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China: Immobilienkrise – das Leid der Käufer

PlayChina: Leerstehende Hochhaussiedlungen – Chinas Immobilien.
China: Immobilienkrise spitzt sich zu  | Bild: imago/imagebroker



Es sind nur wenige Dorfhäuser übriggeblieben. Und auch nur ein wenig Leben. Am Stadtrand der Küstenstadt Dalian, im Nordosten Chinas ist eine Neubausiedlung entstanden. Dieser Dorfbewohner wollte auf keinen Fall den Neubauten weichen. Er darf hierbleiben. Er ist hier aufgewachsen: "Das ist mein Haus. Die Regierung interessiert sich nicht mehr für diesen Ort, niemand kümmert sich."

Viele Dorfbewohner:innen wurden vor einigen Jahren woanders hin umgesiedelt, ihre Häuser abgerissen. Entstanden sind diese benachbarten Betontürme, gespenstisch leer. Eine Hochhaussiedlung, die nicht fertig gebaut ist. Ein Mann, der die Einsamkeit überwacht, sagt uns knapp: "Das Geld ist ausgegangen." Mehr will er nicht sagen. 

Dieses Mädchen nimmt uns mit in ihr Zuhause. Seit Jahren stockt dieser Bau, der schon 2016 fertig sein sollte. Für das Mädchen und ihre gesamte Familie gab es keine Alternative, sie müssen in diesem Rohbau leben. Für den Wohnungskauf haben sie einen hohen Kredit aufgenommen. Ein anderes Zuhause haben sie nicht mehr. Sie machen es sich hier so wohnlich wie möglich. Das ist nun ihr Leben: "Es gibt keine Lösung, wo sollen wir schon den Zuständigen finden. Unsere finanzielle Situation ist nicht gut. Sich zu beschweren oder gar eine Klage einzureichen, kostet zu viel. Ist das nicht die Wahrheit für Menschen, wie wir es sind? Menschen mit Geld könnten sicher mehr erreichen", sagt das Mädchen. Sie warten und frieren in den kalten Monaten. Es fehlt eine Heizung. Für Wasser und Strom dürfen sie die Leitungen aus der benachbarten Fabrik anzapfen. Die Häuser sind verlassen.

Realität auf dem Wohnungsmarkt

Es gehört zum Landschaftsbild in China: leerstehende Hochhausriesen. Wohin auch immer man fährt in diesem riesigen Flächenland: in den letzten fünfzehn Jahren ist so viel gebaut worden, wie nirgends sonst auf der Welt. Ein völliges Überangebot. Das Schema, immer dasselbe: Die Lokalregierungen verkauften Land an Immobilienkonzerne, machten damit Kasse, viele Wohnungen sind auch Spekulationsobjekte.

Der Finanzwissenschaftler Pettis lehrt in Peking an der Uni. Er beobachtet den Immobilienmarkt genau. Etliche Konzerne sind maßlos überschuldet und mussten Projekte wie das in der Küstenstadt Dalian stoppen. Er erklärt, wie es zu dieser Krise in China kam: "Das Problem an diesem System ist: Man gewinnt, solange die Preise steigen. Aber in dem Moment, in dem die Preise nicht mehr steigen oder in dem Moment, in dem die Regierung sagt, ihr müsst aufhören, Kredite aufzunehmen, bricht die ganze Sache zusammen. Und genau das ist mit Evergrande und den meisten anderen verschuldeten Unternehmen passiert."

Vor zwei Jahren wäre der Markt fast kollabiert, aber eben nur fast. Seit kurzem dürfen die überschuldeten Immobilien-Entwickler wieder mehr Kredite aufnehmen – und sollen weiterbauen. Wir sind auf einer Immobilienmesse. Die Branche macht ein Drittel der gesamten chinesischen Wirtschaftskraft aus. Die Devise lautet: Hauptsache weitermachen. Irgendwie. Auch wir werden ständig angesprochen, ob wir kaufen wollen, das Geschäft muss weiterlaufen. Wohl auch wegen der Luxuswohnungen, die Makler in der Nähe der Messe präsentieren – damit versprechen sich notleidende, überschuldete Konzerne wieder steigende Einnahmen. 

Käufer:innen sind machtlos

Was hier drinnen so schön scheint, ist für viele draußen im Land nicht die Realität. 2000 Kilometer entfernt Richtung Süden in der Stadt Wuhan vor einem Regierungsgebäude. "Wir wollen die Verantwortlichen sprechen. Gebt uns unsere Wohnungen", fordert ein Käufer. Ein Protest von Käufer:innen, zurzeit keine Seltenheit in China. Umgeben von sehr viel Polizei. Wir beobachten sie nur aus der Ferne, sprechen mit einer Demonstrantin, die nicht erkannt werden möchte. Sie erzählt, wie die Polizei agiert bei Protesten: "Wir wurden mit zur Polizei genommen, das ist mehrmals passiert. Sie haben uns befragt und wir sollten eine Garantie unterschreiben, dass wir nicht mehr demonstrieren."

Ihre Wohnungen sollten letztes Jahr fertig sein, viele Käufer:innen können sich den Verzug nicht mehr leisten. Sie brauchen ein Zuhause. Die Polizei löst die Versammlung auf. Die Willkür des repressiven Staates und des wuchernden Immobilienmarktes. Am Stadtrand von Dalian bei den unfertigen Gebäuden. Er verdient sein Geld mit Müll-Verwertung. Mit seinem Vater lebt auch er notgedrungen in einer unfertigen Wohnung. 

Scherzhaft sagt er zu uns, er suche ausgerechnet hier an diesem Ort nach echtem Gold. Auch sie fühlen sich machtlos. "Wenn man zu den Regierungsbehörden geht, sagen sie, sie würden das Problem für einen lösen. Aber wenn man dann zurückkommt, gibt es keine Verbesserung", erzählt der Bewohner. Die beiden machen einfach weiter und warten. Wie so viele andere Menschen. Und der Markt, da gilt das auch, einfach weitermachen. Bis auf Weiteres.  

Autorin: Marie von Mallinckrodt / ARD Peking

Stand: 04.04.2023 18:42 Uhr

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