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Iran: Wahlen ohne Wähler

Ein Mann hebt die Hand.
Ebrahim Raisi nach der Stimmabgabe in einem Wahllokal | Bild: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Ebrahim Norooz

Siegesfeier gestern Abend in Teheran: Am Imam Hossein-Platz treffen sich Anhänger des neu gewählten Präsidenten Ebrahim Raisi. Hier lernen wir Mohsen und seine Frau Zahra kennen. Beide kommen aus religiös-konservativen Familien. Der Kleriker Raisi vertritt ihre Weltanschauung.

Dem 28-jährigen Mohsen geht der Abend ziemlich nah: Der wirtschaftliche Druck belaste ihn stark, erzählt er. Angestellt ist er in der Stadtverwaltung, das Gehalt reiche hinten und vorn nicht. Mit dem neuen Präsidenten erhofft er sich wirtschaftlichen Aufschwung. Doch dafür braucht es Beziehungen zum Westen. Nur so können Sanktionen aufgehoben werden. Ohne Verhandlungen mit den USA, die Raisi und andere Hardliner stets kritisierten, kaum möglich. Gespräche zur Wiederaufnahme des Atomabkommens laufen derzeit – unter Raisi dürften sie nicht einfacher werden: Er steht selbst wegen Menschenrechtsverletzungen auf der Sanktionsliste der USA.

Hoffnung auf ein besseres Leben

Dass ein neuer Präsident ihr Leben verbessert – viele Iraner glauben nicht daran. Der Frust in der Bevölkerung ist so groß, dass viele in diesem Jahr gar nicht erst zur Wahl gingen. Die massiv eingeschränkte Kandidatenauswahl tat ihr übriges.
Kurz vor der Wahl treffe ich Navid: Er hat in den USA studiert und lebt seit sechs Jahren wieder im Iran. Es ist nicht unser erstes Treffen. Vor anderthalb Jahren haben wir schon einmal mit ihm gedreht. Wir besuchten ihn damals in seinem kleinen Hostel in Teheran. Navid hatte eine Anlaufstelle für Backpacker geschaffen, um den Iran mit der weiten Welt zu verbinden. Doch kurz nach dem Abschuss einer ukrainischen Passagiermaschine mit 176 Toten blieben ihm die Gäste weg. Navids Zukunftsängste nahmen zu, aber er zeigte sich noch kämpferisch.
Jetzt sieht alles anders aus. Navid hat das Hostel aufgegeben, nicht nur wegen Corona. Sein Enthusiasmus sei weg. Das Kämpferische in ihm steht momentan still.
Navids Veränderung überrascht mich nicht; er gehört zu dem Teil junger Iraner, die vor einigen Jahren ernsthaft auf Reformen hofften und versuchten mit ihrem Einsatz das Land voran zu bringen. Doch ihnen fehlen Perspektiven.

Keine Politiker für die Jungen

Gewählt hat er nicht. Keiner der Kandidaten repräsentierten Menschen wie ihn, sagt er. Vorerst will er im Iran bleiben, aber der Gedanke, zu gehen, der ist nun da.
Ganz anders geht es dem gleichaltrigen Mohsen. Auf der Siegesfeier für ihren Wunschpräsidenten Raisi feiern er und seine Frau mit Feuerwerk und Fähnchen. Rund 18 Millionen Iraner sollen Raisi gewählt haben, das sind nur 30 Prozent aller wahlberechtigten Iraner, da die Beteiligung gering war. Für Mohsen ist das nicht wichtig, für ihn zählt vor allem, dass er sich mit dem neuen Präsidenten identifizieren kann.
Zum Abschluss ein Gebet: Die Ausrichtung in der Islamischen Republik dürfte fortan noch konservativer werden. Was für Mohsen und die anderen hier keine Einschränkung ist, bereitet einem Großteil der Bevölkerung ernsthafte Sorgen.

Autorin: Katharina Willinger, ARD Teheran

Stand: 20.06.2021 20:16 Uhr

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