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Elfenbeinküste: Schwer, offen schwul zu sein

PlaySchwulenparade in Elfenbeinküste

Claver Touré engagiert sich für sexuelle Minderheiten. Häufig ist er selbst Anfeindungen ausgesetzt. Seine Wohnung wurde in Brand gesteckt, die Polizei tat nichts. Das Gesetz der Elfenbeinküste verbietet Homosexualität nicht, wie in den meisten afrikanischen Ländern, aber, sagt Touré, es erlaubt sie auch nicht. Offen schwul sein, ist fast nicht möglich.

Aber für einen Tag im Jahr werden herkömmliche Rollenbilder über den Haufen geworfen: Im Städtchen Bounoua. Dort wird jedes Jahr im Frühsommer eine Art Karneval gefeiert. Auf ihm verkleiden sich Männer als Frauen. Aber auch das ist eher ein Versteckspiel, denn ein Coming Out.

Zwei Tunten
Einmal im Jahr ist - fast - alles erlaubt. | Bild: SWR

Ob sexy auf hohen Hacken, unschuldige Schulmädchen und ihre verwegene Freundin oder die Nachbarinnen von nebenan – all diese Damen sind unterwegs zu DEM Ereignis des Jahres in der kleinen Stadt Bounoua. Auch Frédéric About ist mit ein paar "FreundInnen" dabei, wie immer. Diesmal bevorzugt er bzw. sie den legeren Hausfrauen-Look. "Ich mag meinen Stil", sagt Frédéric About Kadjo. "Bei dieser Hitze ist so ein Kleid viel bequemer als etwas eng Anliegendes. So fühle ich mich wohl." Moment mal?! Männer in Frauenkleidern? In Afrika? Wo gerne die reine Männlichkeit zur Schau gestellt wird und Frauen oft nichts zu sagen haben?  "Bei diesem Karneval feiern wir verschiedene Kulturen", erklärt Thibaut Adou. "Wir wollen dabei unterschiedliche soziale Gruppen zusammenbringen." Schwule und Lesben gehören offiziell nicht zu diesen unterschiedlichen Gruppen, auch wenn der sommerliche Karneval in Bounoua als heimlicher Christopher Street Day gilt.

Nicht verboten – aber auch nicht erlaubt

Mitarbeiter von Hilfsorganisation im Büro
"Alternative Côte d’Ivoire" kämpft für die Rechte Homosexueller. | Bild: SWR

Danach ist ihnen nicht unbedingt zumute. Die Mitarbeiter der Hilfsorganisation "Alternative Côte d’Ivoire" kämpfen im ivorischen Alltag für die Rechte Homosexueller. Claver Touré ist der Direktor – und wird regelmäßig als "Schwulen-Präsident" beschimpft. "Wir haben hier einen Schutzraum für Jugendliche, die mit blauen Flecken und Schlimmerem kommen. Sie wurden von ihren Familien misshandelt, nur weil sie homosexuell sind. "Seit Jahren engagiert Claver Touré sich für sexuelle Minderheiten, in der Hoffnung, dass es irgendwann leichter wird. Häufig ist er Anfeindungen ausgesetzt, seine Wohnung wurde in Brand gesteckt, die Polizei tat nichts. Das Gesetz der Elfenbeinküste verbietet Homosexualität nicht, wie in den meisten afrikanischen Ländern, aber, sagt Touré, es erlaubt sie auch nicht.

Abends treffen sich die Kollegen in einer Kneipe. Nicht allen ist es recht, dass wir mit der Kamera dabei sind. Claver lehnt den Karneval von Bounoua als Vehikel für Homosexuelle ab. Hätte er lieber einen echten Christopher Street Day? "Was soll es für einen Sinn haben, ein "stolzer Schwuler" in Afrika zu sein, wenn die Leute deswegen stigmatisiert werden? Wenn man als Schwuler von der Gesellschaft abgelehnt wird? Wenn man Depressionen bekommt oder sich umbringt? Wer will da schon auf die Straße gehen und herausschreien, man sei schwul?

Der Alltag ist ein Versteckspiel

Frédéric About mit KInd auf dem Arm
Frédéric About mit Sohn/Tochter. | Bild: SWR

In Bounoua herrscht reine Verzückung. "Ich bin verrückt nach ihm!" Die Männer können nicht tuntig genug aussehen. Natürlich nur zum Spaß. Frédéric About genießt das Spektakel mit seinem Sohn – der ist als Mädchen verkleidet. "Bei all dem geht es um Liebe und Brüderlichkeit und jeder ist auf seine Façon glücklich." Ob reiner Klamauk oder heimliche Sehnsüchte – heute geht alles. Und wie ist das sonst? "Normalerweise kann man so nicht rumlaufen", sagt ein Mann mit Puppe. "Das verbietet die Gesellschaft. Die Leute würden denken, man sei komplett durchgeknallt."

Im Büro von "Alternatives" in der Hauptstadt Abidjan wird auch gefeiert. Geburtstag. "Sowas machen wir oft, um den Stress zu vergessen", sagt Claver Touré. "Den Stress, dass wir uns in der Gesellschaft nicht so ausdrücken können, wie wir es gerne möchten. Hier können wir das alles rauslassen, aber anderswo nicht." Der Alltag ist ein Versteckspiel. Die meisten Schwulen und Lesben seien verheiratet, erzählt Claver. Er selbst lehnt das ab. Fragen von Nachbarn verbittet er sich. Seine Sexualität sei Privatsache. Er weiß aber auch von Männern, die vorgeben, als Schwuler verfolgt zu werden. Um Asyl in Europa zu bekommen. "Man hat mich nach dem Anschlag auf meine Wohnung gefragt, ob ich nicht weg will. Ich habe nein gesagt. Ich will mein Land nicht verlassen, sondern hier für Gleichberechtigung kämpfen. Exil ist keine Option. Elfenbeinküste ist mein Land. Ich habe das Recht hier zu leben, egal was ich arbeite oder wen ich liebe."

Die Toleranz, die Claver sich im Alltag wünscht, wird beim Karneval in Bounoua gefeiert. Einen Tag lang darf man jemand ganz Verrücktes sein. Oder der Mensch, der man wirklich ist.

Ein Film von Sabine Bohland (ARD Nairobi).

Stand: 16.07.2019 03:17 Uhr

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