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Irak/Syrien: Der Kampf gegen die Terrormiliz IS

PlayKurdische Peschmerga kontrollieren ein Haus
Irak/Syrien: Der Kampf gegen die Terrormiliz IS | Bild: SWR

Im Irak ist die Sicherheitslage so gut wie seit Jahren nicht mehr. Der letzte Anschlag in Bagdad liegt mehrere Monate zurück. Das ist eine der wenigen guten Nachrichten, die es derzeit aus dem Irak gibt. Damit ist auch die Hoffnung verbunden, dass sich Wirtschaft und Politik stabilisieren. Eine Hoffnung, die der sogenannte "Islamische Staat" durch Angriffe und Anschläge zerstören will. Die Terrormiliz galt in den vergangenen Jahren als weitgehend besiegt. Ein Trugschluss, wie sich im Grenzgebiet zwischen Irak und Syrien zeigt.

Noch immer IS-Kämpfer im Grenzgebiet

Unterwegs auf wackligen Wegen, weil in der Nähe die Terrorgefahr zu groß ist. Wir sind in der Region Machmur, am Rande des irakischen Kurdengebiets. Oben in den Bergen sollen sich IS-Kämpfer verstecken. Familie Waisi hat uns eingeladen, um von ihren jüngsten Begegnungen mit dem sogenannten Islamischen Staat zu erzählen. Es sind schlimme Berichte. Der IS tötete drei ihrer Liebsten. "Ich habe das verloren, was mir wichtig war im Leben, meine Söhne", klagt Bayan Waisi." Diese Kriminellen töten Unschuldige, die sich nicht verteidigen können. Sie berufen sich auf den Islam, aber es sind Kriminelle." Einer der Söhne, der die Attacke vor gut einem Jahr überlebte, zeigt uns die Schäden aus jener Nacht. Mit modernsten Geräten habe der IS eine Stellung kurdischer Soldaten im Dorf angegriffen – das Haus von Familie Waisi: getroffen von einer Panzerfaust. Kollateralschaden in einem brutalen Krieg, der doch eigentlich längst gewonnen schien.

Zwei Männer und eine Frau sitzen auf Stühlen vor Haus
Familie Waisi hat drei Angehörige durch den IS verloren | Bild: SWR

Auf Patrouille mit den Peschmerga, Iraks kurdischen Streitkräften – vor allem dank ihnen konnte der IS im Irak vor fünf Jahren militärisch in der Fläche besiegt werden – und doch ist er immer noch da. Terrorisiert Zivilisten, greift Soldaten an. Jedes Haus hier könnte ein Versteck sein. Vermint, mit Sprengfallen präpariert. "Sie sitzen hier überall, in den Höhlen, den Bergen – wir kämpfen gegen diese Guerillas", sagt der Peschmerga-Kommandeur Srud Al Barjanzi. "90 haben wir in dieser Gegend letztes Jahr töten können. Wie viele aber hier sind, ist unklar. Sie bewegen sich zwischen den Staaten hin und her, über Grenzen hinweg."

Noch schützen Soldaten aus den USA

Auch wir wollen rüber, vom Irak nach Syrien reisen. Auf beiden Seiten der Grenze hier leben und herrschen Kurden, auf beiden Seiten kämpfen sie gegen den IS. Um von hier nach drüben zu kommen, muss man das Fahrzeug wechseln, umsteigen und dann den Tigris überqueren. An dieser Stelle führt eine Pontonbrücke über den großen Strom. Angekommen: Fahrt über Land, aus dem Öl sprudelt. Eine Gegend, auf die es auch der Nachbar Türkei, hier gleich hinter der Mauer, abgesehen hat. Zuletzt immer wieder Luftangriffe – vielleicht bald eine neue Bodenoffensive. Er arbeitet im Wachdienst einer erst vor wenigen Wochen bombardierten Ölförderanlage, hat Angst vor einer türkischen Invasion. "Im Moment schützen uns noch die Amerikaner", sagt Mohammed Atta Ossi, "aber wer weiß wie lange das so bleibt. Es gibt keine Garantien und schon jetzt wird gebombt und die Leute fürchten sich. Irgendwann müssen wir dann vielleicht alle flüchten und unsere Heimat verlassen." Viele Amerikaner sind nicht mehr in Syrien – im Kampf gegen den IS bleiben sie trotzdem die größten Verbündeten der Kurden. Sie helfen mit Geheimdienstinformationen und Spezialkräften – den alltäglichen Terror aber verhindern sie nicht.

