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Bagdad: Beethoven gegen Bomben

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Bagdad: Beethoven gegen Bomben | Bild: ARD

Ein Flötenverkäufer in Bagdad bietet seine Ware an, vor Fassaden, von Bomben zerfetzt. Umgerechnet 2 Euro 50 kostet so ein bisschen Musik für den Hausgebrauch.

Ein Flötenverkäufer
Ein Flötenverkäufer | Bild: Bild: BR

Marode Straßen, Werbeplakate für Milizen und überall Uniformen. Bagdad ist nicht gerade bekannt als Stadt der Musik. Karim Wasfi will das ändern. Und das hat viel mit ganz persönlichem Trotz zu tun. Vor etlichen Wochen packte er zum ersten Mal sein Cello aus, setzte sich auf den Gehweg und spielte. Damals war hier eine Bombe explodiert. Fünf Menschen starben.

Musik zum Gedenken, Musik als Ermutigung

Karim Wasfi
Karim Wasfi | Bild: Bild: BR

Handwerker reparieren gerade die Schäden. Karim Wasfi will, dass die Handwerker Recht behalten, dass es sich lohnt, wieder aufzubauen. Er will, dass die Hoffnung nicht auch noch stirbt. Darum spielt er immer wieder an Orten von Anschlägen: "Die Terroristen vom Islamischen Staat haben beschlossen, jeden einzelnen Bereich des Lebens zu bedrohen. Damit werden jede Hoffnung und Inspiration gefährdet. Gerade deshalb setze ich auf Hoffnung und Inspiration, auf Ausdauer, Kultiviertheit und Höflichkeit."

Dschassim, der Mann im Rollstuhl, hat den Anschlag überlebt. Jetzt hörte er wieder die Klänge des Cellos, Bruchstücke der Melodie dringen doch durch den Straßenlärm. "Wir Iraker kennen nichts anderes mehr als Leiden", sagt Dschassim. "Krieg ist Normalzustand, Grausamkeit längst nicht mehr außergewöhnlich. Die IS-Terroristen wollen nicht, dass das irakische Volk zur Ruhe kommt. Unserem Volk wird großes Unrecht angetan, schon sehr lange."

In Bagdad explodieren Bomben, werden Menschen erschossen, Bücher geschrieben, Witze erzählt. All das ist Alltag. Kerim Wasfi will ein Zeichen setzten: dem Krach der Explosionen den Klang seines Cello entgegensetzen. Er ist überzeugt: Musik kann Menschen ändern:

»Wenn ich von zehn IS-Kämpfern nur fünf der Musik von Bach oder Brahms, Beethoven, Wagner, Mozart oder Strawinski aussetzen könnte, vielleicht würden sie dann nicht alles nur auslöschen und völlig zerstören, was nicht ihrer Weltsicht entspricht.«

Die Kraft der Musik

Bläser bei der Orchesterprobe
Bläser bei der Orchesterprobe | Bild: Bild: BR

Karim Wasfi ist Dirigent des Irakischen Nationalen Symphonieorchesters – Rimski-Korsakow proben sie heute.

»Klassische Musik hat eine besondere Kraft. Sie regt zum Denken an, zum Fühlen. Musik könne lehren, dass es andere Wege gibt, Konflikte beizulegen. Man muss sich nicht umbringen – man kann zum Beispiel miteinander reden: Das ist die einzige Möglichkeit, Meinungsverschiedenheiten zu lösen. Sonst wird es immer jemanden geben, der stärker ist – und es eine endlose Maschinerie des Tötens. Jede einzelne Sekunde habe ich Zweifel. Das überwinde ich durch harte Arbeit. Bin ich zuversichtlich, dass meine Arbeit Erfolg hat? Ich habe beschlossen, darauf nicht zu antworten.«

Karim Wasfi vor einem Schaufenster
Karim Wasfi vor einem Schaufenster | Bild: Bild: BR

"Domino-Spielen im Café, ein schöner Abend, ein nettes Gespräch: Iraker sind einfache Leute, sie sind mit wenig zufrieden", sagt Karim Wasfi. "Warum müssen die Menschen in Bagdad immer fürchten, nicht mehr lebend heimzukehren?" Als naiv will er nicht gelten; er selbst ist 33 mal Bombenanschlägen knapp entgangen. Das müsse Schicksal sein:

»Eine Bombe wird gemacht, um zu explodieren. Dem entkommen zu sein, einfach gerade nicht dort gewesen zu sein, wo es passiert ist, hatte eine Bedeutung und hat immer noch eine Bedeutung.«

Man könne sich dem Terror ergeben, meint Karim Wasfi – in Bagdad liegt das sogar ziemlich nahe. Seine Botschaft ist: Man kann sich auch anders entscheiden: für Kultur, für Musik, für das Leben.

Autor: Volker Schwenck, ARD Kairo

Stand: 08.06.2015 20:09 Uhr

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Bayerischer Rundfunk
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