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Indonesien: Totenkult auf Sulawesi

Ein Sarg wird geöffnet
Ein Sarg wird geöffnet | Bild: ARD

Es ist eine geheimnisvolle Welt hoch oben in den Bergen der Insel Sulawesi. Hier lebt das Volk der Toraja. Ihre Traditionen sind Jahrhunderte alt. Ihre Toten-Rituale sind legendär. Maria Ranti war 95 Jahre alt, als sie 2015 starb. Heute wird ihr Sarg erstmals wieder geöffnet, denn es ist Zeit für "Ma’nene", die Reinigung der Toten.

Das ist nichts für empfindliche Nasen. Mit Lieblingshandtasche und Hut soll die Tote nun ein paar Stunden mit ihrer Familie verbringen. Es ist ein Zeichen der Nächstenliebe. Samara und Tumbang sind seit mehr als 20 Jahren tot. Weil sie solange miteinander verheiratet waren, erklärt Enkel Jonathan Sambara, nennen sie alle im Dorf Romeo und Julia.

Kontakt zu den Toten nicht verlieren

Jonathan Sambara steht nebem seinem toten Vater, daneben seine Mutter.
"Die Toten bleiben ein Teil von uns." | Bild: NDR

Alle drei Jahre trifft sich die ganze Verwandtschaft dann zum großen Wiedersehen mit den Toten. "Es kann sein, dass andere Menschen das sonderbar finden. Für uns ist es selbstverständlich, den Kontakt zu den Toten nicht zu verlieren. Wir säubern sie, ziehen ihnen frische Kleidung an, sprechen mit ihnen. So wie wir Lebenden das auch machen. So bleiben die Toten ein Teil von uns und das ist gut so", sagt Jonathan Sambara.

Bei den Toraja lernen schon die Kinder, mit dem Tod und den Toten umzugehen. Sie sind überall dabei. Jonathan befreit die Nase seines Vaters von Staub. Die Witwe, Jonathans Mutter Lydia ist stolz darauf, wie gut ihr Mann noch aussieht. Das bringt der Familie Glück und Wohlstand sagt sie. "Ich kann meine Gefühle nur schwer beschreiben. Aber es bedeutet mir so viel, ihn anfassen zu können. Seine Haare, die Hände", sagt Witwe Lydia Limbong. Fast alles so, als würde er noch leben, sagt sie noch. Gott sei gnädig.

Der Tod ist bei den Toraja kein abruptes Ende

Sarg
Die Särge werden aus den Berghöhlen geholt. | Bild: NDR

In Berghöhlen finden die Toten irgendwann ihre letzte Ruhe. An manchen Orten erinnern hölzerne Puppen als Ebenbilder an die Verstorbenen. Im Dorf Lemo Potong ist im März mit 91 Jahren der Lehrer Elias Tande gestorben. Seine Frau Ester bewahrt den Leichnam zu Hause auf – gut einbalsamiert. Bis zur Trauerfeier kann es noch Monate dauern. Bis dahin gilt er nicht als tot, sondern als makula (krank). Der Tod ist bei den Toraja kein abruptes Ende, sagt Ester Butu, sondern der Beginn eines langen Prozesses, Lebewohl zu sagen: "Wenn ich in den Sarg schaue, habe ich das Gefühl, dass er irgendwie immer noch da ist. Die ganze Familie hat Zeit, langsam Abschied zu nehmen. Die Kinder und die Enkel kommen oft vorbei und dann sitzen wir bei ihm, bis wir irgendwann bereit sind, ganz loszulassen."

Alle drei Jahre Wiedersehen mit den Toten

Zwei Tote
Für eine Reinigung der Toten wird der Sarg geöffnet. | Bild: NDR

Gleich nach seinem Ableben wurde Elias Tande das Konservierungsmittel Formalin gespritzt. Damit sein Leichnam möglichst lang gut erhalten bleibt. Erst wenn die ganze Verwandtschaft sich auf einen Termin geeinigt hat, wird sie eine große Trauerfeier ausrichten. Und die ist teuer: Schließlich müssen möglichst viele Wasserbüffel geschlachtet werden. Sie sind hier mystische Tiere. Mit ihrem Blut soll die Seele der Verstorbenen ins Jenseits gelangen. Je mehr desto besser.

Der Tod ist doch einfach die andere Seite des Lebens

Särge auf einem Platz
Beim Wiedersehen mit den Toten sind auch Touristen dabei. | Bild: NDR

Vor den Augen zahlreicher Touristen werden Familienfotos gemacht und es gibt viel Palmwein für die Toten. Anderswo mag man das als pietätlos empfinden, hier gibt es solche Berührungsängste nicht. "Der Tod ist doch einfach die andere Seite des Lebens. Und wir sind sehr glücklich, dass auch Fremde unsere Freude teilen können", erklärt Ardi Lulun. Die ewige Präsenz des Todes im Leben. Bei den Toraja gibt es kein Verdrängen.

Der Geruch in den Höhlen-Grabstätten ist schwer erträglich. Denn nicht alle Familien haben das Geld, ihre Toten perfekt einzubalsamieren. Reis-Bäuerin Damaris Kombong kann ihre Tränen nur schwer zurückhalten. Im Sarg liegt ihre Tochter Ester. Sie war noch ein Teenager als sie 2012 auf dem Schulweg mit ihrem Moped einen schweren Unfall hatte. In ihrer Schuluniform liegt sie im Sarg, bewacht von ihrem Lieblingsstoffhasen. "Es macht mich sehr traurig, dass ich sie so früh verloren haben, aber Gott hat es so bestimmt. Alle drei Jahre kann ich sie wiedersehen. Das tröstet mich irgendwie auch wieder, dass ich ihr dann so nahe bin", sagt Damaris Kombong.

Schutz vor bösen Geistern

Jonathan Sambara am Sarg seines Vaters
Jonathan Sambara sieht seinen toten Vater alle drei Jahre. | Bild: NDR

Die meisten Toraja sind Christen – einst missioniert von holländischen Kolonialherren. Aber das mit der christlichen Totenruhe legen sie hier eher flexibel aus. Die Religion ist das eine, das andere die Rituale meint Jonathan. Die Toten zu ehren, schützt die Lebenden vor bösen Geistern. So haben es die Vorfahren überliefert. Und der Umgang der restlichen Welt mit den Toten finden sie hier irgendwie respektlos: "Ich könnte es mir nicht vorstellen, Tote einfach so zu begraben oder zu verbrennen. Dann sieht man sie ja nie wieder. Dann sind sie ja für immer weg. Das würden wir hier glaube ich nicht übers Herz bringen." Hier ist der Abschied fast schon spielerisch. "Machs gut, Papa", sagt Jonathan, "bis bald" In drei Jahren werden sie sich wiedersehen.

Autorin: Sandra Ratzow, ARD-Studio Singapur

Stand: 28.08.2019 06:43 Uhr

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Norddeutscher Rundfunk
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