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Libanon: Droht eine weitere Kriegsfront?

PlayMenschen schwenken Hisbollah-Fahnen, während einer Solidaritätsdemonstration mit den Palästinensern.
Libanon: Droht eine weitere Kriegsfront? | Bild: picture alliance/dpa | Marwan Naamani

Im Libanon kämpft die Schiitenmiliz Hisbollah gegen Israel. Während viele Libanesen eine Ausweitung des Krieges im Gazastreifen auf ihr Land fürchten, fordern die dort lebenden Palästinenser von der Hisbollah endlich Taten statt Worte.

Bis jetzt ist die Eskalation ausgeblieben

Nur auf den ersten Blick idyllisch. Das Leben im Hafen von Tyros im Südlibanon steht still. Die Fischer an Land, viele trauen sich nicht auf See. Netze flicken, Nerven beruhigen. Die angespannte militärische Lage im Grenzgebiet lässt er sich kaum anmerken. Fischer Sami Rizek hat zahlreiche Kriege mit Israel erlebt. Ans Fischen sei aktuell nicht zu denken, sagt er. Wer solle sie noch essen? Viele Menschen sind aus den umliegenden Dörfern bereits geflohen. Ihr banger Blick geht Richtung Israel. "Hoffentlich passiert nichts und die Leute müssen nicht weiter aus ihren Häusern fliehen. Hier in Tyros haben wir in der Vergangenheit viele Opfer beklagt, wegen israelischer Beschüsse. Sie haben uns einst täglich beschossen in den 80er Jahren, und dann wieder 2006."

Plakate mit schiitischen Persönlichkeiten
Schiiten sind ein großer Machtfaktor im Libanon | Bild: SWR

Gefechtslärm wenige Kilometer weiter in den Bergen. Seit einer Woche Raketen aus dem Libanon auf israelische Stellungen und Beschuss aus Israel abgefeuert auf den Libanon. Vereinzelt sterben Zivilisten. Die große militärische Eskalation – in den vergangen acht Tagen ist sie ausgeblieben – noch. Libanon und Israel, zwei Erzfeinde, geteilt durch eine Mauer. Auf libanesischer Seite weht die Flagge der Hisbollah. Die Region kontrollieren schiitische Machthaber. Finanziert von der Islamischen Republik Iran sieht sich die Miliz als eine der letzten großen Bastionen im Widerstand gegen Israel. Und die schiitische Hisbollah bietet Unterschlupf für Feinde des Feindes.

Die Hisbollah zögert noch

Wir treffen einen Führer der sunnitischen Hamas, verantwortlich vergangenes Wochenende für Gräueltaten an israelischen Zivilisten. "Wir haben die Operation allein geplant, allein umgesetzt und keinen unserer Verbündeten informiert", sagt Ali Barakeh. "Das war das Geheimnis des Erfolgs. Was erwartet ihr? Dass wir aufgeben? Das werden wir nicht tun, wir werden weiterkämpfen, wir und unsere Verbündeten." Verbal gibt es Unterstützung der Verbündeten. Anhänger der Hisbollah am Freitag in der Hauptstadt Beirut. Kampfansagen gegen Israel. Doch für viele überraschend: Hisbollah-Anführer Hassan Nasrallah äußert sich die gesamte Woche nicht öffentlich, schickt seinen Vize vor. Ein Indiz: die hochgerüstete Hisbollah zögert, wägt die eigenen militärische Optionen wohl weiter ab.

Kämpfer der Hisbollah
Die Hisbollah ist militärisch gut gerüstet  | Bild: SWR

Wir bleiben in Dahiyeh, dem Stadtviertel im Süden Beiruts, den die Hisbollah kontrolliert. Dort kennt eine Deutsche die Miliz besser als viele Libanesen. Monika Borgmann arbeitet als Journalistin, Archivarin. Sie lebt seit mehr als 20 Jahren in Dahiyeh. Ihr Mann, der Verleger Lokman Slim wurde vor zwei Jahren umgebracht – mutmaßlich von der Hisbollah. Im Konflikt mit Israel habe sich die Hisbollah bislang bewusst zurückgehalten. "Hisbollah hat nichts unternommen bisher, was Israel so provoziert hätte, dass es wirklich diese Front in Israel, im Norden Israels eröffnet hätte." Aber: es sei ein gefährliches Zündeln. "Es schließt nicht aus, dass irgendein Akt vom anderen missinterpretiert werden kann und das Ganze seine Eigendynamik entwickelt. Für den Libanon wäre ein solcher Krieg eine wirkliche Katastrophe."

Hält der Libanon eine weitere Krise aus?

Wirtschaftlich liegt das Land am Boden, innenpolitisch steht es am Scheideweg. Viele Menschen fürchten eine weitere Krise halte das Land nicht aus, sollte der Konflikt aus Gaza überschwappen. Andere, wie viele der hunderttausenden Palästinenser, die in den vergangenen Jahrzehnten in den Libanon geflohen sind, fordern von der Hisbollah nicht nur Worte, sondern auch Taten. Die Glaubwürdigkeit der Miliz steht auf dem Spiel. Einer, der ihr nahesteht, ist Sadeq Nabulsi. Ob die Hisbollah selbst über den möglichen Kriegseintritt entscheidet oder die Machthaber im Iran, bleibt offen. "Wann der große Funke entzündet wird, das muss der Widerstand einschätzen. Der gesamte Widerstand verfolgt die Situation in Gaza ganz genau und sie werden eine weise Haltung dazu finden."

Männer (Fischer) sitzen auf Stühlen, ein Mann repariert ein Fischernetz
Schauen besorgt in die Zukunft: Fischer in Tyros | Bild: SWR

Zurück in Tyros im Süden, nahe der Grenze. Die Fischer wollen nicht fliehen, hoffen noch auf eine politische Lösung. "Den ganzen Tag kleben wir an den Nachrichten", sagt Sami Rizek. "Am Handy, am Fernseher. Die arabischen Fernsehsender berichten die ganze Zeit live. Wir verfolgen die Lage, denn wir wissen nicht, was aus uns wird. Natürlich hoffen wir auf Frieden. Aber der Frieden liegt nicht in unserer Hand." Draußen im Mittelmeer liegen amerikanische Flugzeugträger. Kriegsgefahr am Horizont für große Teile der Region.

Autor: Ramin Sina

Stand: 15.10.2023 21:34 Uhr

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