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Spanien: Straßenhändler, gejagt und geduldet

PlaySpanien: In Barcelona, der Stadt der Straßenverkäufer, tobt ein Kampf zwischen Geschäftsleuten und Straßenhändlern

Mit großen Säcken auf dem Rücken ziehen sie durch die Stadt: Die Straßenverkäufer von Barcelona. Da, wo viele Touristen sind, breiten sie ihre Decken aus. Touristin: "Ich habe was gekauft. Gerade eben." Tourist 1: "Für die Leute, die das machen, ist das gut." Tourist 2: "Sie gefährden die Unternehmer, sie zahlen keine Steuern."

Händler fordern mehr Polizeipräsenz gegen illegalen Verkauf

Spanien: Die spanischen Geschäftsleute protestieren gegen die Straßenhändler
Spanien: Die spanischen Geschäftsleute protestieren gegen die Straßenhändler

Genau das ärgert auch Guillermo. Seit 16 Jahren verkauft er am Hafen Antiquitäten. Neben Steuern zahlt er für seinen Stand hohe Mieten. Doch das Geschäft läuft immer schlechter. Für Guillermo sind daran die Straßenverkäufer schuld. "Barcelona ist die Hauptstadt der fliegenden Händler, tatsächlich von ganz Europa. Sie besetzen illegal den öffentlichen Raum", so Guillermo Izuel, Antiquitätenverkäufer.

Lange Zeit duldete die Regierung die Straßenverkäufer. Seit ein paar Wochen kontrolliert die Polizei verstärkt. Darüber ist Guillermo froh, denn neben der Sorge über den fehlenden Umsatz hat er manchmal auch einfach Angst.

"Ich bin von einem angegriffen worden, er hat mein Handy kaputtgemacht. Sie werden immer gewalttätiger. Hier in dem Video sieht man die Aggression. Er musste 100 Euro Strafe zahlen – aber mein Handy ist noch immer kaputt. Er verkauft hier einfach weiter, als sei nichts geschehen. In Barcelona kann man machen was man will", erzählt Guillermo Izuel.

Auch, wenn solche Übergriffe sehr selten vorkommen – viele Händler fordern ein härteres Durchgreifen der Regierung. Mit Plakaten "Gegen den illegalen Verkauf – für mehr Polizeipräsenz" machen sie an ihren Ständen auf ihre Situation aufmerksam.

Kaum Alternativen zum illegalen Verkauf

Spanien: Wenn die Straßenhändler ihre Tücher ausbreiten, haben sie immer Angst vor der Polizei
Spanien: Wenn die Straßenhändler ihre Tücher ausbreiten, haben sie immer Angst vor der Polizei

Borja Martinez verleiht Fahrräder. Seitdem die Straßenhändler auf der gegenüberliegenden Seite ihre Waren verkaufen, kommen immer weniger Touristen in seinen Laden. "Die Leute gehen nur noch auf die andere Straßenseite. Die Läden hier sterben aus. Wenn es so weiter geht, müssen wir schließen. Einen Mitarbeiter haben wir schon entlassen. Noch halten wir durch, aber die Situation ist kritisch", sagt Borja Martínez, Verleih-Unternehmer.

Rund 800 Straßenhändler leben in Barcelona. Der Handel mit gefälschten Markenartikeln ist illegal und kann mit Haftstrafen von bis zu drei Jahren geahndet werden.

Für Assane ist der Verkauf eine der wenigen Möglichkeiten, Geld zu verdienen. Der 29-Jährige will zum Hafen, um dort seine T-Shirts anzubieten. Obwohl er ständig Angst hat, von der Polizei aufgegriffen zu werden.

"Unsere Arbeit ist doch nicht schlecht, das was wir machen ist schließlich besser als zu klauen oder Drogen zu verkaufen oder sowas", so Assane, Straßenverkäufer.

Assane stammt aus einer Fischerfamilie, er selbst hat eine Ausbildung als Schweißer gemacht. Doch im Senegal sah er keine Zukunft für sich. "Seit viereinhalb Jahren habe ich meine Familie nicht mehr gesehen. Viereinhalb Jahre, das ist sehr hart, aber so ist es halt. Ein bisschen muss ich es noch aushalten", erzählt Assane.

