So., 12.11.23 | 18:30 Uhr
Das Erste
Malaysia: Wut auf Israel und Sympathie mit der Hamas
Die letzte Bestattung ist schon zwölf Jahre her auf dem einzigen jüdischen Friedhof in ganz Malaysia. Samy kümmert sich um den Ort, fegt zwischen den Gräbern. Er ist Hindu. Auch sie kennt den Friedhof gut: Selma Nasution Khoo ist Muslimin und arbeitet für einen Kulturverein Penang Heritage Foundation in der Stadt. Für sie eine Selbstverständlichkeit, das Andenken an Juden in Malaysia zu bewahren. "Natürlich beten wir keinen anderen Gott an außer Allah. Aber einen Friedhof zu besuchen, eine Kirche oder einen Tempel, das ist in Ordnung. Und Juden sind ja auch Teil des Koran. Darum müssen wir ihre Gräber doch auch schützen."
Eine Muslimin und ein Hindu kümmern sich um das jüdische Erbe – das Verständnis für andere Religionen könnte so unkompliziert sein, ist es in Malaysia aber meistens nicht. Denn anders als in der quirligen Küstenstadt George Town haben viele Menschen im Land eine strengere islamische Haltung verinnerlicht.
Pro Palästina, gegen Israel
Schulbeginn am Morgen in einer Madrasa, einer islamischen Schule in der Hauptstadt Kuala Lumpur. Seit dem Krieg in Gaza zeigt sich schon bei den Kleinen, auf welcher Seite die Mehrheit in Malaysia steht im Konflikt. Die morgendliche Runde durch die Nachbarschaft ist mittlerweile immer auch ein Protest Pro Palästina, gegen Israel. Schulleiter Lokman Shazly zeigt uns seine Madrasa. In Malaysia können Eltern sich entscheiden, ob sie ihre Kinder auf eine öffentliche oder eine Koranschule schicken. Zwar pauken auch sie hier Mathe, Erdkunde und Englisch, aber die meiste Zeit geht es ums Koran-Studium. Sure für Sure auswendig lernen. Tag für Tag. Bis sie die mehr als 6.000 Verse auswendig drauf haben.
Der Schulleiter sieht in dem Buch die einzige Orientierung. Auch im Nahostkonflikt. "Der Koran lehrt uns, wie wir gute Menschen sind. Wie wir richtig miteinander umgehen. Und wenn wir jetzt sehen, was in Gaza passiert. Die Grausamkeiten. Das Leid. Das steht nicht im Einklang mit dem Koran. Das hat nichts mit Muslimen oder mit dem Islam zu tun." Hier sind sich alle einig: Die Schuld am aktuellen Krieg trägt Israel. Alle unterstützen Palästina. Auch in der Versammlung, bei der die Schülerinnen und Schüler an die Opfer denken.
Mitgefühl mit Juden und Israelis? Fehlanzeige. Auch in der malaysischen Regierung. Hier lässt sich Premierminister Anwar Ibrahim bei einer der vielen Protestkundgebungen im Land feiern. Er beklagt barbarisches Verhalten Israels. Und weigert sich, die Angriffe der Hamas zu verurteilen. Auch wenn das andere Staaten von ihm fordern. "Wagt es nicht uns zu drohen! Malaysia ist ein absolut unabhängiges Land. Wir entscheiden, was richtig ist. Wir stehen zum palästinensischen Volk in diesem Kampf. Gestern, heute und morgen, so Gott will."
Kein Mitgefühl mit Juden und Israelis
Die Haltung Malaysias im Nahostkonflikt war schon immer radikal. Doch Politikwissenschaftlerinnen wie Syaza Shukri von der International Islamic University Malaysia meinen: Jetzt kommen auch noch innenpolitische Motive dazu. "Die Opposition ist eine islamistische Partei. Und deren Mitglieder sehen sich selbst als die eigentlichen Verteidiger des Islam. Sie werfen Anwar Ibrahim vor, nicht genug für die muslimische Sache zu tun. Und deswegen musste der Premierminister seine Rhetorik verschärfen, um sein Image zu stärken als muslimischer Anführer."
Auch Schulleiter Lokman Shazly findet es richtig, wie Malaysia sich auf internationaler Bühne verhält. Dann zeigt er uns noch seinen Reisepass: Gültig für alle Länder steht da, außer für Israel. Für ihn eine klare Sache. Israel sei nun mal kein richtiger Staat. Und die Hamas in Gaza keine Terroristen, eher Widerstandskämpfer. "Aus meiner Sicht: Die beschützen ihr Land. Sie tun was sie können. Sie haben ja keine Wahl. Sie müssen kämpfen. Sie beschützen ihr Land, das mal ein großes Palästina war und von dem nur ein kleines Gaza übriggeblieben ist."
Eigentlich geht es ihnen hier um die richtige Lehre des Islam. Doch ihren Glauben und die Haltung zum Nahostkonflikt zu trennen – das fällt vielen Muslimen in Malaysia nicht leicht.
Autor: Florian Bahrdt, ARD-Studio Singapur
Stand: 12.11.2023 20:21 Uhr
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