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Indonesien: Hijab und Prosecco – Leben zwischen zwei Welten

PlayKarmila Purba auf ihrem Motorrad
Indonesien: Hijab und Prosecco – Leben zwischen zwei Welten | Bild: picture alliance / dpa | Dedi Sinuhaji

Karmila Purba ist Bikerin und Schaustellerin. Sie rast mit Vollgas Klischess davon - dem der demütigen Muslimin zum Beispiel: "Wenn ich Motorrad fahre, fühle ich mich so frei. Das ist ein ungewöhnlicher Ort. Hier bin ich glücklich und stolz auf mich." Die 24-Jährige ist die Attraktion auf einem Jahrmarkt in der tiefsten Provinz von Indonesien. Tattoo statt Hijab, ihre Welt dreht sich um PS statt um Pflichtgebete. Freiheiten, die sie sich nehmen muss in einem Land, in dem konservative muslimische Gruppen lautstark mehr Religiosität predigen. "Man sagt mir oft: 'Als Frau und Muslimin solltest du nicht so einen Job haben. Bedecke dich.' Aber mein Prinzip ist: Nicht auf alles und jeden zu hören, der mir was sagt", erklärt Karmila Purba.

Muslimisches Erbe wird dominanter

Indonesien will zum globalen Player werden. Gleichzeitig wird das muslimische Erbe dominanter. Und so gehen inzwischen zwar immer mehr Mädchen und Frauen zur Schule, Uni und zum Job, aber so viele wie nie zuvor tragen auch einen Hijab – und das nicht immer freiwillig: Die Erstklässlerin Ratu macht sich – wie jeden Morgen etwas widerwillig fertig für die Schule – zur Uniform muss sie jetzt auch den Hijab tragen. Laut Gesetz ist dies an öffentlichen Schulen freiwillig. Doch Ratus Familie hielt den sozialen Druck nicht aus. "Bist du keine Muslimin wurde sie immer wieder gefragt. Warum trägst du deinen Hijab nicht, haben die Lehrerinnen sie immer wieder ermahnt. Ich will nicht, dass sie gemobbt und belästigt wird. Deswegen haben wir nachgegeben. Damit sie sicher fühlt in der Schule", sagt Yekti Dyah Mulyaningrum.

Yekti sieht den wachsenden Einfluss von Konservativen im Land kritisch. Es gebe inzwischen so viele Gebote für Frauen, beobachtet die Verkäuferin. Das passt für sie nicht ins Zeitalter von Internet und Social Media. "Ich bin dagegen, dass man in einer öffentlichen Schule oder auch anderswo gezwungen wird, den Hijab zu tragen. Ich habe aus Protest dagegen meinen abgelegt. Die Hauptsache ist doch, dass man an Gott glaubt."

"Ich will nicht, dass wir rückwärts gehen"

Kleines Mädchen mit Hijab.
Sozialer Druck: Erstklässlerin Ratu trägt jetzt den Hijab. | Bild: NDR

So sieht das auch Aimee Juliette, Modell und Influencerin in Jakarta. Ihr Lebensstil ist so ziemlich das Gegenteil, von dem, was Konservative als halal, also rein, bezeichnen würden. Sie lebt mit ihrem Freund zusammen und mal ein Glas Prosecco zu trinken – das empfindet Aimee ganz und gar nicht als Sünde: "Geht es irgendjemanden was an, wenn ich Alkohol trinke, solange ich nicht betrunken bin? Oder wenn ich Sex mit meinem Freund habe? Nein, das ist meine Sache, ist vielleicht nicht ideal, aber okay."

Die größten muslimischen Organisationen des Landes wollen nach wie vor einen moderaten Islam. Aber, so Aimee, es gäbe inzwischen zu viele politische Zugeständnisse an eine kleine Gruppe von Islamisten. Wie etwa das neue Gesetz, das Sex außerhalb der Ehe bestrafen soll: "Ich mache mir Sorgen um mich und um dieses Land. Ich will nicht, dass wir rückwärts gehen. Ich weiß nicht, wie wir das ändern, aber ich habe Angst. Der allgemeine Druck geht doch sehr in diese Richtung.“

"Indonesien ist nun mal ein mehrheitlich islamisches Land"

Am Set einer der beliebtesten Soaps in Indonesien: Die Familien-Serie ist ein Spiegelbild gesellschaftlicher Normen. Revalina Temat spielt die dreifache Mutter und Unternehmerin Nabilla, die sich von ihrem untreuen Mann scheiden lässt. Die Hauptdarstellerin findet das sehr modern: Noch vor 10 bis 15 Jahren wäre ihre Rolle die einer Hausfrau gewesen, Scheidung undenkbar. Nur weil sich jetzt mehr Frauen mit einem Hijab zu ihrer Identität bekennen, sei Indonesien doch nicht gleich fundamentalistisch, meint sie. "Ich spiele eine starke, eigenständige Frau, die mit allen möglichen Herausforderungen umgehen muss. Aber sie hat natürlich auch starke religiöse Werte und eine enge Beziehung zu Gott."

Bemerkenswert: Die Gegenspielerin und Ehebrecherin in der Serie wirkt wie das Klischees des westlichen Lebensstils: Negligé, falsche Augenwimpern, Femme Fatale. So wirkt die Hauptdarstellerin fast wie eine Heilige. Die Heldin im Hijab als Ehebrecherin in der Serie wäre genauso undenkbar wie LGBTQIA+-Themen. Hauptdarstellerin Revalina Temat, die den Hijab übrigens nicht nur in ihrer Rolle trägt, findet das in Ordnung: "Wir bewegen uns in abgesteckten Grenzen. Ich würde niemals in einer Szene den Hijab abnehmen. Intime Situationen gibt es nicht. Indonesien ist nun mal ein mehrheitlich islamisches Land. Es gibt deswegen einfach Grenzen, was die Zuschauer akzeptieren."

Platz für beides gefordert: Islam und Freiheit

Karmila Purba auf ihrem Motorrad
Islam und Freiheit - Karmila Purba fordert, dass für beides Platz sein muss. | Bild: NDR

Zurück in der Provinz von Zentral-Java. Karmila schminkt sich für ihren Auftritt. Selbst ihre Eltern, die beide streng gläubig sind, haben inzwischen akzeptiert, dass sie in der Motorrad-Show auftritt. Vielleicht vor allem deshalb, weil sie damit mehr Geld verdient als mit einem normalen Job. Karmila hofft, dass ihr Weg anderen Frauen Mut macht: "Freiheit ist so wichtig. Wenn du etwas machst, bei dem du nicht deinem Herzen folgen darfst, ist das schwierig. Freiheit ist die Nummer eins."

Noch leben Frauen in Indonesien nicht wie in Saudi-Arabien, auch wenn sich das manche vielleicht wünschen. Aber Karmila – im bauchfreien Shirt und schwindelerregender Coolness – meint: Es muss Platz für beides sein: Islam und Freiheit.

Autorin: Sandra Ratzow, ARD Studio Singapur

Stand: 16.07.2023 20:35 Uhr

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Norddeutscher Rundfunk
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