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USA: Marathon hinter Mauern

PlayGefängnisinsassen laufen auf dem Gelände von San Quentin
USA: Marathon hinter Mauern | Bild: BR

Als „Hölle auf Erden“ beschrieb der Sänger Johnny Cash einst das Gefängnis San Quentin in Kalifornien. Sie alle wollen nicht durch diese Hölle gehen, sie rennen. Mörder, Serienvergewaltiger und Räuber – vereint in einem Ziel: Den Marathon hinter Mauern zu überstehen. Tommy Wickerd ist einer von ihnen.

24 Stunden vorher. Tommy ist voller Vorfreude. Ein ganzes Jahr hat er für den Marathon trainiert. Jetzt trifft sich die Laufgruppe zur letzten Teambesprechung. Sie alle wollen sich bessern. Nicht nur im Laufen, sondern auch im Leben. Offen über seine Taten zu sprechen, empfindet Tommy als ersten Schritt: „Ich bin mit einem ehemaligen Mitglied meiner Gang aneinander geraten. Dann führte eins zum anderen. Am Ende war er erschossen und ich im Gefängnis. Er war eigentlich ein alter Kumpel, aber er schoss mir in den Kopf. Ich nahm die Waffe und tötete ihn.“

Tommy zeigt uns die Stelle, an der die Kugel ihn streifte. Sein halbes Leben hat der 51-Jährige in verschiedenen Gefängnissen verbracht. Schon vor seinem Mord saß er wegen kleinerer Delikte hinter Gittern. Doch der Knast habe ihn erst richtig kriminell gemacht.

Marathon als Ziel

Marathon-Trainer Frank Ruona will den Männern dabei helfen, sich zu ändern. Der Rentner ist selbst schon 78 Marathons gelaufen und trainiert die Häftlinge in seiner Freizeit: „Das ist keine einfache Umgebung hier. Ich habe Mitgefühl für diese Jungs und ich hoffe, dass sie an sich arbeiten können – sei es beim Laufen, bei der Ausbildung, bei der Überwindung ihrer Drogensucht, damit sie ihr Leben verbessern und hier endlich rauskommen.“

Die meisten hier hatten die Hoffnung schon aufgegeben, das Gefängnis jemals wieder zu verlassen. Auch Troy Dunmores Urteil lautete lebenslänglich: „Ein schwerer Raubüberfall in einem Wohnhaus, ein Einbruch, das sind zwei Taten. Und dann noch ein Raubüberfall mit Freiheitsberaubung. Ich erzähl es Euch. Ich habe ein Restaurant überfallen und die Leute auf der Toilette eingesperrt. Wenn Du damals drei Mal straffällig wurdest, gab es lebenslänglich.“

Die Justizreform

Doch diese Regelung soll sich durch die große US-Justizreform ändern. Viele hier hoffen auf eine frühzeitige Begnadigung. Ausgerechnet das berühmt-berüchtigte Gefängnis San Quentin verbessere die Chancen durch Rehabilitationsprogramme.

Das Gefängnis San Quentin galt lange als einer der brutalsten Knäste Amerikas. Ständig überfüllt, kam es immer wieder zu tödlichen Zwischenfällen. Heute gilt San Quentin als Vorzeigegefängnis Kaliforniens und diente sogar als Blaupause für die US-Justizreform. Sie soll ab diesem Jahr die Lebensbedingungen hinter Gittern verbessern und die Zahl der Strafgefangenen reduzieren. Hier in San Quentin war sie von 5500 auf rund 4000 gesunken. Denn Häftlinge mit lebenslangen Freiheitsstrafen können in Kalifornien begnadigt werden, wenn sie sich gut führen. Auch die Teilnahme am Marathon ist für die Strafgefangenen eine Chance zu beweisen, dass sie zu Disziplin und Sportsgeist fähig sind.

105 Runden

Die Männer müssen 105 Runden durch den Gefängnishof laufen, um auf die Marathon-Distanz von rund 42 Kilometern zu kommen. Viele haben im Leben vor dem Gefängnis nie erlebt wie es sich anfühlt, ein Ziel zu erreichen. Umso stolzer ist Coach Frank, dass heute 23 Läufer darum kämpfen, anzukommen.

Weder Regen noch Kälte halten Tommy auf. Er kommt als sechster Läufer ins Ziel. Und ist dankbar, dass ihm dieses Erfolgserlebnis ermöglicht wurde.

Auch für diesen Siegestanz gibt es einen guten Grund: Lee Goins ist 82 Jahre alt und bejubelt nicht nur, dass er heute durchgehalten hat. Nach 32 Jahren Haft kommt er Ende des Monats frei: „Ich kam als Krimineller hierher, aber ich gehe nicht als Krimineller. Ich habe einen Wandel durchgemacht.“

Zu diesem Wandel hat Coach Frank beigetragen und bekommt dafür von den Häftlingen eine Urkunde überreicht. Und Tommy verleiht ihm den wichtigsten Ehrentitel, den er zu vergeben hat: „Das ist der beste Gefängnis-Daddy!“

Autor: Jan Philipp Burgard, ARD Washington, DC

Stand: 10.03.2019 22:09 Uhr

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Bayerischer Rundfunk
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