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Emirate: Was die neue Freundschaft zu Israel bedeutet

PlayEin Mann steht in Dubai am Strand und blickt aufs Meer.
Emirate: Was die neue Freundschaft zu Israel bedeutet | Bild: NDR

Sie sehen sich gerne als Leuchtturm in einer krisengeschüttelten Region: ehrgeizig, geschäftstüchtig, pragmatisch. In Umfragen nennen die meisten jungen Araber die Vereinigten Arabischen Emirate als das Land, in dem sie in ihrer Region am liebsten einmal leben möchten. An der Spitze der Emirate stehen zwar autokratische Herrscher, Emire und Scheichs, die für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte nicht allzu viel übrig haben. Aber sie stellen gerne den Anspruch religiöser Toleranz ins Schaufenster. Vor wenigen Jahren noch gab es bestenfalls eine Handvoll Juden in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Seither blüht die kleine Gemeinde in Dubai aber auf. Mit dem Abkommen von Washington nehmen die Emirate diplomatische Beziehungen mit Israel auf. Für viele Juden am Golf ein Befreiungsschlag.

Ross Kreil ist angekommen – nach einem langen Tag an seinem Lieblingsstrand zum Abspannen. Aber auch als Jude in einer muslimisch geprägten Gesellschaft. Seit sieben Jahren schon lebt der Anwalt in Dubai, bislang eher zurückgezogen. Heute nun trägt er zum ersten Mal öffentlich die Kippa und fühlt sich wohl dabei: "Das ist jetzt mein zu Hause. Wir haben gelernt, hier zu leben. Als Juden zu leben."

Jüdische Gemeinde in Dubai wächst

Bewegte Tage liegen hinter ihm. Gerade erst war Kreil zu Gast im Weißen Haus. Ein historischer Tag, an dem die Vereinigten Arabischen Emirate und Israel ihre Annäherung besiegelten. Gerade Dubai hofft auf neue Investitionen, Geschäfte, Touristen aus Israel. Die Handelsmetropole am Golf gibt sich gerne weltoffen und tolerant. Auch deshalb konnte hier eine jüdische Gemeinde Wurzeln schlagen. Ross Kreil ist ihr Präsident. In zwei Wochen öffnet die neue Synagoge ihre Tore. Die alte war zu klein geworden. Etwa 500 Mitglieder zählt sie mittlerweile. Fast täglich werden es mehr. Auch aus Israel erreichen sie immer neue Anfragen. "Schüler können hier etwas über jüdische Geschichte lernen. Und wir werden auch eine Sprachschule für Arabisch haben. Emirati können Hebräisch lernen", erklärt Ross Kreil. Mit dem Washingtoner Abkommen öffnen sich neue Horizonte. Nun ist die Gemeinde auch von Staats wegen anerkannt. "Wir sind jetzt die Juden der Vereinigten Arabischen Emirate. Mich packt das emotional, wenn ich nur darüber spreche", sagt Kreil.

"Jetzt kommen plötzlich so viele Touristen aus Israel"

Zwei jüdische Männer beten gemeinsam.
Ross Kreil und Alexander Peterfreund waren die Keimzelle der jüdischen Gemeinde. | Bild: NDR

Zu Hause herrscht seit Tagen Hektik pur. Das Telefon von Ross steht nicht mehr still. Die ganze Welt schaut auf die kleine jüdische Gemeinde. Auch seine Frau Elli wird von Anfragen überrollt. Sie betreibt einen Catering-Service für koscheres Essen. Die Nachfrage boomt. Vom nächsten Jahr an soll sie auch die Fluggesellschaft Emirates beliefern. Sie will nun eine Großküche aufmachen und neue Mitarbeiter einstellen. "Jetzt kommen plötzlich so viele Touristen aus Israel hierher. Neue Märkte für koscheres Essen tun sich in den Vereinigten Arabischen Emiraten auf. Mein ganzes Geschäft wurde plötzlich in eine andere Stratosphäre geschossen",erzählt Elli Kreil.

Alexander Peterfreund war einer der ersten in Dubai. Vor sieben Jahren lernte der Diamanthändler aus Antwerpen den Anwalt in Dubai kennen. Zwei orthodoxe Juden, die schnell Freundschaft schlossen. Es gab kaum andere in der Stadt. Gemeinsam bildeten sie die Keimzelle der jüdischen Gemeinde, sind seither unzertrennlich, beten oft gemeinsam. "Wir waren beide mit viel Leidenschaft dabei, haben wie ein junges Paar ein Haus gebaut und dafür nach und nach die Möbelstücke gekauft. Jedes neue Mitglied war ein großer Erfolg für uns", sagt Alexander Peterfreund. Ross Kreil ergänzt: “Wir wollen eine jüdische Gemeinde sein, die fortschrittlich ist, ein Modell, das niemanden ausschließt. Wir wollen der Welt zeigen, wie nah Juden, Araber und Christen zusammenstehen können."

Über alle Ressentiments hinweg Brücken bauen

Zwei Männer sitzen sich im Interview gegenüber.
Für Anwar Gargash ,Außenminister der Emirate, ist Stillstand keine Alternative.  | Bild: NDR

Nicht überall aber stößt das Modell von Dubai auch auf Gegenliebe. Viele Araber halten die Annäherung an Israel für Verrat an den Palästinensern. In den sozialen Netzwerken ist darüber auch viel Wut zu spüren. Der Außenminister der Emirate, Anwar Gargash, hat offenbar damit gerechnet. Der Deal polarisiere die Gesellschaft weiter, sagt er. Doch Stillstand sei auf Dauer keine Alternative: "Wer die Emirate negativ beurteilt, fühlt sich in seiner Einschätzung bestärkt. Wer sie positiv sieht, bleibt ebenfalls bei seiner Einstellung. Nur die Lautstärke der Auseinandersetzung ist ein wenig höher geworden." 

Über alle Ressentiments hinweg Brücken bauen, das hat sich Ross Kreil vorgenommen. Thani Al-Shirawi ist ein Freund geworden. Der Stahlunternehmer aus Dubai liebt koscheres Essen, will in Israel investieren, eines Tages auch dorthin reisen. Viel Gesprächsstoff, viele Gemeinsamkeiten, Differenzen aber bleiben. "72 Jahre lang wurde uns erzählt, wir seien Feinde. Das lässt sich nicht einfach ausschalten. Ich habe darüber auch mit Ross gesprochen. Es muss eine Reise sein. Und wenn es so ist, spürt man das auch intensiver und wir werden am Ende enge Freunde", sagt Thani Al-Shirawi. Eine Anähherung, die Zeit braucht. Ein Anfang immerhin ist jetzt gemacht. 

Autor: Daniel Hechler, ARD Kairo

Stand: 21.09.2020 14:56 Uhr

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