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Spanien: Die Terrorzelle aus Ripoll

PlayDie katalanische Polizei Mossos d'Esquadra spricht von einer Terrorzelle, die von Ripoll und Alcanar aus agiert habe.
Spanien: Die Terrorzelle aus Ripoll | Bild: NDR

Ripoll, am Fuße der Pyrenäen. Die katalanische Flagge auf Halbmast. Der Ort ist abgeriegelt. Jeder Wagen wird kontrolliert. Acht Terroristen lebten hier in Ripoll. Auch der Fahrer des Lieferwagens lebte hier. Er wird noch gesucht. Es sei weniger los als sonst, erzählen die Einwohner auf dem Wochenmarkt. Dass von hier aus eine Terrorzelle Anschläge vorbereitet hat, das schockiert jeden, es sei doch eine ganz normale Stadt.

Seltsame Stimmung im Dorf

Die meisten werden hier geboren, wachsen hier auf und sterben auch hier, erzählt uns Antonio. Der 75-Jährige sagt, die Stimmung im Dorf sei seltsam. "Als ich im Fernsehen den Namen Ripoll gehört habe und die Bilder der Jungs gesehen habe, dachte ich nur, das kann doch nicht wahr sein. Ich kannte sie natürlich vom Sehen. Einer hat hier Fußball gespielt", erzählt er. Und ein anderer sagt: "Natürlich reden alle über dieses Thema, wie in ganz Europa. Ja, es bleibt schon Angst zurück."

Vom Schulfreund zum Terroristen

Cafés sind der zentrale Treffpunkt in Ripoll.
Cafés sind der zentrale Treffpunkt in Ripoll. | Bild: NDR

Der Platz am Rathaus – die Cafés hier sind der zentrale Treffpunkt in Ripoll. Pablo arbeitet im Café seiner Eltern. Er kommt aus derselben Nachbarschaft wie Mohamed H., der von der Polizei getötet wurde. Pablo ist mit ihm zur Schule gegangen. "Er war sehr extrovertiert, hatte einen starken Charakter, aber hielt zu seinen Freunden", erzählt er. "Aber er war eigentlich ein sehr guter Typ. Wenn du ihn respektiert hast, hat auch er dich respektiert. Aber man durfte sich nicht mit ihm anlegen." Wie so viele in Ripoll fragt er sich, wie aus einem Schulfreund ein Terrorist werden konnten.

"Sowas ist mit dem Islam nicht vereinbar"

Die Annur Moschee: Viele hier kennen die Attentäter von klein auf. Immer wieder kamen sie zum Beten in die Moschee. Doch sie seien lange nicht mehr hier gewesen. Viel geredet wird über einen Imam, der hier regelmäßig gepredigt hat. Möglicherweise steht er im Zusammenhang mit dem Anschlag. "Wir wissen nicht, ob der Imam außerhalb der Moschee Kontakt zu diesen Männern hatte", sagt Abu Jassine, Vorsitzender der muslimischen Gemeinde. "Das wissen wir einfach nicht." Und dann sagt er: "Hier bei uns in der Gemeinde hat er nie etwas seltsames oder auffälliges gesagt oder getan. Nur das getan, was alle Imame tun. Gottesdienste halten. Sonst nix." In der Stadt kennt jeder jeden. Viele hier sehen sich jetzt an den Pranger gestellt. "Wer versteht, was der Islam wirklich bedeutet, wird uns nicht seltsam ansehen", sagt Abu Jassine. "Denn sowas ist mit dem Islam nicht vereinbar. Wir sind gegen solche Attentate."

"Unsere Herzen sind bei den Opfern"

"Nicht in meinem Namen" – Freunde, Brüder, Schwestern und die Mutter eines Attentäters versammeln sich zu einer spontanen Gedenkveranstaltung. Die Familie distanziert sich. Immer wieder rufen sie: "Unsere Herzen sind bei den Opfern." "Ich kann nicht glauben, dass mein Bruder das gemacht hat", sagt eine Frau. Viele Verwandte der Terroristen wohnen schon lange hier, arbeiten hier oder gehen zur Schule.

Muslime fester Bestandteil der Stadt

In Ripoll leben ungefähr 700 Muslime. Ihr Anteil ist deutlich geringer als in anderen Städten. Probleme habe es hier bisher nicht gegeben, sagt Rathaus-Vertreterin Maria Dolors Vitalta: "Sie sind fester Bestandteil der Stadt. Deswegen sind wir so überrascht, dass diese jungen Männer, die hier geboren wurden und aufgewachsen sind, das getan haben."

Das Leben hat sich schlagartig geändert

Ripoll galt als Stadt, in der man ruhig leben konnte, nicht als Islamistenhochburg.
Ripoll galt als Stadt, in der man ruhig leben konnte, nicht als Islamistenhochburg.  | Bild: NDR

Die Wohnung im Erdgeschoss, in der mehrere Attentäter und ihre Familien gelebt haben, ist verriegelt. Ein Nachbar lädt uns ein und zeigt uns die Wohnungstür. Den 17-Jährigen hat er aufwachsen sehen. Er möchte nicht erkannt werden. "Wir haben uns immer gegrüßt. Aber es ist so, dass Mohar und Omar in letzter Zeit sehr viel ernster waren als vorher", erzählt er. "Wenn ich sie gefragt habe, haben sie immer gesagt, wir sind müde von der Arbeit. Das gehe ja allen so. Aber sonst ist mir nichts aufgefallen." Er erzählt, für die Hausbewohner habe sich das Leben schlagartig verändert. Alle im Haus seien angespannt. Ripoll galt als Stadt, in der man ruhig leben konnte, nicht als Islamistenhochburg. Wie diese Männer zu Dschihadisten wurden und wie sie sich radikalisierten, das sind Fragen, die sich die Menschen in Ripoll stellen. Und auf die sie eine Antwort brauchen.

Autor: Alexander Stein, ARD-Studio Madrid

Stand: 20.07.2019 14:05 Uhr

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