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Irak: Das Marschland trocknet aus

PlayKleines Boot in den mesopotamischen Sümpfen, Ahwar im Südirak
Irak: Das Marschland trocknet aus | Bild: IMAGO / imagebroker

Klimawandel im Süden des Irak. Wo Euphrat und Tigris zusammenfließen leben die Menschen seit Jahrtausenden von der Milch ihrer Wasserbüffel. Sumpfige, von Nebenarmen der Flüsse durchzogene Ebenen, der grüne Teil des sonst so trockenen Irak. Hier soll das biblische Paradis gewesen sein. Das "Venedig des Nahen Ostens" trocknet jetzt aus. Der Klimawandel trifft keine Region in Nahen Osten so stark wie das Marschland hier.

Das Weltkulturerbe vertrocknet

Sie sind Frühaufsteher im Süden des Irak. Um fünf Uhr morgens herrscht im Sumpfgebiet schon Hochbetrieb. Umm Jassim bereitet für die ganze Familie das Frühstück vor, selbstgemachtes Fladenbrot. Ihr Mann Abu Jassim kümmert sich mit seinen Kindern um die Herde. Sie besitzen 55 Wasserbüffel. Die frische Büffelmilch ist die einzige Einkommensquelle der Familie. Doch der Lebensraum von Mensch und Tier ist jedoch bedroht. Die Sümpfe verlieren an Wasser. "Das Wasser ging im November noch bis dorthin, da wo diese Kante ist", erklärt Abu Jassim. "Dann wurde es im Januar und Februar immer weniger. Und jetzt, schau, ist doch kaum noch etwas übrig." Nur zwei Mal habe es im vergangenen Jahr geregnet, erzählt Abu Jassim. Er fühlt mit seinen Tieren. "Wenn die Büffel ihre Jungen zur Welt bringen werden in ein paar Wochen ist vielleicht gar kein Wasser mehr da. Dabei trinken Kälber doch noch mehr als die älteren Büffel. Wir sind sehr verzweifelt."

Wasserbüffel an Land und im Wasser
Die Menschen hier leben von Landwirtschaft, Viehzucht und Fischfang | Bild: SWR

Im irakischen Marschland leben seit Jahrtausenden die Menschen im Einklang mit der Natur. Das Venedig des mittleren Ostens. Hier fließen Euphrat und Tigris zusammen. Der Alltag der Menschen: Landwirtschaft, Viehzucht und Fischfang. Azad Abboud tauschte früher die Fische auf dem lokalen Markt für andere Lebensmittel ein. Doch nun: sein Netz oft leer. Es gibt nur noch wenige Meeräschen zu fangen. "Früher haben wir bis zu 100 Kilogramm rausgeholt, jetzt schaffen wir kaum 30, 40 Kilo. Manchmal nur 25 Kilo und das mit großem Aufwand. Aber wo sollen wir hin? Unser Leben ist hier. Das Leben unserer Vorfahren war schon hier."

Der Klimawandel verwandelt das Feuchtgebiet in eine Wüste

Ein UNESCO-Weltkulturerbe vertrocknet. Lokale Umweltschützer messen die Beschaffenheit des Bodens, beobachten die Wasserstände. Hohe Temperaturen um die 50 Grad im Sommer sind sie gewöhnt, aber solch eine Dürre habe es seit 40 Jahren nicht mehr gegeben. Ihre Prognose ist düster: "Das Marschland wird sich in eine Wüste verwandeln", sagt Raad Habib al-Asadi von Umweltschutzorganisation Chibayesh. "Vor allem wegen des Klimawandels. Es gibt kaum Regen, die heißen Temperaturen steigen immer weiter. Das Marschland, es ist ja eines der größten Gewässer im Mittleren Osten, kriegt den Treibhauseffekt voll ab." Nicht nur die Quantität, auch die Qualität des Wassers nimmt ab. Iraker im ganzen Land lassen täglich fünf Millionen Kubikmeter Abwasser in die Zuflüsse des Tigris laufen. Das verschmutze Wasser sorgt für Krankheiten. Durch die Trockenheit ist zudem der Salzgehalt gestiegen. Das schadet den Tieren. "Der gestiegene Salzanteil ist ein riesiges Problem", so Raad Habib al-Asadi. "Es übersteigt die Möglichkeiten unserer kleinen Organisation, es zu lösen. Wir können uns Desalinierungsanlagen nicht leisten, um den Einwohner zu helfen."

Vertrockneter Boden mit starken Rissen wird vermessen
Umweltschützer sorgen sich um die zunehmende Austrocknung des Bodens  | Bild: SWR

Es brauche mehr Hilfe aus Bagdad von der Regierung, so die einhellige Meinung in diesem Madhif, einem traditionellen Gemeinschaftsraum aus Schilf. Männer des Stammes Beni Suef besprechen bei Arabischem Kaffee die Neuigkeiten der Gemeinde. Sie sind Schiiten. Einst ließ der sunnitische Herrscher Saddam Hussein die Sümpfe trockenlegen, in seinen Augen war das Marschland nur ein Rückzugsgebiet für Aufständische. Heute bereiten andere Mächte Sorgen. "Zur Zeit des alten Regimes haben sie Dämme gebaut, um das Marschland auszutrocknen", erzählt Basher al-Batan. "Nun haben wir aber noch größere Angst. Die Türkei blockiert den Wasserfluss zu uns. Und zeitgleich steigen die Temperaturen weiter und weiter." Und Mustafa Saeed meint: "Wir, die jüngere Generation, die in den 90ern geboren ist, machen uns große Sorgen. Wenn das Marschland austrocknet, stirbt auch unsere Kultur aus. Das wäre für uns wie eine Hinrichtung. Wir werden dann woanders hingehen müssen, wo es Wasser gibt."

Viele Menschen werden das Marschland verlassen

Mann auf Boot bei Wasserbüffeln
Viele Menschen sehen in der Region keine Zukunft mehr für sich  | Bild: SWR

Abu Jassim genießt noch das Leben auf dem Wasser. Vater-Sohn-Zeit mit seinem Ältesten. Sie sind auf dem Heimweg vom Festland, haben dort ihre Büffelmilch verkauft und Futter für die Tiere besorgt. Sohn Jassim würde gerne die Tradition seiner Eltern fortführen. Aber jedes Mal frisches Wasser und Futter anzuschleppen sei mühsam, vor allem aber teuer. Auf Dauer kann sich die Familie das nicht leisten. "Nicht nur ich, alle werden gehen. Vielleicht findest du hier bald niemanden mehr." Wenn sie wegmüssen, ist die Ölindustrie ihre einzige Chance auf einen Job in der Region. Eine andere Welt für die Menschen aus den Sümpfen. Auch wegen des Klimawandels ist ihre Welt in Gefahr geraten. Es droht der Abschied aus ihrem geliebten Marschland.

Autor: Ramin Sina, ARD-Studio Kairo  

Stand: 12.03.2023 21:26 Uhr

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