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Frankreich: Wahlüberraschung von links?

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Frankreich: Wahlüberraschung von links? | Bild: Sabine Rau / BR

Die Stimmung ist euphorisch. Die französische Linke war schon totgesagt – vorbei. Er ist ihr Messias: Jean-Luc Mélenchon, Ex-Trotzkist, Ex-Sozialist, Linksradikaler, begnadeter Redner und gefeierter Volkstribun: "Ich verspreche euch nicht das Paradies, aber, dass wir Schluss machen mit der Hölle auf Erden."
Sogar draußen, vor dem Saal, hängen sie an seinen Lippen, folgen fasziniert seinem Auftritt.

Eitel und selbstbewusst

Jean-Luc Mélenchon ist so eitel wie selbstbewusst: 70 Jahre, dreimal als Präsidentschaftskandidat gescheitert. Dennoch: Er hat Emmanuel Macron den Kampf angesagt, vor allem dessen liberaler Reform- und Europapolitik: Mélenchon wettert gegen die Rente mit 64, wie gegen Nato und EU. Mehr noch: Er will den Präsidenten zwingen, ihn zum Premierminister zu ernennen, denn die Chancen, dass er bei den anstehenden Wahlen gut abschneidet, stehen nicht schlecht. Sein Ziel: "Gewinnen! Das ist unser Ziel und es ist näher denn je. Es ist das erste Mal seit Beginn der Fünften Republik, also seit 1958, dass nach der Wahl des Präsidenten die Opposition bei den Parlamentswahlen vorne liegt. Das tun wir!"

Die Zahlen schwanken zwar, aber Mélenchon hat geschafft, was bislang in Frankreich unmöglich schien: die zersplitterte und zerstrittene Linke Opposition zu vereinen – unter seiner Kuratel. Doch dagegen gibt es auch Widerstand.
Fatima Bellardedj ist zu Hause in den engen Altstadtgassen von Montpellier. Sie kandidiert hier als Abgeordnete. Ihre Eltern waren Einwanderer, Analphabeten, erzählt sie. Fatima ist Betriebswirtin und Sozialistin. Doch sie widersetzt sich dem Beschluss ihrer Partei und sträubt sich gegen die neue Linksunion, vor allem gegen Jean-Luc Mélenchon: "Ich bin eine résistante, eine Widerstandskämpferin. Ich mag das Wort. Ich bin gegen die Apparatschiks und die neue Linksunion, die nur zum Vorteil Mélenchons ist. Ich habe meine eigenen Werte."

"Mélenchon mag Deutschland nicht."

Montpellier war immer schon eine Hochburg des PS, des Parti Socialiste. Der Bürgermeister ist Sozialist, wie sein Vorgänger. Doch jetzt fürchtet er um die Identität, um das Überleben seiner Partei unter der Fuchtel des Linksradikalen Mélenchon. Denn dessen Vorstellungen und Werte sind mit seinen eigenen nicht zu vereinbaren. Michaël Delafosse, Bürgermeister Montpellier, PS: "Monsieur Mélenchon ist nicht links, er ist ein Populist. Und es beunruhigt mich, dass unsere Sozialistische Partei sich ihm anschließt und damit den Bruch mit unseren pro-europäischen Werten und unseren deutschen Freunden betreibt. Mélenchon mag Deutschland nicht."

Wahlkampf in letzter Minute: Der Präsident ist unterwegs in der Banlieu, in der Vorstadt, in Clichy-sous-bois. Kein Heimspiel für Macron, denn hier wird links gewählt. Die Gelassenheit täuscht. Emmanuel Macron weiß: es wird eng für ihn, denn verliert er die Mehrheit im Parlament, bedeutet es das Aus für seine Reformpolitik und das Ende seiner Strahlkraft als Erneuerer der europäischen Idee. Es steht viel auf dem Spiel für Frankreich und für Europa.

Autorin: Sabine Rau, ARD Paris

Stand: 12.06.2022 19:53 Uhr

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