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Das Erste
Jemen: Der vergessene Krieg
"Selbst wenn der Krieg einmal vorüber ist, wird es keine Aussöhnung mit Saudi-Arabien geben. Wir werden uns rächen." Hamid Galib ist Krankenpfleger in Sa'da der Hauptstadt der Houthi Rebellen im Norden Jemens. Sein Sohn kam bei einem Luftangriff des saudischen Militärs ums Leben, mit fünf weiteren Verwandten.
Im Jemen tobt ein Bürgerkrieg, in den sich Saudi-Arabien und weitere Golfstaaten einmischen. Ein Krieg, auf den die Welt nicht schaut, in dem Tausende ihr Leben verloren haben, Hunderttausende auf der Flucht sind, Millionen hungern. ARD-Korrespondent Volker Schwenck (ARD-Studio Kairo) mit einer Reportage aus einer Gegend, in der Menschen Müll verbrennen, um darin Brot zu backen.
Seit fast zwei Jahren ist Krieg
Hamid Ali Gabas zeigt uns sein Haus, aus Lehmziegeln gebaut, wie es Tradition ist hier in Sa´da im Norden des Jemen. Seit einem saudischen Luftangriff ist sein Haus schwer beschädigt. Hamid ist Krankenpfleger. Er rettet Leben. Drei Raketen waren es. Mehr als ein Jahr ist es her, eine davon hat Hamids Sohn getötet und der Hass auf Saudi-Arabien ist wie am ersten Tag. "Selbst wenn der Krieg einmal vorüber ist, wird es keine Aussöhnung mit Saudi-Arabien geben," sagt Hamid. "Wir werden uns rächen. Wir müssen uns auf jeden Fall rächen.”
Sa´da ist eine alte Stadt und die Hochburg der Houthi-Rebellen. Die haben vor zwei Jahren den gewählten Präsidenten des Jemen gestürzt, der floh nach Saudi-Arabien. Jetzt werden die Houthis von der saudisch geführten Koalition angegriffen, die den gestürzten Präsidenten wieder an die Macht bringen will. Seit 20 Monaten tobt der Krieg. Auf Zivilisten wird dabei von keiner Seite Rücksicht genommen. Die Houthis beschießen Städte in Saudi-Arabien, Saudi-Arabien bombardiert Schulen, Krankenhäuser und Märkte im Jemen.
13 Menschen in drei Zimmern
"Hier sind sie alle gestorben," berichtet Hamid. "Zwei saßen da vorne, mein Sohn und sein Onkel, die waren daneben, hier in der Arztpraxis. Und drei Verwandte starben da drüben, hier in dieser Apotheke." Hamids Sohn ist tot, die kleine Arij lebt. Als ihre Mutter schwanger war, regnete es Bomben auf Sa´da. Einige setzten chemische Stoffe frei, behauptet Arijs Vater. Beweise gibt es dafür keine. Aber für ihn sind die Bomben schuld daran, dass Arijs Arme und Beine viel zu kurz sind. "Es wurden viele Kinder geboren, die so sind", sagt Arijs Vater Kamal Muhammed Al Farah. "Ihre Schwester war auch so, aber die hatte noch eine Entzündung in der Brust, und sie ist dann gestorben."
Die Familie ist aus Sa´da geflohen, sie leben jetzt bei einem Verwandten. 13 Menschen in drei Zimmern. Man hilft sich gegenseitig im Jemen, aber wie lange kann das noch gut gehen. "Alle kämpfen nur um Macht und ihren eigenen Vorteil," sagt der Schwager Abdallah Al Matari. "Die Menschen verhungern und suchen im Müll nach Essen, und wem nützt das? Wer hat was davon, wenn die Leute sterben? Niemand.”
Es fehlt an den einfachsten Dingen
Aber Menschen sterben – und manchmal, weil es an einfachsten Dingen fehlt. Wir sehen Hamid wieder, den Krankenpfleger, jetzt frisch rasiert bei der Arbeit im Krankenhaus. Millionen Kinder leiden im Jemen an schwerer Unterernährung. Familien müssen fliehen. Sie haben oft nicht genug zu essen, sind schwach, wenig widerstandsfähig. Wenn Kinder dann krank werden – Durchfall, Erbrechen – dann sind sie schnell nur noch Haut und Knochen.
Die medizinische Versorgung im Jemen funktioniert längst nicht mehr richtig. Zwei Patienten sind unter Hamids Händen gestorben, weil banale Dinge nicht zu kriegen waren. Dieser Junge ist elf Jahre alt, schwer unterernährt und schon lange krank. Wirklich helfen können sie ihm nicht. "Uns fehlen Arzneimittel, wir haben keine Geräte und keine Ausrüstung mehr und es gibt keine Nahrung wegen des Krieges", sagt der Krankenpfleger Hamid Ali Gabas. "Wir tun, was wir können, aber es fehlt vor allem Medizin, und ganz besonders für Kinder."
Es gibt nur Verlierer
Der Krieg im Jemen zerstört Leben, Städte und immer mehr die Zukunft des ganzen Landes. Die saudische Koalition bombardiert zivile Infrastruktur: Brücken, Straßen, Lagerhallen, Fabriken. Kann eine Fabrik nichts mehr produzieren, verlieren die Beschäftigen ihren Job und ihr Einkommen. Beamte bekommen ohnehin schon seit Monaten kein Geld.
Am Ende stehen Hunger und Elend. Sie verbrennen Müll und leere Plastikflaschen. Nicht um sich zu wärmen in dem Flüchtlingslager im Gebirge, sondern um Brot zu backen. "Ich muss die ganze Zeit husten und manchmal spucke ich Blut wegen dem Rauch hier," sagt Hadiya Ali Jumaai. "Der Rauch greift meine Lungen an. Aber wir müssen so kochen." 300 Familien hausen hier, die meisten kommen aus Sa´da. Sie haben praktisch keine Unterstützung von irgendeiner Hilfsorganisation, sie leben von dem, was die Leute aus der Gegend ihnen spenden. Und von dem Brot, dass nach verbranntem Plastik schmeckt. Seit 20 Monaten ist Krieg im Jemen, und bislang gibt es nur Verlierer. Seit Beginn der Kämpfe lebt Ahmed Nasser mit Frau und Kindern in diesem Zelt, in einem Lager irgendwo in der kargen Landschaft nahe Sa´ da. "Wir haben keine Arbeit, wir haben kein Einkommen, kein Geld, wir haben nichts," klagt Ahmed Nasser. "Wir hängen vollständig von Gottes Gnade ab."
Die Houthi-Rebellen schießen Raketen nach Saudi-Arabien, Saudi-Arabien schießt zurück, ungleich mehr, ungleich wirkungsvoller. Und die Menschen im Jemen verlieren gerade die Hoffnung, dass es irgendwann wieder anders wird.
Stand: 13.07.2019 11:11 Uhr
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