Armee zog sich am Ende zurück.

Es sind immer Kränze am Moskauer Denkmal für die in Afghanistan gefallenen Sowjetsoldaten. Gleich nebenan steht ein Original-Panzer, eine Attraktion für Kinder. Doch der Krieg von damals ist heute kaum noch präsent. Fast zehn Jahre lang waren sowjetische Truppen in Afghanistan. Auch ihnen gelang es nicht, das Land unter ihre Kontrolle zu bringen. Auch sie mussten am Ende abziehen. Am 15. Februar 1989 verkünden die sowjetischen Abend-Nachrichten, dass der Abzug der Truppen aus Afghanistan nun beendet sei – mit unverhohlener Kritik, wie sie heute kaum noch möglich wäre. "Jetzt ist alles vorüber", heißt es im Kommentar, als die letzten Panzer über die Brücke aus Afghanistan in die damalige usbekische Sowjetrepublik rollen. Und dann sagt der Sprecher: "Für diese Soldaten ist der Krieg erst dann vorbei, wenn sie nicht mehr von den gefallenen Kameraden träumen. Und wenn sie eine klare Antwort auf ihre Frage bekommen: Wofür haben wir gekämpft?"

"Fehler der USA war strategisch"

Ein Mann im Interview.
Boris Podoprigora war als Militärübersetzer und Experte in Afghanistan. | Bild: NDR

Der Rückzug dauerte ein Jahr, wirkte weit geordneter als der hastige Abzug der Amerikaner. So war es auch, sagt Boris Podoprigora. Er war als Militärübersetzer und Afghanistan-Experte geschickt worden, vom Geheimdienst. Den Abzug hat er mit organisiert: "Verstehen Sie, ich rede hier nicht mit Ihnen, um die Amerikaner fertigzumachen. Aber ihr Fehler war strategisch. Sie haben von Anfang an nicht gewusst, in was für ein Land sie da reingehen. Auch wir haben das damals vielleicht nicht ganz verstanden, aber nach so vielen Jahren wussten wir wenigstens, wie man da vernünftig wieder rauskommt."

Raus kamen auch die Sowjets nur zu einem sehr hohen Preis. Mindestens 15.000 Soldaten fielen laut offiziellen Angaben in diesem Krieg. Schätzungen gehen von doppelt so vielen aus. Und: Hunderttausende Afghanen kamen um. Die Gegner der Sowjets kämpften auch mit westlicher Hilfe: Washington hatte Waffen geschickt. Nach dem Abzug der Sowjetarmee versank das Land im Bürgerkrieg. Drei Jahre später waren die Taliban an der Macht.

Neue Situation in Afghanistan auch für Russland brandgefährlich

Diesmal, nach dem Rückzug der westlichen Truppen, dauerte es nur wenige Tage, bis die Taliban die Kontrolle hatten. Demütigend schnell, sagt Boris Podoprigora. Das habe auch ihn überrascht: "Die Amerikaner sind nicht dumm, sie verstehen genau, welche Wirkung diese Bilder haben. Afghanen, die sich an den Flugzeugen festklammern am Kabuler Flughafen, die herunterfallen. Das ist ein ernsthafter Schlag. Diese Erfahrung nehmen sie mit nach Hause in die USA, all das werden sie zuhause erzählen müssen. Schadenfreude halte ich hier für völlig fehl am Platz."

Im Gegenteil, sagt auch die Islamismus-Expertin Elena Suponina. Denn: Auch für Russland sei die neue Situation in Afghanistan brandgefährlich: "Die Terrorgefahr nimmt zu. Islamisten überall in der Welt bekommen Auftrieb. Die gucken sich die Taliban an und applaudieren. Auch die verbotene Al-Nusra-Front in Nordsyrien hat sich über den Sieg gefreut. Und Russland ist in Syrien präsent."

Afghanische Regierungsmitglieder auf internationalen Terrorlisten

Eine Frau im Interview.
Elena Suponina ist gegenüber der Taliban-Führung skeptisch. | Bild: NDR

Russland bereitet sich längst vor: Seit Monaten verstärkt es seine Manöver mit den zentralasiatischen Nachbarstaaten Afghanistans. Groß ist die Angst, dass Islamisten auch in diesen Staaten wieder erstarken – und damit noch näher an Russland rücken. Dennoch sieht man in Moskau wohl auch eine Chance in der Schwäche der USA. Mit den Taliban – obwohl sie hier offiziell verboten sind – redet Russland schon seit Jahren. Man hat sich längst eingestellt auf die neuen Nachbarn. "Fast alle werden am Ende mit den Taliban reden müssen", sagt auch Außenminister Lawrow, "ich denke, fast alle tun es schon. Je nachdem, wie sie ihre Versprechen halten und wie ihre Machtausübung am Ende aussieht, wird man natürlich auch über ihre Anerkennung nachdenken."

Elena Suponina ist skeptisch: "In der neuen Regierung ist nicht eine Frau, das zeugt nicht gerade davon, dass die Taliban sich ändern wollen. Die Mehrheit der Regierungsmitglieder sind Männer, die auf internationalen Terrorlisten stehen." Aber, Moskau will kein neues Afghanistan-Trauma erleben. Wohl auch deshalb scheint hier die Bereitschaft, mit den Taliban zu reden, weit höher als anderswo.

Autorin: Ina Ruck, ARD-Studio Moskau

Stand: 12.09.2021 19:50 Uhr

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