Die Entscheidungen aufarbeiten

Reportage von den Dreharbeiten

Salven knallen aus den Kalaschnikows in die Nacht. Patronenhülsen fliegen durch die Gegend. Es riecht nach Schießpulver. Zwei Terroristen stürzen, von Schüssen getroffen, auf den Boden. Zum Schutz der Polizisten sollte längst ein Panzerfahrzeug vorfahren. Doch der Wagen kommt um Sekunden zu spät. Die Aktion, bei der die Geiseln befreit werden sollten, wird abgebrochen – und noch einmal gedreht. Regisseur Marc Brasse ist unzufrieden. "Kann mal einer dem Panzerfahrer früher Bescheid sagen?" ruft er über den Flugplatz in Oldenburg.

In dieser Augustnacht entsteht die spektakulärste Szene des Doku-Dramas "Vom Traum zum Terror – München 72". Es geht um den fatalen Versuch der bayerischen Polizei, die israelischen Geiseln bei den Olympischen Spielen in München 1972 zu befreien. Die lange Reihe fragwürdiger Entscheidungen endete am 6. September 1972 kurz nach Mitternacht auf dem Flugplatz in Fürstenfeldbruck in einem Blutbad. "Diese Entscheidungen wollen wir aufarbeiten", sagt Brasse. Deshalb war es ihm und seinem Koautoren Florian Huber wichtig, alle Szenen so detailliert und realitätsgetreu zu inszenieren.

Der Hubschrauber wird drehfertig gemacht
Der Hubschrauber wird drehfertig gemacht. | Bild: ARD

Zur Realität des Drehtages gehört allerdings, dass es immer stärker regnet. Auf dem Drehplan steht noch die Sprengung eines Hubschraubers. Doch die Nacht auf den 6. September 1972 war eine laue Sommernacht. Der prasselnde Regen in Oldenburg könnte den realistischen Eindruck zerstören. Zusammen mit Redakteur Dirk Neuhoff entscheiden Brasse und Huber, die zwei Hubschrauber in einen Hangar bringen zu lassen. Drinnen ist es trocken, doch der Feuerball bei der Sprengung muss wesentlich kleiner sein als unter freiem Himmel. Aber Drehplan und Etat werden eingehalten.

Also werden die Hubschrauber auf fahrbare Kufen gesetzt und von Autos in die riesige Flugzeughalle geschleppt. Einer ist ein echtes Museumstück und macht auf seinem Transport von Rosenheim ins Bundespolizeimuseum in Lübeck einen kurzen Stopp beim Dreh in Oldenburg. Den anderen hat die Bundeswehr aus drei Schrott-Maschinen zusammengeflickt. Dieser Hubschrauber geht im Feuerball auf und wird hinterher endgültig verschrottet.

Der Hubschrauber wird angezündet
Der Hubschrauber wird angezündet. | Bild: ARD

Schon jetzt ist er voller Ruß und riecht verkohlt. Denn zwei Tage zuvor hatte das ZDF das gleiche Set schon einmal genutzt – für einen Fernsehfilm über das Geiseldrama. Nur die Drehorte sind vom eigentlichen Ort des Geschehens weit entfernt. Der Flugplatz in Fürstenfeldbruck ist inzwischen teilweise abgerissen, deswegen Oldenburg. Das Olympische Dorf in München, wo die Geiselnahme begann und ein palästinensisches Terrorkommando elf Israelis als Geiseln nahm, hat in den vergangenen 40 Jahren sein Aussehen verändert. Deswegen werden die Szenen von dort in den 60er-Jahre- Häusern von Wolfsburg-Detmerode gedreht. Alles soll so aussehen wie damals.

Mit einem dicken Ordner unterm Arm steht die Kostümbildnerin Ricarda Merten-Eicher am Set. Sie hat Agenturfotos und Bilder aus dem Internet gesammelt. Alle stammen von Anfang September 1972 und zeigen die echten Hauptpersonen des Geiseldramas. Anhand dieser Vorlagen hat sie die Kostüme aus ihrem Fundus zusammengesucht oder, wenn nötig, nachgeschneidert. Gerade führt am Drehort der Terroristenchef Issa den Bürgermeister des Olympischen Dorfes, Walther Tröger, und Innenminister Genscher zu den Geiseln. "Hatte der wirklich so einen coolen Gang?" Michael Brandner, der Genscher spielt, will nicht glauben, dass Issa die Hände auf dem Rücken verschränkt hat und die Verhandlungsführer ganz gelassen zu den israelischen Geiseln führt. Aber Brasse bestätigt das. Die Detailtreue der Autoren kam vielen am Set zwanghaft vor.

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