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Irak: Abu Ghraib – Spätfolgen der Folter

PlayEx-Gefangener zeigt Foto von Mißhandlungen im Gefängnis Abu Ghraib
Irak: Abu Ghraib – Spätfolgen der Folter | Bild: Reuters

Die Bilder gingen um die Welt: nackte irakische Häftlinge an Hundeleinen neben US-Soldaten in Uniform. In den USA und im Irak stehen sie für eines der dunkelsten Kapitel der US-amerikanischen Besatzung des Irak. Noch heute leiden die Ex-Häftlinge unter den Spätfolgen der Folter und auch in den USA hat Abu Ghraib traumatisierte Soldaten zurückgelassen.

Irak: Gewaltexzesse im Gefängnis gehörten zum Alltag

Ex-Häftling Alaa Kareem
Ex-Häftling Alaa Kareem fordert Schmerzensgeld für sich und andere betroffene Familien | Bild: SWR

155.020. Diese Gefangenennummer ersetzte im Gefängnis seinen Namen. Alaa Kareem saß anderthalb Jahre in amerikanischer Haft, wurde gefoltert im Gefängnis Abu Ghraib. "Sie haben mich immer und immer wieder an den Haaren gepackt und gegen die Wand gehauen. Sie haben mich angeschrien, Polizeihunde auf mich losgelassen. Dann haben sie mich in die Zelle geschmissen, und ich hatte so eine Angst, dass sie zurückkommen und noch brutaler sind." Die US-Armee brachte tausende Iraker wie Alaa Kareem ins berüchtigte Gefängnis Abu Ghraib. Dort missbrauchten amerikanische Soldaten die Gefangenen, dokumentierten die Gewalt- und Sexexzesse mit Fotos. Menschenrechtsverletzungen, die offenbar zum Alltag gehörten. "Ich habe mich auf den Fotos nicht wiederentdeckt, andere Insassen dagegen schon. Ein Verhör kannst du ja machen, ich antworte auch, aber sie hätten mich nicht meiner Würde berauben dürfen."

USA: Die Gewalt des Krieges verändert die Soldaten

Würde – die wollten die US-Truppen den Menschen im Irak mit ihrem Einsatz eigentlich zurückgeben. Operation Iraqi Freedom – Operation Freiheit. Bis zu 170.000 US-Soldatinnen und Soldaten im Kampf gegen das Regime von Saddam Hussein und den Terror. Aden Delgado aus San Diego/Kalifornien ist einer von ihnen. "Ich habe mich am 11. September 2001 zur Armee gemeldet – dieser Moment hat alles verändert.” Delgado ist da gerade mal 19 Jahre alt und weil er ein bisschen arabisch spricht, wird er während seines Einsatzes im Irak im Gefängnis Abu Ghraib in der Verwaltung eingesetzt. "Wenn wir an ein Gefängnis denken, stellen wir uns immer dicke Wände und Gitter vor. Aber die Mehrzahl der Gefangenen in Abu Ghraib war in Zelten, unter freiem Himmel mit Stacheldrahtzaun eingesperrt. Es war eine große Zahl Menschen, mehrere Tausend. Allein das Ausmaß an Schmutz und menschlichem Elend ist unvorstellbar.”

Ex-US-Soldat Aden Delgado
Ex-US-Soldat Aden Delgado sieht seinen Einsatz im Irak kritisch  | Bild: SWR

Die berichteten Folterungen hat er nie mitbekommen. Doch schon die bloße Gewalt des Krieges erschüttert den damals 19-jährigen zutiefst. Der Einsatz verändert ihn und seine Kameraden. Jeder fünfte Irak-Veteranen leidet an einem posttraumatischen Stress-Syndrom. Jeden Tag nehmen sich in den USA 17 Ex-Einsatzkräfte das Leben. Er selbst habe lange Alpträume gehabt. "Die Soldatinnen und Soldaten sind von der Umgebung in Abu Ghraib abgestumpft und brutalisiert worden. Es gab keine direkte Aufsicht, die Kommandantin wohnte weit entfernt. Ich glaube, dass diese Kultur der Gewalt dadurch gedeihen konnte, dass die Soldaten mit den Gefangenen allein gelassen wurden, und zwar relativ rangniedrige Soldaten." Ein Erklärungsversuch – keine Rechtfertigung, sagt Delgado. Er sieht den Krieg heute als großen Fehler.