US-Soldate zwischen Militärfahrzeugen
Viele US-Soldaten sind nicht mehr im Land

Als wir in der Stadt Hasaka unterwegs sind, explodiert eine Autobombe. Zum Glück dieses Mal nur drei Verletzte – und doch: die Terroristen seien gerade erschreckend aktiv, sagen hier alle. Ja, der IS wage sich wieder weiter hervor. "Keine Frage, zuletzt habe es viele Angriffe und Attentate gegeben, sagt der Sprecher der syrisch-kurdischen Streitkräfte. Die internationale Gemeinschaft müsse sich stärker engagieren, die türkischen Angriffe aufhören, damit man sich wieder konzentrieren könne – auf den Kampf gegen den IS und die Menschen, die ihn unterstützen.

Der Krieg ist noch lange nicht vorbei

Wir reisen weiter, fragen uns, wer hier Freund, wer Feind ist. Wer Terrorist, wer nicht… Einfahrt ins Camp Al-Hol, eine Mischung aus Flüchtlingslager und Gefängnis. Hier leben die Ehefrauen inhaftierter IS-Kämpfer, viele geben ihre radikale Ideologie an ihre Kinder weiter. Kopf-Ab-Gesten als Begrüßung. Ein beklemmender Ort. Mit uns sprechen will kaum jemand. Die, die es tun, leugnen, Sympathien für islamistischen Terror zu haben. Die Aufpasser glauben ihnen kein Wort. Wir dürfen hier nur geschützt drehen, zu groß sei die Gefahr von Messerangriffen, sagt uns Sidar. Die 25-jährige kurdische Kommandeurin und ihre Kollegen stoßen bei Razzien immer wieder auf Tunnelsysteme, Menschen werden rein und rausgeschmuggelt – Waffen unter Zelten vergraben. "Hier haben wir vor kurzem eine Panzerfaust und einen Sprengstoffgürtel gefunden. Alles für IS-Schläferzellen hier im Lager. Granaten, Kalaschnikows, Laptops, Schalldämpfer – alles in einem zweieinhalb Meter Versteck."

Zelte im Flüchtlingslager Al-Hol
Al-Hol: Hier leben die Ehefrauen inhaftierter IS-Kämpfer | Bild: SWR

Aufrüsten für eine neue große Offensive? Fast alle Bewacher hier tragen Sturmhauben um nicht erkannt und so auf IS-Rachelisten zu landen. Sidar nicht. Warum sie so mutig ist, fragen wir sie. "Ich habe keine Angst. Ich trage meine Haare offen und habe mein Gesicht unverdeckt, weil ich keine Angst vor denen habe und frei bin. Ich verteidige mich, trage meine Waffe. Das sollen alle sehen. Die ganze Welt soll sehen, dass ich starke Frau bin und eine Waffe trage." Der Kampf der Kurden gegen den sogenannten Islamischen Staat. Wir haben ihn auf unserer Reise durch Syrien und den Irak begleitet. Es ist ein Krieg gegen einen Feind im Untergrund, einen größtenteils unsichtbaren Gegner. Es ist ein Krieg, der noch lange nicht vorbei ist.

Autor: Simon Riesche, ARD-Studio Kairo

Stand: 12.03.2023 21:31 Uhr

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