So., 05.02.12 | 17:30 Uhr
Das Erste
Weißer Mann, was nun?
Ein deutscher Helfer in Haiti

Der Ruf war ruiniert. "Als Misereor seine Arbeit bei uns begann", erzählt der 58-jährige Bauer Bisson Memé aus dem Norden Haitis, "warnten uns unsere sogenannten 'Landwirtschaftsexperten' zu den Treffen mit den Weißen zu gehen. Die Weißen würden uns ausbeuten. Manche behaupteten sogar, die Weißen würden uns auffressen! Aber ich hab mir diesen Unsinn gar nicht angehört. Heute habe ich blühende Gärten, die mich und meine Familie ernähren – meine Familie, zu der Kurt so gut wie dazugehört."
Der Kurt, von dem Bauer Memé hier spricht, ist Kurt Habermeier, der Mann der Hilfsorganisation Misereor in Haiti. Wenn man ihn auf seine Arbeit als Entwicklungshelfer anspricht, zieht sich ihm alles zusammen: "Das Wort 'Entwicklungshelfer' mag ich nicht", ereifert er sich. "Das klingt so paternalistisch. Ich komme nicht als der 'Helfer' zu den 'Hilfsbedürftigen'. Ich komme als Freund. Die Haitianer und ich – wir haben dieselben Interessen."
Diese Interessen sind zunächst einmal, das Land nach dem verheerenden Erdbeben vom 12. Januar 2010 wiederaufzubauen. Doch die Wunden Haitis liegen viel tiefer. Früher einmal war Haiti eine blühende Insel, "die Perle der Karibik", wie Habermeier liebevoll sagt. Aber dann kamen zunächst die Spanier, später die Franzosen. Die Folgen waren verheerend: Nach der Ausrottung der Urbevölkerung, nach Sklaverei und mehr als 500 Jahren hemmungsloser Ausbeutung von Mensch und Natur gehört Haiti heute zu den ärmsten Ländern der Welt.
Auf dem Land zwingen Armut und Hunger die Bauern zur Abholzung. Die Rodung der Waldreserven verschlimmert Naturkatastrophen wie Wirbelstürme und Überschwemmungen. Die treiben die Bewohner in die ausufernden Elendsviertel der Hauptstadt Port-au-Prince und in Slums, deren Hütten beim Erdbeben wie Kartenhäuser einstürzten.

Um diesen Teufelskreis zu beenden, schickte Misereor Habermeier ins Land: Entwicklungshelfer, Soziologe, Ethnologe, ein alter Hase im Geschäft, der schon in Brasilien und Mozambique Teile der Landwirtschaft revolutionierte. Sein Rezept: Waldgärten. Darunter versteht man traditionelle kreolische Gärten, die den Bauern früher reiche Ernten einbrachten.
In kürzester Zeit hatten Habermeier und sein Team von hochqualifizierten haitianischen Beratern tausende Familien an Bord, und täglich werden es mehr. Nichts macht Habermeier stolzer als die Freundschaft dieser Bauern. Der weiße Entwicklungshelfer, der seit Jahren in der Karibik lebt, fühlt sich in Haiti inzwischen mehr zuhause als in seiner Geburtsstadt Heilbronn. "In Europa leben die Menschen im Überfluss und finden immer etwas zum Nörgeln und Klagen", meint er. "Hier in Haiti ist das Leben so hart, aber schauen Sie sich die Lebensfreude dieser Menschen an! Von den Haitianern können wir uns alle eine Scheibe abschneiden."
"Weißer Mann, was nun?" Dieser Film von Uri Schneider zeigt Entwicklungshilfe einmal anders: nicht als rechthaberische Unterstützung des weißen Mannes, der Geld in die sogenannte "Dritte Welt" pumpt, sondern als bescheidene Hilfe zur Selbsthilfe, die die Interessen der Menschen vor Ort an die erste Stelle stellt.
Film von Uri Schneider
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