Irak: Wahllose Verhaftungen durch US-Soldaten

In Tikrit, der Geburtsstadt von Saddam Hussein, zerstörte die amerikanische Armee weite Teile des Stadtbilds, ging nach der Invasion besonders brutal vor. Bei Razzien verhafteten US-Soldaten wahllos Iraker, die sie als Sympathisanten von Saddam Hussein vermuteten. Der Vorwurf an Alaa Kareem: Waffenbesitz – er bestreitet dies bis heute. Festgenommen wurde er auf dem Weg zur Universität. Es war sein erster Tag, er wollte Journalismus studieren und freute sich aufs Studentenleben. Neue Freunde finden, sich eine Zukunft aufbauen. Doch das Eingangstor der Universität hat er nicht durchquert. "Meine Freude, studieren zu können war unbeschreiblich. Mitten auf der Straße haben mich dann ohne Ankündigung, ohne Grund die Amerikaner festgenommen. Sie haben mich mit dem Gesicht auf die Straße geklatscht, mich geschlagen, ich habe am Hinterkopf geblutet, meine Hände waren verbunden." Den Amerikanern zu vergeben, fällt ihm bis heute schwer, vergessen unmöglich. 17 Jahre nach seiner Entlassung ist die Lebensfreude aber zurück. Die Familie helfe ihm die ständige innere Alarmbereitschaft abzulegen. Im Garten mit seinen vier Kindern zu spielen, sei das Schönste.

Nachtsichtkamera: Gefesselte Gefangene mit verbundenen Augen
Ein "Sorry" statt Entschädigungen für willkürliche Verhaftungen | Bild: SWR

In den ländlichen Gebieten des Irak erinnern kaputte Bauten bis heute an die Besatzungszeit der Amerikaner. Zerstörung haben sie hinterlassen, Entschädigung an die Gefolterten sei aber nie geflossen. Alaa Kareem fordert Schmerzensgeld für sich und andere betroffene Familien. Gemeinsam wollen sie eine Sammelklage einreichen. Der Bruder von Zahra Hussein sei von den Amerikanern auf der Straße getötet worden. "Die irakische Regierung hat uns ein Monatsgehalt bezahlt als Entschädigung, die Amerikaner haben nichts gegeben", sagt Zahra Hussein. "Haben Sie denn etwas gesagt?" "'Sorry' haben sie gesagt." Und Alaa Kareem klagt: "Sie haben uns alles genommen. Hier eine Waise, dort ein Verwundeter, da ein Mensch mit Behinderung. Wir verlangen von der amerikanischen Regierung, dass sie Rechenschaft über ihre Fehler ablegen und dafür bezahlen.“

USA: "Wir haben unseren Job gemacht. Und zwar gut!"

Und schon allein das findet Craig Auriemma irritierend und falsch, sagt er. Der Hauptfeldwebel aus Hoboken/New Jersey war zwei Mal im Irak im Einsatz. Seine Einsatzmarken hat er noch, genau wie die Bibel, die er immer mit sich trägt. "Ich fühle mich weder schuldig noch schäme ich mich. Ich bin stolz darauf, dass ich in der Lage war, Soldaten in diesem Einsatz zu führen, sie alle lebend wieder nach Hause zu bringen und sie vor Ärger zu bewahren. Wir haben unseren Job gemacht. Und zwar gut!"

US-Soldaten demütigen Gefangene in Abu Ghraib
Sie sollten den Irakern Freiheit und Würde bringen  | Bild: SWR

Sein Job: die Leitung eines Teiles von Camp Cropper – jenem Stützpunkt, in dem auch Saddam Hussein bis zu seiner Exekution inhaftiert war. "Ich habe von Irakern Geschichten gehört, wie böse Saddam Hussein war und wie schrecklich er sein Volk unterdrückt hat. Und wir kämpfen schließlich für die Freiheit der Welt." Nach dem Folter-Skandal von Abu Ghraib allerdings eine politisch heikle Mission mit hohem öffentlichem Druck. Daher das Motto: "Betreuung, Verwahrung, Kontrolle und Achtung der Würde". Denn schon damals war Hauptfeldwebel Auriemma klar: "Alles, was wir hier tun, hat Auswirkungen auf unsere Mitsoldaten da draußen. Wir wissen also, dass wir sie gut behandeln müssen und hoffen, dass sie das dann weitergeben, wenn sie irgendwann in Freiheit zurück zu ihren Familien gehen".

4.431 US-Soldatinnen und Soldaten haben für die Operation Iraqi Freedom ihr Leben gelassen – im festen Glauben daran, Freiheit zu bringen. Sie liegen auf dem Nationalfriedhof in Arlington begraben. Ein Mahnmal in Washington, wie hier für den Vietnam-Krieg, gibt es noch nicht. Sehr zum Ärger der Veteranen.

Irak: Es wird keine Gerechtigkeit geben

Alaa Kareem trifft am Tigris seinen Freund Yassin, sie waren gemeinsam im Gefängnis. Eine Therapie haben sie nie gemacht. Ihr Eindruck: Gerechtigkeit wird es nicht geben. Sie müssen selbst klar kommen mit dem Erlebten. Ein Gefühl, dass sie teilen mit Tausenden amerikanischen Streitkräften, die damals auf der anderen Seite standen.

Autoren: Ramin Sina, ARD-Studio Kairo und Gudrun Engel ARD-Studio Washington

Stand: 13.03.2023 16:07 Uhr

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