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Indonesien: Corona-Baby-Schwemme

PlayNeu geborenes Baby mit Schutzvisier
Indonesien: Corona-Baby-Schwemme | Bild: SWR

Draußen ist Pandemie, und drinnen ist es gemütlich. 400.000 Babys mehr als im letzten Jahr erwarten die indonesischen Behörden daher schon jetzt. Damit die Zahl nicht noch höher wird, wurde eine Blitzkampagne gestartet: Verhütungsmittel werden an Millionen Bürger verteilt, und per Lautsprecher durch die Straßen gebrüllte Ratschläge sollen für Vernunft sorgen: "Ihr könnt Sex haben, aber werdet nicht schwanger!", "Männer, bitte reißt Euch zusammen!“ Neben der Babyschwemme befürchtet man einen durch Abtreibungen verursachten Anstieg der Müttersterblichkeitsrate.

Corona erschwert die Verhütung

Ein Gesichtsschutz schon für die Allerkleinsten hier auf der Geburtsstation in einem Krankenhaus von Jakarta. Die Covid-Pandemie beeinflusst auch in Indonesien alle Lebenslagen. Devi Rahayu hat vor ein paar Stunden ihr drittes Kind auf die Welt gebracht. Doch so richtig glücklich wirkt die Hausfrau und Mutter gerade nicht: Ihr Mann ist Fahrer. Bis vor der Covid-Pandemie war er immer auf Achse. Jetzt arbeitet er nur noch zweimal pro Woche. Wie soll das reichen? "Devi Rahayu Natürlich mache ich mir große Sorgen. Mein Baby braucht doch jeden Tag Milch und andere Dinge. Aber wir haben jetzt viel, viel weniger Einkommen. Wir müssen das trotzdem irgendwie schaffen."

Mutter mit zwei Kindern
Juarsih erwartet kein Wunschkind | Bild: SWR

Devi hatte sich vor der Pandemie bewusst für ein weiteres Kind entschieden, hunderttausende andere Frauen während der Pandemie aber nicht. Bandung 150 km östlich von Jakarta. Hier lebt Juarsih, 39 Jahre. Sie ist im vierten Monat schwanger. Das Baby in ihrem Bauch kein Wunschkind. Während des Lockdowns ging ihr Vorrat an Anti-Baby-Pillen zu Ende. Doch die örtliche Apotheke war geschlossen. Dann wurde ihr Mann auch noch arbeitslos. Kondome sind in Indonesien nicht beliebt und dann ist es einfach so passiert. "Im Lockdown waren Frauen, die einfach nur Verhütungsmittel brauchten in den öffentlichen Gesundheitszentren nicht erwünscht. Ich hätte zu einer privaten Hebamme gehen können, aber das ist viel zu teuer. Selbst jetzt, wo ich schwanger bin, konnte ich es mir bisher finanziell einfach noch nicht leisten, mich untersuchen zu lassen."

Zwei Kinder hat Juarsih schon. Tochter Siti und Sohn Dava sind 11 und 17 Jahre alt, beide gehen noch zur Schule. Finanziell ist es jetzt schon schwer. Juarsih hat sich deshalb für die Mitgliedschaft in der staatlichen Krankenversicherung beworben. Sie ist für die aller Ärmsten kostenlos. Aber ob das klappt, weiß sie noch nicht. "Ich hoffe, dass wir jetzt Zugang zur kostenlosen Gesundheitsversorgung bekommen. Was anderes bleibt mir nicht. Wenn ich an die Zukunft denke, wird mir schwindlig. Entschuldigung…hoffentlich haben wir Glück."

Indonesien steht vor Geburtenboom

Ihr könnt Sex haben, ihr könnt heiraten, aber werdet nicht schwanger!" Mit solchen Aufrufen aus dem Lautsprecher fahren Angestellte der staatlichen Familien-Planungsbehörde durch die Straßen. "Väter bitte haltet Euch zurück oder verhütet." Indonesien fürchtet einen Geburtenboom. "Es gibt verschiedene Verhütungsmittel wie z.B. eine Injektion, eine Pille, ein Kondom…" erklärt Hebamme Septriyanti vor einem Gemeindezentrum. Sie ist eine von 24.000 Beraterinnen der Staatlichen Familienplanungsbehörde.

