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Ukraine: Pizza Veterano

PlayPizzabacken gegen das Kriegstrauma
Ukraine: Pizza Veterano | Bild: SWR

"Niemand dachte, dass der Krieg so lange dauern würde", sagt Yurij Guschmann. Und Leonid Ostaltsev ergänzt: "Es ist wie ein Krebsgeschwür. Daran kann das ganze Land sterben". Leonid Ostaltsev war Soldat der Infanterie. Jetzt, mit Anfang 30, ist er Kriegsveteran. Und macht Pizza. In seinem eigenen Laden: "Pizza Veterano". Im Juni 2015 kam er zurück aus Donezk. Ohne Job, aber mit einer Geschäftsidee: Eine Pizzeria, in der nur Veteranen arbeiten. "Warst du schon mal Kommandeur auf nem Panzer?", fragt ein Angestellter. "Ja", sagt Leonid, "Fünf Tage lang. Kann also stolz sein."

Pizzeria Veterano: non und für Veteranen
Pizzeria Veterano: non und für Veteranen  | Bild: SWR

Pizzabäcker war Leonid auch schon vor dem Krieg. Zurück macht er einen Businesscrashkurs und eröffnet Pizza Veterano, in einer Einkaufspassage in Kiew. Inzwischen hat er 8 Angestellte – fast alle waren an der Front. "Wenn du zurückkommst, hast du komplett andere Menschen um dich. Eine andere Umgebung. Und auch eine ganz andere Kommunikation mit der 'Außenwelt'. Im Krieg ist die Kommunikation einfach: Feuer in die Richtung – da sind Leute, die dich von den Seiten schützen. Aber hier wird nicht gefeuert, in keine Richtung. Und es ist unklar, was du tun musst. Du kannst dich schnell verlieren, das Trinken anfangen oder kriminell werden. Du kannst in viel Mist reingezogen werden.” Das will Leonid verhindern. Mit Arbeit und Ablenkung. Und zeigen, dass ein Leben nach dem Krieg möglich ist.

Leonid Ostaltsev, der Gründer von Pizza Veterano
Leonid Ostaltsev, der Gründer von Pizza Veterano  | Bild: SWR

Wie schwer das ist, hat auch Yuriy Gushman erlebt. Er hat sich freiwillig zum Kriegsdienst gemeldet. Wie so viele Ukrainer. "Ich wollte keine Schande für meine Vorfahren sein. Meine Großväter haben gekämpft, mein Vater hat in der Armee gedient. Und ich sollte Angst haben? Wo ein Krieg in meinem Land, in der Ukraine tobt? Mich zu Hause verstecken? Nein, das ist falsch. Wenn du ein Mann bist, musst du in den Krieg gehen." Ein Jahr lang kämpfte Yuriy an der Front gegen die Separatisten. Jetzt ist er zurück in Kiew – zumindest körperlich. "Ich denke immer wieder an die Zeit. Es war kalt. Und wir haben extrem gefroren. Vor allem in Debalzewe. Bevor die härtesten Kämpfe ausbrachen. Wir lebten in Beton-Blocks. Wir konnten uns nur alle zwei bis vier Wochen waschen. Manchmal monatelang gar nicht."

Fotos von gefallenen Kameraden. Die Bilder im Kopf sind immer da. Gerade deshalb versteht sich Pizza Veterano auch als Anlaufstelle für Soldaten. Yuriy und seine Frau Ekaterina treffen sich hier mit einer ehrenamtlichen Sozialarbeiterin. Sie unterstützt sie seit Yuriys Rückkehr. 50-70% der Veteranen bräuchten psychologische Hilfe, schätzen Experten. Doch vom Staat gibt es die kaum. Bei Pizza Veterano ist zweimal pro Woche eine Psychologin da. Die Gespräche mit ihr sind Pflicht für alle, die hier arbeiten. "Der Staat tut leider nichts für die Wieder-Eingliederung der Veteranen", meint die Psychologin Galina Kravchenko. "Er ist eine so langsame Maschine. Und bei Kriegstraumata muss man schnell reagieren. Schnelle Entscheidungen treffen. Was Leonid hier macht ist eine unkomplizierte Lösung. Wenn der Staat sich nicht kümmert, müssen es eben normale Leute wie wir tun."

Yurij Guschmann will zurück an die Front.
Yurij Guschmann will zurück an die Front.  | Bild: SWR

Am Stadtrand von Kiew leben Yuriy und seine Frau Ekatarina mit ihren drei Kindern. Ihr ältester Sohn, Sascha, ist schwerbehindert. Alle zusammen leben in einer 1-Zimmer Wohnung. Mehr ist nicht drin. Als Soldat hat Yuriy umgerechnet 150 Euro im Monat verdient. Jetzt ist er arbeitslos, und die Erinnerungen lassen ihn nicht los. "Am Anfang, als er zurückgekommen ist, hat er nachts geredet", erzählt Ekaterina Gushman. "Er hat um sich gegriffen und das Maschinengewehr gesucht. Er weiß das alles nicht, weil das unterbewusst passierte."

Yuriy hat versucht, wieder auf dem Bau zu arbeiten. Aber es ging nicht. Vielleicht, meint er, war er schon zu sehr an den Krieg gewöhnt. Und deshalb trainiert er jetzt auch. Er will fit werden, will zurück in den Donbass. Zurück an die Front. "Dort ist alles anders. Weniger alltägliche Probleme. Dein Kopf tut dir nicht weh vor all den Sorgen: Wie soll ich die Familie ernähren, wie sollen wir weiterleben und so. Dort hast du deine Jungs. Kameradschaft. Freude. Alles ist gut." Zurück in den Krieg, weil der Weg in den Alltag nicht mehr möglich ist. Die Familie zurücklassen. Sein Leben riskieren für ein Land, von dem er sich im Stich gelassen fühlt…

Und Leonid? Der ist schon bei seinem nächsten Projekt. Er hilft auch anderen Veteranen dabei, sich selbstständig zu machen, eine Perspektive aufzubauen. Wie hier mit dem ersten Café Veterano. "Soll ich dir einen Kaffe machen?" fragt Vitaliy. "Ja klar Mann, aber ohne Alkohol!" sagt Leonid. "Ey, was denkst du von mir?"  Würde Leonid auch zurück gehen in den Osten? Zurück in den Krieg? Ja. Er plant sogar schon. Er wird wieder Richtung Donezk fahren. Allerdings nicht um zu kämpfen, sondern um Pizza zu backen für die Kameraden an der Front. Pizza Veterano.


Stand: 13.07.2019 11:11 Uhr

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