SENDETERMIN So., 22.01.23 | 18:30 Uhr | Das Erste

Ukraine: Ehe und Liebe im Krieg

PlayEin Soldat trägt seine Braut auf dem Arm
Ukraine: Ehe und Liebe im Krieg  | Bild: NDR

Der Krieg hat in der Ukraine zu so vielen Eheschließungen geführt wie noch nie. Im Angesicht von Gefahr für Leib, Leben und Heimat entscheiden sich viele Paare schneller für eine gemeinsame Ehe. Die Zahl der Scheidungen ist dagegen zurückgegangen. Doch häufig ist es Sorge und Zukunftsangst, die zur schnellen Hochzeit führt. Und der Alltag, vor allem an der Front, ist geprägt von Angst. Für viele der geflüchteten Frauen und Kinder wird das Leben ohne Partner nicht einfacher.

Kennenlernen an der Front – Heiratsantrag nach fünf Tagen

Lyman im Donbas, beziehungsweise das, was von Lyman übrig ist. Die Stadt wurde im vergangenen Herbst vom ukrainischen Militär zurückerobert. Alles zurück auf Anfang. Krieg kann so etwas wie eine Reset-Taste sein. Für eine Stadt, aber auch für Ehen, für die Liebe. Yevgenia und Sascha haben hier ein verlassenes Haus "gefunden". Die beiden Sanitäter haben sich bei einem Einsatz direkt an der Front kennengelernt. "Wir kennen uns seit drei Monaten. Und in den drei Monaten waren wir immer zusammen, bis auf ganz wenige Tage", erzählt Sascha. Sie kannten sich gerade fünf Tage, da machte Sascha ihr schon einen Heiratsantrag. Mitten im Krieg. "Früher habe ich immer alle Angebote abgelehnt, ich wollte nicht heiraten. Bis ich meinen Prinzen im Krieg traf", sagt Yevgenia. Sascha blieb hartnäckig. Und grub sich in Yevgenia Herz ein.

Sie war mal Schönheitskönigin, Anwältin in Kiew, dann kam der Krieg und sie wurde Sanitäterin. Im Dezember haben sie an der Front geheiratet. Statt des Standesbeamten hat sie der Kommandant getraut. Jetzt verbringen sie ihre Flitterwochen. "Im Krieg zeigt sich die Seele. Die Seele eines Menschen, mit dem du kommunizierst, du siehst ihre guten und ihre schlechten Seiten. Hier im Krieg siehst du die intimsten Ecken einer Seele. Und dann ist es entweder Liebe oder eben nicht", sat Yevgenia. Sascha ergänzt: "Du siehst alles im Krieg. Das ist eigentlich sehr einfach: Auf der einen Seite ist das Leben, auf der anderen der Tod. Und wir wissen alle, dass es kein Morgen geben kann."

21 Prozent mehr Hochzeiten

Wir hören von einigen solcher Liebesgeschichten. Im ersten Jahr des Krieges haben tatsächlich 21 Prozent mehr Paare geheiratet. Ein Standesamt in Kiew: Zeit für lange Interviews haben sie hier nicht, aber das Brautpaar bringt es knapp und klar auf den Punkt: "Der Krieg bringt Menschen einander näher. Und näher zur Liebe", sagt Braut Oleksandra. Ihr Bräutigam Oleksandr fügt hinzu: "Das Leben geht weiter, die Liebe wächst." Schon kommt das nächste Brautpaar.

Wissenschaftler beschäftigen sich mit der Frage: Was macht der Krieg mit der Liebe. "Es ist schwer, dass euch Deutschen zu erklären. Ihr lebt in Sicherheit, Ihr könnt nachdenken. Für uns zählt jetzt aber jeder Moment des Lebens. Deshalb treffen Menschen schnelle unabhängige, an die Situation angepasste Entscheidungen" sagt Psychologe Dr. Bohdan Tkach von der Polytechnischen Universität Lviv.

Wenn der Krieg zur Entfremdung führt

Eine Frau beim Interview.
Katya floh mit den beiden Kindern zu Beginn des Krieges nach Deutschland, ihr Mann musste in Kiew bleiben. | Bild: NDR

Der Krieg kann auch genau das Gegenteil bewirken, er kracht in Ehen hinein, sie zerbrechen. Katya floh mit den beiden Kindern zu Beginn des Krieges ins sichere Deutschland, ihr Mann musste in Kiew bleiben. "Ich hatte als Mutter natürlich meinen Mutterinstinkt, dass ich zuerst die Kinder retten musste. Und der Mann unterstützte diese Entscheidung auch", erinnert sich Katya. Sie war mit dem neuen Leben in Deutschland beschäftigt: Unterkunft, die Kinder, Kindergarten. Ihr Mann und sie, sie wurden sich fremder. "Natürlich braucht jeder Mann die Liebkosung einer Frau, die Liebe einer Frau und das Essen zu Hause. Dann hat es etwas gedauert, und er hat diese Person gefunden, die ihm diese Unterstützung und dieses Verständnis gab. Sie war hier, und er war hier und ich war da. Und die Telefongespräche reichten ihm eben nicht aus." Katya hört ähnliche Geschichten aus ihrem Umfeld. Bloß am Ende, leiden nicht nur die Großen: "Ich weiß nicht, wie ich den Kindern erklären soll, warum der Vater nicht mal Zeit hat, eine halbe Stunde mit ihnen zu spielen", sagt Katya.

Der Krieg, die Reset-Taste und das wahre Ausmaß der Verwüstung wird man erst im Frieden erahnen.

Autorin: Isabel Schayani, ARD-Studio Kiew

Stand: 22.01.2023 19:46 Uhr

6 Bewertungen
Kommentare
Bewerten

Kommentare

Kommentar hinzufügen

Bitte beachten: Kommentare erscheinen nicht sofort, sondern werden innerhalb von 24 Stunden durch die Redaktion freigeschaltet. Es dürfen keine externen Links, Adressen oder Telefonnummern veröffentlicht werden. Bitte vermeiden Sie aus Datenschutzgründen, Ihre E-Mail-Adresse anzugeben. Fragen zu den Inhalten der Sendung, zur Mediathek oder Wiederholungsterminen richten Sie bitte direkt über das Kontaktformular an die ARD-Zuschauerredaktion: https://hilfe.ard.de/kontakt/. Vielen Dank!

*
*

* Pflichtfeld (bitte geben Sie aus Datenschutzgründen hier nicht Ihre Mailadresse oder Ähnliches ein)

Kommentar abschicken

Ihr Kommentar konnte aus technischen Gründen leider nicht entgegengenommen werden

Kommentar erfolgreich abgegeben. Dieser wird so bald wie möglich geprüft und danach veröffentlicht. Es gelten die Nutzungsbedingungen von DasErste.de.

Sendetermin

So., 22.01.23 | 18:30 Uhr
Das Erste

Produktion

Norddeutscher Rundfunk
für
DasErste