Hebamme bei Sexualaufklärung
Hebamme Septriyanti klärt über Verhütungsmittel auf  | Bild: SWR

17 Prozent aller Schwangerschaften in Indonesien waren schon vor der Pandemie ungewollt. Weil der Zugang zu Verhütungsmitteln fehlte. Die Pandemie hat es nur noch schlimmer gemacht. Auch Septriyanti und ihre Kolleginnen arbeiten erst seit kurzem wieder. "Das ist eben so während eines Lockdowns: Männer und Frauen haben sich einfach mehr gesehen, weil die Männer zu Hause waren und die Frauen sich nicht aus dem Haus trauten. Und dann haben viele nicht verhütet und so kommt es dann zu vielen ungewollten Schwangerschaften."

Bis zu einer halben Million zusätzliche Babys könnten wegen des Lockdowns geboren werden. Der Staat versucht nun gegenzusteuern. Septriyanti und ihre Kolleginnen gehen deshalb von Haus zu Haus, um Frauen zu beraten und sie verteilen jetzt großzügig lieber gleich die doppelte Ration an Verhütungsmitteln. Revi Mahela, 22 Jahre, hat vor zwei Monaten das erste Kind auf die Welt gebracht und hat sich nun für die Anti-Baby-Pille entschieden. Nicht vergessen: Jeden Tag zur selben Zeit einnehmen, erinnern sie die Hebammen. Ein paar Hauser weiter lebt Yuni, 24 und Mutter einer Dreijährigen. Bisher hat sie mit Hormonspritzen verhütet. Doch die sind nur für 2-3 Monate sicher. Deshalb will sie nun ein Hormon-Implantat, das drei Jahre lang hält. Bezahlt wird das vom Staat. "Wenn Frauen aus sehr armen Familien ungewollt schwanger werden, haben die Kinder oft Entwicklungsstörungen", sagt Septriyanti. "Weil weder die Schwangeren noch später die Kinder genug zu essen haben."

Folgen für ganz Indonesien

Hasto Wardoyo, der Chef der Familienplanungsbehörde macht sich große Sorgen. Bis zu einer halben Million zusätzliche Babys, vor allem aus Familien, die sich die nicht leisten können. Er sieht nicht nur die privaten Tragödien, sondern schwerwiegende Folgen für das ganze Land. Indonesien galt bis zur Pandemie als aufstrebendes Schwellenland. Armut aber ist ein Entwicklungsrisiko. "Mangelernährung beeinträchtigt das Potential unserer Bevölkerung. Unterernährte Menschen sind kleiner und definitiv geistig unterentwickelt.  Kleine Menschen sind nicht unbedingt unterernährt. Aber unterernährte Menschen sind kleiner und intellektuell nicht so leistungsfähig."

Neugeborenes Baby mit Gesichts-Schutzschild
Experten sorgen sich um Babys, die in Armut aufwachsen  | Bild: SWR

Juarsih traut sich immer noch nur selten aus dem Haus. Die Covid-Infektionszahlen bleiben beunruhigend hoch und nun kommt auch noch die Sorge um ihr drittes Kind hinzu. "Jeden Tag werden meine Sorgen größer. Wie wird unsere Zukunft aussehen? Wie sollen wir denn unter den diesen Umständen nur überleben?" Indonesien hatte sich vorgenommen, armutsbedingte Entwicklungsverzögerungen bei Kindern innerhalb von vier Jahren zu halbieren. Dieses Ziel könnte mit dem Corona Geburtenboom in weite Ferne rücken.


Sandra Ratzow ARD-Studio Singapur

Stand: 04.10.2020 21:40 Uhr

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