Mittel fehlen um Probleme grundlegend zu lösen

Spanien: In Barcelona, der Stadt der Straßenverkäufer, tobt ein Kampf zwischen Geschäftsleuten und Straßenhändlern
Spanien: In Barcelona, der Stadt der Straßenverkäufer, tobt ein Kampf zwischen Geschäftsleuten und Straßenhändlern

Assane ist illegal in Barcelona, für eine Aufenthaltsgenehmigung müsste er erst drei Jahre in Spanien gelebt haben, einen einjährigen Arbeitsvertrag und Sprachkenntnisse nachweisen und man darf keine Vorstrafen haben. Weiter unten an der Hafenpromenade bietet Ali seine Ware an. Vor vier Jahren kam er aus Mauretanien hierher. "Hierbleiben möchte ich gar nicht. Wenn ich genug Geld habe, um zurückzugehen, bin ich weg. Als Immigrant bist du hier der letzte Dreck", so Ali, Straßenverkäufer.

Bis dahin bleibt ihm nur die Straße. Heute legt Ali schon zum dritten Mal seine Tücher und Decken aus. "Ich war gerade zehn Minuten hier und hatte alles hingelegt als die Polizei kam. Ich habe 25 Tücher verloren. Heute ist ein schlechter Tag, ich habe nichts verkauft."

Im Rathaus von Barcelona wird entschieden, wann und ob die Polizei hart durchgreift. Kritiker werfen der Regierung vor, man mache es den illegalen Händlern zu einfach, daher würden immer mehr kommen. Alvarro Porro ist Kommissar für Sozialwirtschaft und unter anderem für den Straßenverkauf zuständig. Mit seinem Mitarbeiter Xavi bespricht er die aktuellen Projekte. Doch es fehlen ihnen die Mittel, die Probleme grundlegend zu lösen.

"Es liegt an den weltweiten Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten, an der Not vieler Menschen, sich ein Leben jenseits ihrer Heimat suchen zu müssen. Man kann nicht die ganze Verantwortung auf das Rathaus einer Touristenmetropole abladen", sagt Alvaro Porro, Kommissar für Sozialwirtschaft.

Auch Straßenhändler wollen bessere Bedingungen

Auch die Straßenverkäufer suchen nach Lösungen und haben "Top Manta" gegründet, eine Art Verein der fliegenden Händler. Daouda ist einer ihrer Sprecher. "Wir haben ein eigenes Modelabel entwickelt, um zu zeigen, dass wir nicht hier sind, um jemandem etwas wegzunehmen, um zu stehlen oder rumzuhängen. Wir zahlen Steuern und schaffen Arbeitsplätze, für die, die noch auf der Straße verkaufen", so Daouda, Sprecher "Top Manta".

Manchmal kommen Straßenhändler hierhin, um sich beraten zu lassen. Daouda weiß, wie sie sich fühlen. "Es gibt hier Rassismus. Wenn mir einer "Neger" hinterherruft, ist mir das egal. Aber wenn die Gesetze dir verbieten zu arbeiten, zu studieren, dann bleibt dir nur der Straßenverkauf. Und da empfängt dich dann eine Horde Polizisten, die dich ins Gefängnis steckt. Das ist der Horror."

Diesen Horror erleben viele Straßenhändler inzwischen fast jeden Tag. In den letzten Monaten ist ihr Leben in Barcelona noch härter geworden. Die Polizei zeigt mehr und mehr Präsenz und lässt den illegalen Verkauf kaum mehr zu. Auch für Assane wird es immer schwerer, einen Platz zu finden, an dem er seine T-Shirts verkaufen kann und von der Polizei nicht gesehen wird. Der 29-Jährige ist ständig müde und fühlt sich gehetzt. Vor allem bedrückt Assane aber, dass man ihn in Barcelona nicht will.

"Ich dachte hier könnte ich in Ruhe arbeiten, doch es ist extrem schwer. Ganz Europa ist einfach hart, es ist wirklich nicht leicht hier, es ist sehr hart. Ich brauche einfach Papiere und eine Arbeit, dann könnte ich in Ruhe leben", erzählt Assane.

Zurück in den Senegal kann Assane nicht. Seine Familie ist auf das Geld, das er ihnen regelmäßig schickt, angewiesen.

Autorin: Jutta Pinzler

Stand: 23.09.2019 10:29 Uhr

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