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USA: Rassismus im Alltag – "Black Life Matters"

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USA: Rassismus im Alltag "Black Life Matters" | Bild: WDR

Vicki präpariert Leichen. Sie will den Menschen ihre Würde zurückgeben – wenigstens im Tod. Sie sollen so gehen, wie sie gelebt haben und nicht so aussehen, wie sie gestorben sind. "Es schmerzt mich, dass so viele schwarze Männer hier in unserem Viertel gewaltsam sterben – erschossen, erstochen, erhängt," erzählt Vicki Thompson-Simmons vom Woodward Beerdigungsinstitut.

Brownsville – das Armenviertel von New York

Brownsville – eines der schlimmsten Ghettos der Stadt New York.
Brownsville – eines der schlimmsten Ghettos der Stadt New York. | Bild: WDR / WDR

Wenige Blocks vom Beerdigungsinstitut entfernt. Aufregung an der Mott Hall Bridges Schule – an der Ecke gab es eine Schießerei. Die Polizei hat alles abgesperrt. Jeniya Douglas wollte uns eigentlich ihre Schule zeigen. "Die Polizisten suchen nach den Tätern. Unsere Schule haben sie abgesperrt, damit uns Kindern nichts passieren kann. Du bist in Brownsville, hier ist es wirklich gefährlich."

Brownsville – das Armenviertel von New York. Weiße sieht man hier kaum – hier leben Schwarze, Latinos, Illegale. Trump steht frei und wird inseriert. Sie bringen Drogen, sie sind Kriminelle, sie vergewaltigen. Draußen tönt der Wahlkämpfer Trump offen rassistisch gegen Mexikaner, hier in Brownsville erleben sie, was das bedeutet. Die Statistiken sind niederschmetternd: Jeder Dritte, der hier groß wird, landet später im Gefängnis.

Schulbildung soll zum besseren Leben verhelfen

In der Mott Hall Bridges Schule tun sie alles, um diesen Teufelskreis zu durchbrechen. Das Herz und die Seele dieses Projektes ist die Schuldirektorin Nadia Lopez. Sie hat diese Schule vor sechs Jahren gegründet – als erste ihrer Art in Brownsville. "Brownsville – da denkst du an sozialen Wohnungsbau und Kampf, da gibt es keine Büchereien, da ist nichts, was den Geist anregt…nichts, was einem dabei helfen würde, ein besseres Leben zu leben."

Aufbauarbeit. Jeniya kennt von New York nur Brownsville. Sie und ihre Freundin Aaliah waren in der Schule so aggressiv, dass sie um sich schlugen. Seit zwei Jahren kümmert sich Nadia Lopez um sie, immer wieder behutsam. Sie weiß, dass Jeniyas Mutter drogensüchtig ist, der Vater abgehauen – Jeniya muss sich um die kleinen Geschwister kümmern. "85 Prozent meiner Kinder sind traumatisiert, haben Ängste, sind depressiv. Das hängt mit dem posttraumatischen Sklavensyndrom zusammen, der systematischen strukturellen Unterdrückung der Schwarzen in den USA."

Unbewältigter Rassismus in den USA

Ein Mahnmal des Rassismus in der USA fordert Anwalt Bryan Stevenson.
Ein Mahnmal des Rassismus in der USA fordert Anwalt Bryan Stevenson. | Bild: WDR / WDR

Schwarze Kinder werden in den USA vier Mal öfter von der Schule verwiesen als Weiße. Das Schulsystem sortiere schwarze Kinder einfach aus, sagt Nadia Lopez – Jeniya aber habe eine bessere Chance verdient. "Jeden Tag baut sie uns auf, sagt uns, was alles in uns steckt. Dass wir zählen, wirklich zählen", erzählt Jeniya.

Tiefster Süden, Alabama River. Hier hat alles begonnen – an diesem Fluss – hier kamen sie an die Sklaven, vor 200 Jahren. Tag für Tag Hunderte. Zusammengepfercht, um wie Vieh verkauft zu werden. Kein Hinweis, kein Mahnmal erinnert an der Rampe in Montgomery an die grausame Vergangenheit. Für Brian Stevenson von der Equal Justice Initiative ist das ein Zeichen für den unbewältigten Rassismus in seinem Heimatland.

"Wenn du dir vor Augen führst , dass das hier eine Rampe wie in Auschwitz und Birkenau war, dass dieser Ort so schlimm wie die Todesfelder in Kambodscha war, dann kannst du das nicht mehr als netten sonnigen Ort ansehen. Und solange wir die Geschichte dieser Orte verdrängen – solange werden wir in diesem Lande keine Gerechtigkeit sehen."

Jedes einzelne Leben zählt

Schwarze US-Bürger kämpfen noch immer um ihre Würde und für eine faire Chance.
Schwarze US-Bürger kämpfen noch immer um ihre Würde und für eine faire Chance. | Bild: WDR / WDR

Tiefstes Alabama – der Flecken Letohachee. Am 3. März 1900 hängte an dieser Stelle ein weißer Mob sieben Schwarze auf. 4000 Fälle von Lynchjustiz haben die Aktivisten der Equal Justice Initiative dokumentiert. Sie gehen von Tatort zu Tatort und sammeln die Erde ein. Jedes Glas – ein ungesühntes Verbrechen. Bryan Stevenson hat sie aufgereiht – der Kern für das Mahnmal, das er bauen lassen will – ähnlich dem Holocaust Museum in Berlin. "Ich würde den Deutschen nicht trauen, wenn sie den Holocaust niemals aufgearbeitet hätten…weil sie es getan haben, sehen wir die Deutschen heute anders, aber wir haben in den USA eine solche Aufarbeitung niemals geleistet."

Und so wie Trittsteine will er überall dort, wo seine Vorfahren gelyncht wurden, Schilder wie dieses aufstellen. Damit sich die USA endlich erinnern müssen. "In den USA sind die Verbrechen der Lynchjustiz nie gesühnt worden. Deshalb können jetzt im Wahlkampf diese rassistischen Töne gegen Mexikaner und Muslime angeschlagen werden, und viele Leute klatschen Beifall, anstatt aufzuschreien."

In Brownsville ist die Gewalt alltäglich. Mord und Totschlag ist bei jungen schwarzen Männern die Todesursache Nummer Eins. Schlagzeilen macht das nicht – die Gesellschaft sei immun dagegen – beklagt Vicki Thompson-Simmons. Dabei zähle doch jedes einzelne Leben, auch das der Schwarzen. So wie das von Aaron Phillips. Ein Drogendealer hatte ihm in den Kopf geschossen – einfach so. Vicki trauert nach der Beerdigung mit Aarons Mutter. "Wann hört das endlich auf. Ein bisschen Würde, wenigstens im Tod", sagt Vicki Thompson-Simmons.

Bericht: Markus Schmidt/ARD Studio New York

Stand: 13.07.2019 04:41 Uhr

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