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USA: Opfer von Waffengewalt – "Es muss etwas passieren"

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USA: Opfer von Waffengewalt - "Es muss etwas passieren" | Bild: NDR
Shirley Chambers hat ihren Sohn verloren.
Shirley Chambers hat ihren Sohn Ronnie im Bandenkrieg von Chicago verloren. | Bild: NDR

"Warum? Warum schon wieder?", Shirley Chambers sucht verzweifelt nach Antworten. Allein die Bibel gibt ihr Kraft, nachdem ihr Sohn Ronnie grausam ermordet wurde. Zwölf Kugeln - das Ende aller Träume. "Ich dachte, Gott will mich bestrafen. Drei meiner Kinder sind schon erschossen worden und jetzt nehmen sie mir auch noch meinen letzten Sohn", sagt Shirley Chambers.

"So schlimm war es in Chicago noch nie"

Zuerst Carlos, Jerome und jetzt Ronnie - war er vielleicht auch nur falschen Zeit am falschen Ort? Wie damals LaToya, ihre einzige Tochter, die von einem 13-Jährigen ermordet wurde. Ronnie war Shirleys ein und alles. Gerade erst hatte er sein Leben umgekrempelt, weg von Gangs, Drogen und Waffen. "Als er noch lebte, musste ich nie Angst haben. Ronnie hat alles dafür getan, dass es mir gut geht. Am meisten vermisse ich sein Lächeln, wenn er zur Tür rein kam. Es ist verrückt. So schlimm war es noch nie mit den Waffen in Chicago. Es ist völlig außer Kontrolle geraten", erklärt Shirley Chambers.

Jede Tag Schießereien und Tote

Gedenktafel für die erschossene Hadiya Pendleton in Chicago.
Gedenkstelle für die erschossene Hadiya Pendleton in Chicago.  | Bild: NDR

Ausgerechnet in Obamas Heimatstadt Chicago tobt ein Bandenkrieg, der Mütter wie Shirley nicht mehr schlafen lässt. Jede Tag gibt es Schießereien und Tote. Und doch hat erst der Mord an einer 15-Jährigen die Politik wachgerüttelt. Weil Hadiya Pendleton mit ihrer Band bei Obamas Amtseinführung auftrat, weil sie völlig unschuldig im Kugelhagel starb und weil die Gegend hier als sicher galt - nur einen Kilometer vom Haus der Obamas entfernt.

Massenmord im Zeitlupentempo

"Es ist leider normal geworden, hier so zu sterben", erklärt uns Hadiyas Freundin Samantha. Ihre Mutter Brenda macht sich Sorgen: "Ich bringe sie zur Schule und hole sie ab, jeden Tag. Ich lasse sie nie alleine gehen. Es ist nicht sicher hier. Das versuche ich ihr beizubringen."

Alle, die wir hier treffen, kennen jemanden, der erschossen wurde. Massenmord im Zeitlupentempo, sagen sie hier.

Festnahmen der Polizei, aber keine Ruhe

Polizeikontrolle in Chicago.
Polizisten in Chicago bei einer Kontrolle, nachdem eine Person festgenommen wurde.  | Bild: NDR

Lagebesprechung auf einem Parkplatz im berüchtigten Süden von Chicago. Polizist Leo Schmitz nimmt uns mit auf Streife nach Englewood. "Am Samstag haben wir hier den Typen mit der Magnum geschnappt“, berichtet der stellvertretende Polizeichef seiner Kollegin. Eine Festnahme, aber keine Ruhe im Viertel. Kaum eine Nacht, in der seine Officer ihm keine Schießereien melden.

"Wir brauchen eine landesweite Lösung"

Doch kein Mord hat auch hartgesottene Polizisten wie Leo sehr geschockt wie der an Hadiya Pendleton. "Die meisten von uns haben selbst Kinder. Es ist furchtbar. Aber wir können nicht aufgeben, wer soll sonst die Gewalt stoppen, wenn nicht wir. Wir müssen alles tun, um wenigstens den nächsten Mord zu verhindern. Die Waffengesetze in Chicago sind zwar so streng wie kaum woanders im Land, das Problem ist aber, die Gangs kaufen ihre Waffen einfach woanders und bringen sie illegal in die Stadt. Deshalb helfen einzelne Gesetze nicht viel. Wir brauchen eine landesweite Lösung“, sagt Schmitz.

Freiwillige unterstützen die Polizei

Bob Jackson (r.) unterstützt mit seiner Gruppe als Freiwilliger die Polizei.
Bob Jackson (r.) unterstützt mit seiner Gruppe als Freiwilliger die Polizei. | Bild: NDR

Wenn die Polizei nicht weiterkommt, ziehen sie los: Die Freiwilligen von Ceasefire, übersetzt Waffenstillstand. Bob Jackson hat seine Leute zusammengetrommelt - von Tür zu Tür ziehen und Zeugen suchen, so lautet ihr Auftrag. Wer für Bob arbeitet, kennt sich aus im Milieu. Die meisten sind Ex-Bandenmitglieder, die Waffen und Drogen den Rücken gekehrt haben. "Es sind die Menschen, die töten. Deshalb müssen wir ihnen klar machen, es bringt nichts, deinen Nachbarn umzubringen, deinen Bruder oder deine Schwester“, sagt Jackson. Gewalt tötet jung und alt, skandieren die Leute von Baob Jackson.

Doch wie wollen sie das Jugendlichen wie Jay Jay klarmachen? Der 17-Jährige ist stolz, Mitglied bei den Gangster-Jüngern zu sein. Er nennt sie seine Familie. Waffen und Drogen sind ihre Währung. Eine Waffe hat er nach eigenen Angaben in kurzer Zeit organisiert.    

Wäre es nicht so einfach, an Waffen zu kommen, könnte Ronnie noch leben. Der Sohn, den Shirley Chambers so sehr vermisst. Es muss etwas passieren in dieser Stadt, sagt Shirley, damit Ronnie nicht umsonst gestorben ist.

Marion Schmickler zieht eine Schutzweste an
Vorsichtsmaßnahme: Wenn Journalisten zum Dreh mit auf Streife gehen wollen, müssen sie eine Schutzweste tragen, wie Korrespondentin Marion Schmickler im Bild. Das ist Pflicht bei der Polizei von Chicago, denn sie können jederzeit in einen Schusswechsel geraten. | Bild: Marion Schmickler

Autorin: Marion Schmickler, ARD-Studio Washington

Stand: 06.02.2019 09:16 Uhr

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